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PJ Harveys achtes Album ist ein schonungsloses Portrait ihrer englischen Heimat, das in weiten Teilen einer brutalen Abrechnung gleichkommt. Fast einer Kriegserklärung gleich rüttelt Polly Jean gleich im Titellied an den Grundfesten des Landes: Let England Shake wirkt dennoch fast noch harmlos, im Vergleich zur sprachlichen Erbarmungslosigkeit, die den Rest des Albums charakterisiert. PJ Harvey zeichnet England als militaristische Hölle, die von Krieg, Tod und Verfall beherrscht wird. Dem schockierten Zuhörer, der sich nach einem Fetzen Empathie sehnt, bietet sie nur missgestaltete Kinder, Waisen, Panzer, Soldaten, stinkende Gassen, Dreck und Gewalt. Selbst die Natur bietet keinen Trost, sondern herrscht grausam über das geschundene und dem Untergang geweihte Land.
Polly Jean Harveys apokalyptische Visionen, die England zum Schlachtfeld eines ungefochtenes Krieges machen, sind ebenso erbarmungslos wie direkt. Harvey beschreibt den Krieg nicht als absurdes Theater, sondern als sinnlose und willkürliche Abfolge von grausamen Geschehnissen, die sich allen Versuchen einer Sinngebung entziehen. Über allem schwebt lediglich der Tod: Let England Shake ist ein verstörendes und bedrückendes Meisterwerk.
Was Let England Shake erträglicher und zugänglicher Macht als nicht minder extreme Werke wie Scott Walkers The Drift ist die effektvoll-geradlinige musikalische Umsetzung, zu der die verlässlichen Partner John Parish und Mick Harvey den Löwenanteil beitragen. Parish sorgt mit seinem genialen naiven Ausruf „What if my take my problems to the United Nations?“ für einen der Höhepunkte des Albums. Die rhythmische Vielfalt, die minimalistische Klarheit der Instrumentierung, PJ Harveys eindringlicher, aber dennoch eingängiger Gesang und die gelungene Einbeziehung der übrigen Vokalisten verleihen Let England Shake paradoxerweise eine eigentümliche Schönheit, die in starkem Kontrast zu seiner sprachlichen Gnadenlosigkeit steht: „England’s dancing days are done“ verkündet PJ Harvey: „Let It Burn!”
****1/2
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.