Re: From Soul & R&B to Jazz… and more!

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gypsy-tail-wind
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Hab diese Diskussion gestern abend nicht gesehen, sonst hätte ich mich auch grad eingebracht, aber redbeans und Friedrich haben ja schon viele Hinweise gegeben.

MinosMit Jazz wollte ich mich jetzt auch nicht auf Biegen und Brechen befassen (den Empfehlungen werde ich schon aus reiner Neugierde aber trotzdem nachgehen ;-)). Ich nehme an, dass sich das – vermutlich ziemlich bald – von ganz alleine ergibt und vermute, dass es tatsächlich über die 40er und das, was offenbar als „urbanisierter Blues“ (dafür wurden m.W. ja oft Jazzmusiker eingesetzt) bezeichnet wird, führt. Eigendlich komme ich vom Rock’n’Roll her. Vor längerer Zeit begann ich mich für die Vorläufer des Rock’n’Rolls der 2. Hälfte der 50er zu interessieren. Das Internet bot dann ganz neue Möglichkeiten. Vieles lernte ich aber erst vor ein paar Jahren durch ein Bundle von 5 R&B-Samplern mit insgesamt 500 Tracks kennen (meist späte 40er und 1. Hälfte 50er). Mir eröffnete sich eine völlig neue Welt…

Während ich erst auf die schnellen Rock’n’Roll(artigen)-Tracks fixiert war (für mich ist das im Prinzip die gleiche Musik wie die Hits von Richard, Lewis, Presley, Carl Perkins usw.; ich höre sie auch genausogerne), gefielen mir dann auch immer mehr die ruhigen, meist bluesbasierenden Sachen, die die meisten Künstler ebenfalls aufnahmen. Einiges habe ich seitdem vertieft, Favoriten kristallisierten sich heraus bzw. zumindest eine Künstlerin habe ich seitdem total umbewertet. Mittlerweile gehe ich zeitlich auch zurück. Ich bewege mich total orientieungslos, ohne mich zu informieren, was wichtig ist und ohne erstmal Literatur zu wälzen. Aber grade diese ganz eigenständige Entdeckungsreise macht mir Spaß. Möglich, dass ich dabei in Gewässer gerate, die bereits Jazzelemente enthalten. Lucky Millinder wird neben dem R&B wohl von einigen u. a. gewissen Spielarten des Jazz zugeordnet? Wynonnie Harris, Annisteen Allen und Bull Moose Jackson gehörten zu seinem Kreis. Allerdings kann ich zumindest bei den ersten beiden genannten selbst bei den frühen Sachen keinen Jazz erkennen – oder liege ich falsch?

Wenn ich Dich hier – und anderswo in Diskussionen über Black Music so schreiben sehe, wundert’s mich, dass Du meinst, keinen Zugang zum Jazz zu haben… Du bist ja schon mit einem Fuss und einem halben Ohr drin!

Weitere Zugänge könnten sich etwa über Eddie „Cleanhead“ Vinson erschliessen, von ihm gibt’s auf Capitol und Mercury in den 40ern eine Reihe toller Aufnahmen.
Vom erwähnten Cannonball Adderley würde ich neben Mercy Mercy Mercy auch noch Money in the Pocket und Why Am I Treated So Bad? empfehlen, abgesehen vom Bassisten sind alle drei mit derselben Band und live („Money…“ in einem echten Live-Setting, die anderen mit geladenen Gästen im Studio) entstanden und abgesehen vom Titelstück – das übrigens Alpen-Soul ist, von Joe Zawinul… – mag ich die andern beiden fast lieber.
Adderley hat während seiner kurzen Zeit als Produzent bei Riverside auch ein Album mit Cleanhead gemacht, das auch ein toller Einstieg sein könnte! Hörprobe: Bright Light, Big City / Arriving Soon.

Einen anderen Weg findest Du über Ray Charles: The Great Ray Charles und The Genius After Hours sowie die beiden Alben mit Milt Jackson, „Soul Meeting“ und „Soul Brothers“ (gibt’s auf einer Doppel-CD) sind ja schon Jazz – wenn auch mit einer etwas anderen Grundstimmung… einer sehr eigenen, die ich sonst von nirgends kenne! Von da an geht’s dann weiter mit Fathead: Ray Charles Presents David Newman, dem Debut von David „Fathead“ Newman (Charles produzierte und spielte Klavier) und als nächstes käme dann wohl Hank Crawfords grandioses Debut More Soul (er spielt mit einer Band aus Charles-Sidemen und – abgesehen von seinen eigenen Intermezzi – ohne Piano! Auf dem Menu stehen u.a. Stücke von Horace Silver und Bobby Timmons – das wären dann schon wieder zwei weitere Hinweise… wobei Timmons ja mit Cannonball Adderley (Anspieltipp: Quintet in San Francisco, die Keepnews CD hat ein paar zusätzliche Stücke, wovon eins auf der früheren CD fehlt) und Art Blakey (Anspieltipp: Moanin‘ von 1958) seine grössten Hits, This Here, Dat Dere und Moanin‘ eingespielt hat. Eine Vokalversion von „Dat Dere“ gibt’s dann auf Oscar Brown Jrs tollem Debut-Album Sin & Soul. Zu Horace Silver habe ich in den letzten Tagen ziemlich viel geschrieben – aus dem Stand würd ich wohl am ehesten mal Blowin‘ the Blues Away empfehlen.
Noch mehr sich schliessende Kreise: Adderley hat Newman auch als „texas tenor“ auf einem Album mit James Clay produziert. Hörprobe: Some Kinda Mean.

Und vieles von den erwähnten Sachen kommt von Atlantic… dort gibt’s auch noch Eddie Harris, der für Dich vielleicht ein weiterer komplett unklassischer Einstieg sein könnte? Ich verehre ihn, aber von den meisten Jazz-Hörern wird er als nicht-seriös betrachtet… mit Les McCann in Montreux 1969: Compared to What. Und hier zwei Tage später mit seiner Working Band und seinem E-Sax mit Listen Here, einem seiner Hits. Und hier noch was von 1989 aus der Hamburger Fabrik mit seinem Funk Project (das Enja Album Listen Here! ist super!): Is It In.
Harris hat neben seinem Tenorsax auch Trompete (mit Sax-Mundstück) und Piano gespielt, sowie gesungen (mit und ohne Lyrics). Das alles brachte ihn wohl in den Verdacht, ein Scharlatan oder ein Clown zu sein…

Und damit komme ich zur letzten Empfehlung – ein anderer Atlantic Künstler, der als Lachnummer abgetan wurde: „Rahsaan“ Roland Kirk. Als Einstieg für Dich empfehlen sich wohl etwa Volunteered Slavery (Hörprobe: Spirits Up Above) oder Blacknuss oder sonstwas aus dieser Zeit. Hier noch eine Probe: Fly Town Nose Blues, live in Bologna 1973.
Ach ja, und Kirk hat mit Al Hibbler ein ganz wunderbares (Jazz-)Album gemacht, A Meeting of Times.

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Eine Anmerkung zu CDs, falls Du was kaufen willst: Die „Great Ray Charles“ gibts in einer Warner jewel case Version, die klingt am besten, enthält aber (in der ganzen Pressung? meine war jedenfalls so) ein falsches Stück (vom Genius-Album). Dasselbe gilt für Fathead und Crawford – auch die beiden gibt’s in derselben Reihe wie „The Great Ray Charles“, in jewel cases mit einigen stilisierten Pianotasten, die sich horizontal unter dem durchsichtigen tray hindurchziehen und auch auf dem Rücken sichtbar sind. Das sind in Fällen, wo’s verschiedene Atlantic-Editionen gibt, üblicherweise die besten!

Die Kirk-Alben gibt’s (gab’s) alle bei Rhino – würde ich eher anraten als die Collectables CDs!

Eddie Harris… das Live-Album aus Montreux gibt’s bei Rhino, sonst vieles bei Rhino (teils Twofer) oder halt auch bei Collectables. In die edle Pianotasten Reihe hat’s nur das „Second Movement“ (wieder mit Les McCann) geschafft, von dem ich aber eher abraten würde, da es eher schwach ist.

Und von Adderley hab ich schon gesagt, das Quintet in San Francisco in der Keepnews Edition, beim Rest gibt’s keine Wahlmöglichkeiten.

Blakey und Silver gibt’s wohl in der RVG Edition von Blue Note, aber ich hab davon immer noch grösstenteils die alten CD-Ausgaben („Big Beat“ gab’s nie bei RVG, soweit ich weiss, aber „Moanin“ ganz bestimmt, die meisten Silvers auch).

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