Re: Shorty Rogers

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In den folgenden Monaten hat Rogers mit den Giants gespielt und zwischendurch auch mit Milt Bernhart aufgenommen und Arrangements für Dave Pell geschrieben. Es kam überdies zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Andre Previn, auf einem Album von Previns Frau Betty Bennett. Erst im Herbst waren die Giants wieder für Atlantic im Studio.

In der Zwischenzeit hatte es personelle Veränderungen gegeben: Lou Levy (p) und Ralph Peña (b) waren an die Stelle von Jolly und Counce getreten (beide hatten Rogers verlassen, um ihre eigenen Bands zu gründen). Lou Levy war ein alter Gefährte aus der Herman-Band und hatte seine Wurzeln wie Jolly bei Bud Powell. Das Ergebnis der Sessions war zunächst das zweite Atlantic-Album Martians Come Back! (LP 1232), eines wurde fürs folgende Atlantic-Album Way Up There (LP 1270) aufgespart, die anderen Stücke vervollständigten die LP Martians Stay Home (K 50714), 1978 in England veröffentlicht wurde.
Rogers selbst wechselt in den Sessions zwischen der Trompete und dem Flügelhorn und spielt oft mit Dämpfern. „Papouche“ (von dem zwei Takes existieren, der Alternate Take erschien erstmals im Mosaic-Set) war der Übername von Robaire, dem Besitzer der gleichnamigen Restaurants. Er hatte Rogers – nachdem er zwei Jahre auf einem geliehenen Instrument gespielt hatte – sein erstes Flügelhorn aus Paris mitgebracht.
In der ersten Session am 21. Oktober wurden „Barbaro“ und „Martians Come Back“ versucht, von beiden wurden keine akzeptablen Masters erreicht. Am 26. Oktober fand die zweite Session statt, „Barbaro“ (es landete auf „Martians Stay Home“), „Planetarium“, „Martians Come Back“ undd „March of the Martians“ (es wurde auf „Way Up Home“, dem nächsten Atlantic-Album veröffentlicht) wurden eingespielt – alles Rogers-Originals. „Martians Come Back“ ist ein weiterer sparsamer Blues mit grossartigem Klarinettenspiel von Giuffre und Rogers mit Dämpfer und „slurs“ und diversen anderen Techniken, die den Ton verfremden. Levys Ton ist weniger voll als Jollys, sein Spiel etwas knackiger – mir persönlich gefällt er etwas besser. Counce mag der etwas bekanntere Bassist sein als Peña (er nahm schöne Alben für Contemporary auf, die auch unter Hardbop-Fans beliebt sein dürften), aber Peña war ein toller Bassist, der u.a. auch mit Jolly spielte und mit Giuffre bald nach diesen Sessions in dessen Jimmy Giuffre Three (mit Jim Hall) spielen sollte. Er hat einen schönen Ton, gutes Time und ist auch ein guter Solist (zu hören etwa auf „Martians Come Back“).
Am 29. Oktober wurde der Alternate Take von „Papouche“ eingespielt (wie gesagt erst 1989 von Mosaic veröffentlicht), die produktivste Session war dann jene vom 3. November, an der der Master von „Papouche“ sowie eine Reihe weiterer Rogers-Originals eingespielt wurden: „Martians Stay Home“, „Peals“ (beide auf „Martians Stay Home“), „Lotus Bud“ (auf „Martians Come Back!“), „Easy“ und „Amber Leaves“ (beide auf „Martians Stay Home“).
Die beiden Versionen von „Papouche“ sind grossartig, Giuffre ist am Barisax zu hören, Levy steuert grossartige Soli bei und Manne ist omnipräsent und umwerfend von Anfang bis Ende.
„Martians Stay Home“ ist ein weiterer toller Blues mit Giuffre an der Klarinette und starkem Bass von Peña. „Peals“ swingt im mittleren Tempo, Rogers und Levy spielen sehr schöne Soli, Manne begleitet fein mit Besen aber die Musik swingt enorm.
„Lotus Bud“ ist eine Neueinspielung der Ballade, die Rogers schon für Bud Shanks Nocturne-Album arrangiert hatte. Giuffre lässt seine Klarinette singen, Rogers stösst dann mit breitem, vibratolosen Ton dazu, während Giuffres Linien leiser werden – grossartige Idee, eine Art Kollektiv-Improvisatino über eine Ballade zu spielen! Levy folgt mit einem Solo, in dem sein Piano wärmer klingt, er gibt blumige Momente, aber auch leichte Dissonanzen – jedenfalls viele spannende Ideen. Mit „Amber Leaves“ endet die Session nachdenklich – und mit einem tollen Solo von Ralph Peña.

Im Dezember war Rogers erneut dreimal in einem Studio in Los Angeles, um das dritte Atlantic-Album einzuspielen, Way Up There (LP 1270). Die Giants waren mit dabei, aber dieses Mal waren einige illustre Gäste dabei.
Die erste Session fand am 6. Dezember statt, ohne Giuffre aber mit Levy, Peña und Manne. Die Gäste waren allesamt Trompeter: Conte & Pete Candoli, Rogers‘ altes Vorbild Harry „Sweets“ Edison und Don Fagerquist. Es wurden drei Stücke eingespielt: „Serenade in Sweets“, „Astral Alley“ (beide auf LP 1232 und SD 1232) und „Pixieland“ (LP 1270).

SD 1232 hiess Shorty in Stereo und trug zwar dieselbe Katalog-Nummer mit Stereo-Präfix (SD 1232) wie „Martians Come Back!“ (LP 1232), aber es enthielt keins der acht Stücke, die von den Oktober-Sessions auf LP 1232 landeten (und auch keins von „Martians Stay Home“). Stattdessen wurden die vier Stücke vom Dezember, die auf LP 1232 landeten, verwendet, und überdies zwei weitere Stücke von LP 1207). Das alles ist ziemlich verwirrend… ich kann keine verlässlichen Infos zur Tracklist von SD 1232 finden, die Mosaic-Diskographie und auch Bruyninckx geben nur sechs Stücke an: Serenade in Sweets, Astral Alley (1955-12-06), Baklava Bridge, Chant of the Cosmos (1955-12-09), Dickie’s Dream, Moten Swing (1955-12-16). Das ist etwa eine halbe Stunde Musik und auch für ein Atlantic-Album eher kurz. Am Stereo liegt das auch nicht, denn SD 1232 erschien soweit ich sehen kann erst 1956, da lagen 40 Minuten wohl auch schon drin?
Hm, doch… gemäss Cuscunas „Producer’s Note“ am Ende des Mosaic-Booklets fanden sich in der Tat nur sechs Stücke auf der Stereo-LP – und das sind auch die einzigen in Stereo veröffentlichten Aufnahmen aus Rogers‘ Atlantic-Zeit (obschon die Dezember 1955 und März 1956 Sessions alle in Stereo aufgenommen wurden).

Aber zurück zur Musik: „Serenade Sweets“ kommt aus der Basie-Tradition, Sweets spielt unverkennbar das Intro, dann spielt die section ein Blues-Riff. Die Soli: Shorty (flh), Conte, Sweets, Fagerquist. Nach Levy ist auch Peña wieder zu hören.
„Astral Alley“ ist ein grossartiges Stück, klassisch Shorty Rogers. Die Soli: Rogers (t), Conte, Fagerquist, Sweets (mute). Auf „Pixieland“ glänzen die Trompeter mit tollem Ensemble-Spiel, Rogers soliert erneut auf dem Flügelhorn, gefolgt von Conte Candoli, Sweets, Fagerquist und dem einzigen Solo von Pete Candoli (der eher ein Section- und Lead-Trompeter als ein Solist war). Die Stücke sind weder muskelprotzige Battle noch eintöniger Trompetenbrei, und das ist Rogers‘ geschickter Hand beim Arrangieren zu verdanken.
Die zweite Session fand am 9. Dezember statt, dieses Mal mit den kompletten Giants und den Gästen Bob Enevoldsen (vtb), John Graas (frh), Paul Sarmento (tuba) und Bud Shank (as) – es ergibt sich wieder einmal ein Nonett, die Formation, mit der Rogers schon 1951 und 1953 klassische Aufnahmen gemacht hat. Rogers‘ Künste als Arrangeur haben sich seiter gesteigert, es gibt mehr Texturen und Farben, tiefere Erkundungen des Klanges. Die Session profitiert zudem enorm von den hervorragenden Soli der beteiligten Musiker. Rogers spielt hier übrigens nur Flügelhorn.
Die Stücke: „Wail of Two Cities“ (LP 1270), „Baklava Bridge“ (LP 1270 und SD 1232) und „Chant of the Cosmos“ (LP 1232, SD 1232) – erneut alles Rogers-Originals.
Auf „Wail of Two Cities“ ist Levy anfangs mit Basie-artigen Einwürfen zu hören. Giuffre spielt hier Tenor, expressiver als sonst, mit einem angedeuteten Vibrato. Rogers, Enevoldsen und Shank sind in der ganzen Session in Höchstform. Im ersten Stück sind auch Levy und Peña solistisch zu hören. „Baklava Bridge“ swingt und stottert vor sich hin. Giuffre öffnet den Solo-Reigen mit einem grossartigen Barisax-Solo. Es folgen Shank, Rogers, dann beginnt Enevoldsen mit einem kurzen Break. Es folgen Graas, Levy und nach einem Ensemble-Interlude noch kurz Peña, der das Stück auch ausklingen lässt.
Das Highlight von „Chant of the Cosmos“ ist Giuffres soul-volles Klarinettensolo. Schon im Ensemble ist er zu hören und gibt dem verspielten Thema einen etwas anderen Klang. Sein Solo ist grossartig und kulminiert gegen Ende mit „Luft-Breaks“, in denen er keine richtigen Töne mehr bläst sondern nur Luft, während er verschiedene Töne greift – vom Solo zum Verschwinden… Rogers folgt und bald setzt auch das Blech mit Begleit-Riffs ein. Dann folgt Levy und das Stück klingt langsam und luftig aus. Grossartig!
Am 15. Dezember brachte Rogers die Giants ins Studio, um Musik für den Film „The Man with a Golden Arm“ einzuspielen – in der Szene, in der Sinatra sich als Drummer für die Band bewirbt und mit ihnen zur Probe spielt, sind sie auch im Film zu sehen.
Am Tag darauf folgte die dritte Session für Atlantic. Das Resultat waren vier Stücke, in wieder neuer Besetzung: Giuffre war erneut abwesend, Pete Jolly und Leroy Vinnegar erstetzten Levy und Peña, die weiteren Gäste waren Edison und Shank sowie Barney Kessel an der Gitarre. „Dickie’s Dream“ (LP 1232, SD 1232) und „Moten Swing“ (LP 1270, SD 1232) betonten erneut die Basie-Connection (die hier ja mit Edison sowieso schon gegeben ist). Es folgten zwei Blues von Rogers, „Blues Way Up There“ und „Blues Way Down There“ (beide LP 1270). Die beiden Trompeter sind einfach genug auseinanderzuhalten. Shank spielt in allen vier Stücken tolle Soli, Kessel glänzt in „Moten Swing“ (von Basie und Lester Young) und „Blues Way Up There“ und Jolly ist all over the place, wie man es von ihm kennt. Vinnegars Bass bildet ein erdiges Fundament, sein Solo in „Dickie’s Dream“ (von Basie und Bennie Moten) besteht – wie bei ihm meistens – nur aus walking bass-Linien.

Im März 1956, etwas über ein Jahr nach Beginn der Atlantic Sessions, wawren Rogers und seine Mannen noch zweimal im Studio, um ihr letztes Atlantic-Album einzuspielen, Clickin‘ with Clax. Auch dieses Album erschien erst 1978 und nur in England. Atlantic war 1976, als die Aufnahmen (auch jene von „Martians Stay Home“) entdeckt wurden, nicht daran interessiert, diese Sessions zu veröffentlichen, auch die japanischen, englsichen, schwedischen und deutschen Ableger von Atlantic waren nicht willens, die Veröffentlichung zu übernehmen. Schliesslich konnte Atlantic UK 1977 überredet werden. Während der Vorbereitungen brannte das Lagerhaus nieder, in dem die Bänder der englischen Atlantic lagerten – glücklicherweise waren die Rogers-Bänder zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr dort.

Neben Giuffre, Levy, Peña und Manne ist auf den acht Stücken eine Sax-Section zu hören, die aus Herb Geller (as), Bud Shank (as,bari,bsx) und Bill Holman (ts) besteht. Ein paar Stücke wurden für diese Besetzung neu arrangiert, aber „Toyland“, „Adam in New York“, „Put the Goodies On“ und „Our Song“ sind neue Kompositionen, die extra für diese Aufnahmen geschrieben wurden.
Vier Stücke wurden am 27. März 1956 eingespielt. „Toyland“, der Opener, ist fröhlich und swingt. Kurze Statements von Rogers, Geller, Levy, Holman, Giuffre und nochmal Levy bereiten das Thema vor, das Rogers über viel tiefem Holz präsentiert. Dann folgen längere Soli von Geller, Rogers, Holman (sehr Pres-like), Shank (as), Giuffre (mit luftiger Klarinette) und Levy sind die Solisten.
„I Dig Ed“ ist ebenfalls ein swingendes Stück, aber leichteren Charakters. Die Soli hier sind von Giuffre (wieder Klarinette, wieder toll) und Shank (ganz exquisit, am Altsax), dann folgen kurze Statements von Holman, Rogers, Geller und Levy. Das Stück war übrigens schon auf den Sessions von „The Five“ zu hören.
Herb Geller steht im Mittelpunkt von „Adam in New York“, Giuffre spielt dann ein erdiges Barisax-Solo, bevor Band kurz rifft, bevor Holman, Rogers und Levy mit ihren Soli folgen.
Das Titelstück ist dem Photographen William Claxton gewidmet. Pete Jolly hatte es im Vorjahr bereits für sein zweites Album „Duo, Trio, Quartet“ aufgenommen. Rogers, Geller, Holman, Giuffre (ts), Shank (as), Levy und Manne künden mit kurzen Statements das Thema an. Dann folgt ein tolles Solo von Geller (mit „You Make Me Feel So Young“-Zitat) und Soli von Holman, Rogers und Giuffre (am Tenorsax). Es folgt Shank mit einem weiteren grossartigen Solo, in dem Levy sich schon bereit macht für sein eigenes gutes Solo. Zum Ende soliert der Leader und mit etwas über sieben Minuten endet das längste Stück der Sessions.
Drei Tage später, am 30. März, folgte die letzte Atlantic-Session von Rogers in derselben Besetzung und mit vier weiteren Originals. „Put the Goodies On“
ist ein einfaches Blues-Riff – die Solisten sind: Geller, Holman, Rogers, Giuffre (bari), Shank (as) und Levy.
„Our Song“ ist gelassenes Mid-Tempo Stück. Geller spielt ein bittersüsses erstes Solo, dann folgen Rogers, Holman (sehr lyrisch), Shank (as), Giuffre (cl) und Levy.
„Pete’s Meat“ ist Pete Jolly gewidmet und wurde schon auf seinem Debut-Album „Jolly Jumps In“ (mit Rogers) veröffentlicht. Es startet mit einem kleinen Piano-Intro, die Solisten sind dann: Giuffre am Tenor, nach einem kurzen Interlude Geller, dann Rogers, Holman, Shank (bari) und Levy.
„Mike’s Peak“ wurde zuvor von Dave Pells Ensemble eingespielt. Die Soli stammen von Holman, Shank (bari), Rogers, Giuffre (ts), Geller und Levy.

Mit diesen schönen Aufnahmen endet das Jahr, das Rogers bei Atlantic verbrachte auch bereits. Das Highlight für mich ist wohl die Nonett-Session von „Way Up There“, aber auch die langen Giants-Sessions vom März und Oktober/November 1955 sind voller grossartiger Momente. Überhaupt fällt auf, dass Rogers‘ Musik in jener Zeit konstant auf hohem Niveau war und die Ergebnisse seiner Sessions sehr konstant waren.

Rogers kehrte nach einer kurzen Pause im Sommer zu RCA zurück, wo er als bis 1961 elf Alben aufnehmen sollte. Das erste war „Wherever the Five Winds Blow“ und als er es am 2. Juli aufnahm, war noch keine der Atlantic-LPs erschienen.
Im April 1961 verliess er Victor und nahm ein paar weitere Sessions auf bis er 1963 das Horn an den Nagel hing und sich aufs Komponieren für Film und Fernsehen konzentrierte. Zwischendurch schrieb er hie und da auch ein Jazz-Arrangement.

In den 80ern folgte dann ein Revival, bis er im Dezember 1985 fast gestorben wäre. Als Todd Selbert (der übrigens die „verschwundenen“ Sessions in den 70ern auffand) im Juli 1988 seine Liner Notes fürs Mosaic-Set schrieb, war Rogers 63 Jahre als wieder bei bester Gesundheit und plante seinen Umzug (nach 34 Jahren) von Van Nuys nach Marina del Rey. Er verstarb im November 1994 im Alter von 70 Jahren, aber nicht, bevor er auch in den 90ern nochmal ein paar Aufnahmen gemacht hatte, zwei davon für Candid mit Bud Shank, seinem langjährigen musikalischen Weggefährten, sowie den Lighthouse All Stars, auch sie alles alte Gefährten: Bob Cooper, Conte Candoli, Bill Perkins, Pete Jolly, Monte Budwig und Lawrence Marable.

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