Re: Shorty Rogers

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Teddy Charles hat 1953 ein paar Sessions mit Exponenten des neuen West Coast Jazz aufgenommen. Im Februar spielte er mit Frank Morgan, Wardell Gray und Sonny Clark vier Stücke ein, die zuerst als „Teddy Charles West Coasters“ (Prestige EP 1307) und später als Teil von „Wardell Gray Memorial, Vol. 1“ (Prestige LP 7008) erschinen.
Im Mai finden wir ihn neben Stan Getz als Gast auf einem Mitschnitt von Howard Rumseys Lighthouse All-Stars (Bob Cooper, Jimmy Giuffre, Russ Freeman und Shelly Manne) und im August trat er mit Chet Baker, Shorty Rogers, Giuffre, Freeman, Howard Roberts, Curtis Counce und Manne im Carlton Theater in Los Angeles auf (eine Aufnahme davon scheint zu existieren, ich kenne sie leider nicht).

Am 21. und 31. August 1953 stand Charles dann als Leader für Prestige in einem Studio in Los Angeles – mit ihm Shorty Rogers, Curtis Counce, Shelly Manne, sowie in der zweiten Session auch Jimmy Giuffre.
Die erste Session wurde auf der 10″-LP „New Directions Vol. 3“ (Prestige LP 164) veröffentlicht, die zweite erschien komplett auf „New Directions Vol. 4″ (Prestige LP 169). Für die 12“-LPs wurde die zweite aufgeteilt und zwei Stücke erschienen mit der ersten auf Collaboration: West (Prestige LP 7028), während die beiden anderen mit der Session vom 6. Januar 1955 mit J.R. Monterose und Charles Mingus (die zuerst als 10″-LP „Teddy Charles New Directions Quartet“ als Prestige LP 206 und New Jazz LP 1106 erschien) auf dem 12″-Album „Evolution“ landete.
Was für ein Durcheinander! Die frühen Prestige-Sessions von Charles sind auf der CD „New Directions“ zu finden („Teddy Charles and His Trio“, PRLP 132; „New Directions (Vol. 1): Teddy Charles Quartet“, PRLP 143; „New Directions (Vol. 2): Charles/Overton/Shaughnessy“, PRLP 150). Die mittlere der beiden wurde als Bonus aber auch auf die CD „Collaboration: West“ angehängt. Die zweite August-Session blieb auch im CD-Zeitalter gespalten.
Und wenn ich schon dabei bin: Vol. 5 der „New Directions“-Reihe ist später als die eine Hälfte von Bob Brookmeyers „The Dual Role Of Bob Brookmeyer“ wiederveröffentlicht worden,

Also, auf jeden Fall stand Shorty Rogers am 21. August mit Charles, Counce und Manne zum ersten Mal im Studio. Rogers ist in Fahrt, Manne treibt schon im ersten Stück, „Variations on a Motive by Bud“ gehörig. Die Stücke stammen abgesehen von Rogers‘ „Wailing Dervish“ alle von Charles. Die Musik klingt transparent, Charles‘ Vibes nehmen viel weniger Raum als ein Piano, klingen leichter, was hervorragend passt. Die Besetzung dieses Quartetts gefällt mir jedenfalls mit diesen vier Leuten hervorragend!
Rogers‘ Dervisch hat in der Tat etwas von einem Tanz, wie sich die Linien von Vibes und Trompete verzahnen und zudem mit den immer dichteren Rhythmen von Manne zusammenkommen, das bereitet grosses Vergnügen! Derweil legt Counce einen flexiblen aber erdigen Boden am Bass, bricht aber auch immer wieder aus, lässt seine walking bass Linien in die Höhe schnellen und spielt auch ein schönes Solo.
Die Musik ist zudem auch hier wieder in vielfacher Hinsicht unkonventionell, spielt mir Formen und vor allem mit melodischen Möglichkeiten und der Tonalität. So wechselt das erste Stück (es beruht auf einer Figur, die Bud Powell mit der linken Hand spielte) kontinuierlich zwischen F und Gb über C als tonalem Zentrum. Das erzeugt Spannungen und erweitert die Musik harmonisch in Bereiche, die manche wohl als dissonant empfinden. Im „Wailing Dervish“ werden Ganztonleitern verwendet, in „Further Out“ sind das erste Trompetensolo und die kurzen Vibraphon-Einwürfe polytonal, der Hauptteil wird dann aber über einen einzigen Akkord gespielt mit einer polytonalen bridge. Auch das letzte Stück, „Etudiez le cahier“, erlaubt den Solisten grosse Freheit beim Improvisieren.

Am 31. August fand die zweite Session statt, mit Jimmy Giuffres Tenor und Barisax als Ergänzung. Die ersten beiden Stücke landeten später auf „Evolution“ während die zwei letzten auf „Collaboration: West“ zu hören sind.
„Free“ stammt von Shorty Rogers und klingt stark nach Cartoon-Soundtrack mit Mannes Marsch-Trommel und der Linie, die auch von Raymond Scott stammen könnte. Die Gruppe klingt hier leicht und hell, nur Giuffres Tenorsolo und natürlich Counce‘ erdiger Bass bieten einen Gegenpol. „Evolution“ ist ein Stück von Jimmy Giuffre mit einer thematischen Konstruktion, die auf dem Thema aus drei Tönen beruht, die zum Auftakt zu hören ist.
Die beiden Stücke auf „Collaboration: West“ sind beides Charles-Originals. „Margo“ ist eine Art langsame Ballade, Charles spielt das Thema am Piano und wird von Giuffre einfühlsam begleitet. Das Stück ist sehr lyrisch, klingt aber dennoch harmonisch frisch.
„Bobalob“ ist aus zwei Takes zusammengesetzt, ein Stück, das spontan im Studio entstanden ist – mit Giuffre am Barisax.

Hall Overton beschrieb die Musik von Charles (vermutlich in den Liner Notes zu „New Directions Vol. 4“, PRLP 169, teilweise wiedergegeben im CD-Booklet von „Collaboration: West“) wie folgt:

The elements that distinguish this music from standard jazz idioms are —

1. longer forms than the usual 32 bar song form
2. a much more varied type harmony (polytonality, 4th chords)
3. spontaneous counterpoint, whenever performers feel an extra melodic line fits
4. fluctuating tonal centers

It is important to note that the improvised portions on these sides match the written portions to the extent that it is often difficult to tell them apart. This is clear proof that the group understands in an intuitive, improvisational way, what it is doing and it marks an outstanding achievement in jazz of this type.

Hall Overton hatte übrigens schon 1953 auf der Session für „New Directions (Vol. 2)“ mitgewirkt und spielte später auch mit Teddy Charles‘ wohl tollster Band überhaupt, dem Tentett, das u.a. für Atlantic Aufnahmen machte.

Auch ein Teddy Charles-Thread wäre nicht falsch…

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