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Shelly Manne war neben Shorty Rogers wohl der bedeutendste Musiker und Organisator des frühen West Coast Jazz. Manne spielte auf den allermeisten frühen Sessions von Rogers mit und war auch massgeblich am musikalischen Erfolg beteiligt. Bevor er seine eigene Reihe von hervorragenden Sessions für Contemporary Records startete, nahm Manne zwei Sessions für Dee Gee auf, die später bei Savoy (unter dem Titel „Deep People“) gepaart mit einer Bill Russo Session auf 12″-LP und später CD wiederaufgelegt wurde.
In der ersten Session wurden Bill Russos „The Princess of Evil“, Rogers‘ „Slightly Brightly“ und Jimmy Giuffres „Deep People“ sowie eine Vokal-Version (Manne singt) von „It Don’t Mean a Thing“ eingespielt. Die andere Session fand ohne Beteiligung von Rogers statt (und Manne ist da auch auf „All of Me“ als Sänger zu hören). Die Band: Rogers & Conte Candoli (t), Art Pepper (as), Jimmy Giuffre (ts), Bob Gordon (bari), Frank Patchen (p), Joe Mondragon (b), und Manne (d,voc). Giuffre klingt auf der wunderschönen Ballade „The Princess of Evil“ fast, als spiele er Altsax, Patchen und Gordon sind die anderen Solisten, Candoli spielt die Melodie.
Rogers‘ „Slightly Brightly“ und Giuffres „Deep People“ sind zwei swingende, aufgestellte Stücke, bei Rogers hat die Rhythmusgruppe wie so oft ein bisschen was zu tun. Solistisch ist Giuffre wohl die überzeugendste Stimme, in „Deep People“ scheinen zuerst Rogers und dann Candoli zu solieren. Und nein, Manne ist kein grosser Sänger…
Mannes erste Contemporary-Session fand am 6. April 1953 statt, beteiligt waren u.a. Art Pepper, Bob Cooper, Jimmy Giuffre und Marty Paich. Die Arrangements stammten von Russo und Rogers. Auf Mannes dritter und vierter Session (für sein zweites Contemporary 10″-Album) war Rogers nicht nur als Komponist sondern auch als Trompeter (neben Ollie Mitchell bzw. Don Fagerquist, die den Lead übernahmen) zu hören. Bob Enevoldsen (vtb), Paul Sarmento (tuba), Marty Paich bzw. Russ Freeman (p) und Joe Mondragon (b) waren die anderen Musiker.
Das Album vereinte sechs Kompositionen, die speziell für dieses blechlastige Ensemble geschrieben wurden, als Nachfolger für das erste, saxophonlastige Album Mannes. Marty Paich hat „Dimensions in Thirds“ beigesteuert und wie alle sechs Komponisten auch Kommentare für die Liner Notes beigesteuert. Das Stück entwickelt sich in voneinander ziemlich unabhängigen Linien und das Zusammenspiel von Fagerquist und Rogers macht Spass. Es folgt Rogers‘ „Shapes, Motion and Colors“, das erste der beiden längeren (ca. 6 statt ca. 3 Minuten). Rogers dazu:
I believe all art and nature is composed either of shapes, motion, colors, or a combination of them. My composition includes these in the form of: (1) shapes: harmonic shapes (chords, perpendiculars). (2) motion: contrapuntal lines interweaving. (3) colors: achieved by means of orchestration devices.
I didn’t consciously try for any specific overall form, preferring free forms in my own thinking. I did however use many devices within this free form, but as ends in themselves and not as means to an end. I realized, after I finished this work, that it had taken the shape of a first rondo, but the form was really a result of an instinct for balance.
In my opinion, all good jazz musicians are composers. I have utilized them as composers by having parts in which I merely wrote instructions and left the rest to the men to compose spontaneously, mutual instinct being the connecting link between us.
This is a reflection of my likes in music. I tried only to write what I like, not concerning myself with such thoughts as Is it jazz? or Is it legitimate? or Will anyone like it? Shapes, Motion, Colors is dedicated to my teacher, Dr. Wesley La Violette.
Die Form des Stückes ist in der Tat spannend. Es vereint die typischen Merkmale von Rogers‘ Arrangements, lässt Raum für Solisten und öffnet sich mehrmals für Manne, der über minimale Begleitung sein eindrückliches, melodisches Trommelspiel demonstriert.
„Alternation“ stammt von Giuffre und ist eine atonale Komposition, die völlig kontrapunktisch ist – Harmonien und Akkorde ergeben sich bloss aus den verschiedenen Linien, Giuffre hat damit quasi die jazz-übliche Gewohnheit, Melodie auf Harmonie basieren zu lassen, auf den Kopf gestellt. Auch sein Stück ist zumindest teils in Rondo-Form geschrieben. Zudem spielen auch Piano, Bass und Drums hier Melodien und keine eigentliche Begleitung. Auch Giuffre nennt übrigens Wesley La Violette in seinem Kommentar.
Die zweite Session (mit Ollie Mitchell und Marty Paich anstelle von Fagerquist und Freeman – die CD vertauscht hier die Angaben!) öffnet mit „Divertimento for Brass & Rhythm“ von Bob Cooper. Die Struktur ist hier die simpelste, das ganze hört sich jedenfalls für einmal viel weniger komponiert an.
Es folgt Bill Holmans „Lullaby“, das die direkte Einfachkeit eines Kinderliedes zu imitieren versucht. Zum Abschluss hören wir „Etude de Concert“ von Jack Montrose, das zweite lange Stück des Albums. Das Piano präsentiert zu Beginn den Kern des thematischen Materials, aus dem sich die Musik dann entwickelt.
Die ganzen Aufnahmen sind völlig überambitioniert und funktionieren nur teilweise, aber Rogers‘ Stück gehört zu den gelungeneren, weil es die Musik immer wieder aufbricht und Manne so viel Raum gibt. Die CD-Ausgabe (OJCCD-1910-2) enthält als Bonus die titelgebende, von Bill Smith komponierte und gespielte Suite des Albums „Concerto for Clarinet & Combo“ vom Juni 1957, an der Rogers nicht beteiligt war (ob der Rest des Albums irgendwo als CD-Bonustracks angehängt wurde, weiss ich nicht).
Im September 1954 nahm Manne seine dritte und vierte 10″-LP für Contemporary auf. Zuerst erschien „Shelly Manne & Russ Freeman“, das am 14. im Duo entstand, gefolgt von „The Three“ vom 10. September. Die drei waren Shorty Rogers (t), Jimmy Giuffre (cl,ts,bari) und Manne (d). Die beiden Sessions wurden auf CD gemeinsam unter dem Titel „The Three“ & „The Two“ veröffentlicht.
Die Musik, die in dieser unorthodoxen Besetzung entstand, macht grossen Spass. Giuffre und Rogers haben viel Freiraum, begleiten einander auch, umschlängeln sich – und ob das nun in Rondo-Form geschieht oder in Free-Form, ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal, denn hier funktioniert die Musik ganz jenseits von Konzepten sehr gut und macht grossen Spass.
Dennoch ein paar Anmerkungen (eng nach Lester Koenigs Liner Notes): Rogers‘ „Three on a Row“ ist sein erster Versuch mit Zwölftonmusik, die ursprünglichen Ton-Reihe wird im Stück insgesamt in zwölf Variationen gespielt, manchmal schnell, manchmal langsam. „Pas de Trois“ ist das Rondo (von Giuffre, der eine Vorliebe für diese Form hatte), in dem Mannes Trommeln einmal mehr als Melodie-Instrument eingesetzt werden.
„Flip“, der Opener, ist Mannes erste aufgenommene Komposition, zweistimmig mit Kontrapunkt und kanon-artigen Passagen. Das Stück swingt und lässt den Bläsern Raum zum Solieren.
„Autumn in New York“ und „Steeplechase“ (mal wieder Charlie Parker) sind Stücke, die die drei auch mit den Giants live gespielt haben, die Improvisationen beruhen hier auf den herkömmlichen Strukturen der Stücke. Manne spielt in „Autumn…“ ein tolles Drum-Solo, das nie die Balladen-Stimmung verleugnet – anscheinend sein erster Versuch, in einer Ballade zu solieren.
„Abstract No. 1“, das sechste und letzte Stück des Albums, ist eine völlig freie Improvisation, ohne Melodie oder harmonische Struktur – Rogers dazu:
It’s the product of extreme team work, keeping our ears open all the time, listening to each other, sequencing and complementing each other’s ideas. We’ve worked together so long we’ve developed the ability to improvise arrangements or abstracts.
Mit Jack Sheldon, Ralph Peña und Artie Anton nahm Giuffre 1955 sein zweites Capitol-Album („Tangents in Jazz“) auf, die Musik, die dort zu hören ist, entfaltet einen ähnlichen Zauber… dieselbe Gruppe war schon auf der dritten Session seines ersten Capitol-Albums („Four Brothers“) zu hören. Der Rest davon wurde mit Westküstenjazzern eingespielt: Sheldon, Freeman, Counce und Manne auf der ersten, Rogers, Sheldon, Enevoldsen, Shank, Peña und Manne auf der zweiten Session. Allerdings wurde da auch wieder zuviel versucht und das Ergebnis war weniger befriedigend – eben auch überambitionierter West Coast Jazz, der nie recht abhebt.
1962 spielte Rogers noch einmal mit Shelly Manne und zwar auf dessen Album „My Son the Jazz Drummer“ (das als CD später mit demselben Foto und ähnlichem Cover-Design als „Steps to the Desert – Modern Jazz Variations of Favorite Jewish and Israeli Songs“ aufgelegt wurde – das Original-Cover kann man z.B. hier sehen).
Manne war in der Zwischenzeit zum altgedienten Bandleader geworden, hatte für Contemporary eine lange Reihe toller Alben eingespielt mit Sidemen wie Richie Kamuca, Charlie Mariano oder Herb Geller (sax), Joe Gordon oder Conte Candoli (t), Victor Feldman (p,vib) und/oder Russ Freeman (p) und dem lange Jahre treuen Bassisten Monty Budwig (der 1961 vorübergehend von Chuck Berghoefer ersetzt wurde).
Im Jahr 1962 nahm Manne aber nicht mit den „Men“ auf sondern etwa im Duo mit Jack Marshall, fürs neue Renommierlabel Impulse mit Sidemen wie Coleman Hawkins, Eddie Costa oder Hank Jones (das tolle Album hiess „2, 3, 4“, weil Manne im Duo, Trio und Quartett zu hören war) und auch mit Bill Evans („Empathy“, ein Verve-Trio-Album mit Budwig am Bass). Ende Jahr folgte dann das allerletzte Contemporary-Album mit Shorty Rogers (t,flh), Teddy Edwards (ts), Victor Feldman (p,vib), Al Viola (g) und Monty Budwig (b). Die Band spielt Stücke wie „Hava Nagila“, „Bei mir bist du schoen“, das Thema des Filmes „Exodus“ oder „My Yiddishe Momme“. Das mag seltsam anmuten, macht aber grossen Spass, zumal Teddy Edwards und Victor Feldman hervorragend gelaunt sind und auch Shorty Rogers in diesem Umfeld etwas Abwechslung von seiner eigenen, mittlerweile fast ausschliesslich auf Konzept-Alben fixierten musikalischen Tätigkeit erhält.
Lester Koenig schreibt in seinen Liner Notes:
There is great variety in Jewish music. Some of it is melancholy, with an Oriental cast; much of it is gay and lively, rich in rhythmic feeling, in the tradition of the rustic folk dance; it is also music of the cities, complex in harmony, and structure. In Israeli music vigorous songs celebrate the pioneer life, the irrigation and reclaiming of desert lands; and there are dances of celebration and songs of love as well. Jewish music has also indirectly enriched American popular music; many famous songwriters are Jewish – Gershwin, Berlin, Kern, Rodgers, Arlen – and the latter was the son of a cantor.
Die Arrangements stammen zum Teil von Rogers, aber auch Lennie Niehaus („Bei mir bist du schoen“, „Bokrei Lachish“ und „Orchah Bamidbar (Steps to the Desert)“), Victor Feldman („Tzena“) und Teddy Edwards („Die Greene Koseene“) haben mitgeholfen. Nach meinem Empfinden ist das Ergebnis hervorragend und markiert zu Mannes (vorübergehenden) Abgang bei Contemporary nochmal, wie toll seine Musik sein konnte, wenn er mit den richtigen Leuten spielte – was in den folgenden Jahren eher selten der Fall sein sollte (die Ausnahme war 1966/67 die Gruppe mit Conte Candoli, Frank Strozier, Freeman bzw. Mike Wofford und Budwig).
Irgendwann brauchen wir auch einen Shelly Manne Thread hier… der grosse Anspieltipp sind jedenfalls die fünf Volumes von „Live at the Blackhawk“, gefolgt von den beiden „Live at the Manne-Hole“ und dann wohl schon bald „Steps to the Desert“…
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