Startseite › Foren › An die Redaktion: Kritik, Fragen, Korrekturen › Das aktuelle Heft: Lob und Tadel › ROLLING STONE September 2010 › Re: ROLLING STONE September 2010
Joachim HentschelLieber nikodemus, du gehörst definitiv zu den Lesern und Forumianern, deren Urteil mich jeden Monat ernsthaft interessiert – umso ratloser macht mich nun dein Kommentar zum neuen Heft.
Wir debattieren hier ja in der Tat oft stundenlang darüber, welche Beiträge ins Heft passen und welche nicht, wo was fehlt und wo was zuviel ist, welcher Künstler welche Menge Platz verdient – wie man eine interessante, weder zu bunte noch zu dröge Mischung hinbekommt, die aus dem Umstand das beste macht, dass ein Printmagazin seinen Lesern nun mal nur eine begrenzte Zahl an Themen bieten kann, die man auch nicht einfach wegklicken und durch andere ersetzen kann, wenn sie einem nicht gefallen.
Unser Geschick ist da leider längst nicht immer gleich groß. Aber wenn dir das alles nicht gefällt – wenn du kein Springsteen-Interview magst, wie man es in Deutschland sonst nirgends lesen kann (und Springsteen ist nun mal zweifellos ein Rolling-Stone-Held, daran sollte es keinen Zweifel geben), wenn du kein ebenso exklusives, inhaltlich absolut erstaunliches In-Depth-Gespräch mit Robert Plant lesen willst, das zudem mit extrem erhellenden Artikeln zur Blues- und Americana-Tradition unterfüttert ist, wenn dich Erdmöbel nicht interessieren, die ganz sicher kein berechenbares und überall breitgetretenes Thema sind, wenn dich ein extra für uns geschriebener Text vom Internet-Philosophen Cory Doctorow ebenso wenig interessiert wie ein Interview mit Jürgen Trittin, der natürlich keineswegs zum Pseudo-Popstar stilisiert wird, sondern über die Verquickungen von Jugendkultur und politischem Geschäft spricht, wenn du eines der ganz wenigen aktuellen Interviews mit Milla Jovovich oder eine zugegeben mehr zum Blättern und DUrchgucken gedachte Reminiszenz an die Musik der 80er-Jahre (mit einem absolut exklusiven und köstlichen Essay vom legendären „Leo’s“-Moderator ANdreas Lukoschik) nicht wenigstens unterhaltsam findest, abgesehen von den vielen anderen kleinen und größeren Beiträgen – also wenn du das wirklich alles daneben und „zu Berlin“ findest, dann weiß ich ehrlich gesagt auch nicht, was wir dir noch groß bieten könnten.
Diese Frage ist absolut nicht sarkastisch, sondern ganz aufrichtig gemeint: Wie könnten wir dich denn begeistern? Auf welchem Auge sind wir blind?
Ist schon klar, dass es unsere Aufgabe ist, dir als Leser ein cooles Angebot zu machen. Aber das würde mich jetzt schon mal interessieren.
Hallo Joachim,
danke erst mal, dass du dir die Mühe gibst, einem frustrierten Leser zu schreiben, was ich nicht als selbstverständlich betrachte und dir anrechne.
Mein Heft kommt bekanntlich frühestens morgens, weshalb ich inhaltlich noch wenig zum Springsteen Interview sagen kann, ebenso wenig zu den In Depth Gesprächen mit Plant und Trittin.
Was ich mir allerdings von euch erwarte oder zumindest unterhaltsam finde, damit kann ich dir jetzt schon dienen: Anstatt dem x-ten Interview/Homestory vom Boss (der zweifelsfrei ein RS Held ist und sein darf), würde ich dem Mut begrüßen, andere wichtige Künstler der Gegenwart und Vergangenheit zu Wort kommen zu lassen bzw. über sie zu berichten. Ich erinnere mich wohltuend, vor nicht allzu langer Zeit, an Maiks Special über Robert Wyatt, über ein interessantes Blue Note Special, Alte Meister Berichte (Howling Wolf), warum nicht weiterhin berühmte Label vorstellen (wie damals Motown, Islands), wie wäre es mit einem Phil Spector Special oder andere wichtige Produzenten, Pianisten, Drummer oder Bassisten. Wenn ihr schon alte Helden ausgrabt, dann wäre ein Cohen Special anlässlich seiner Deutschlandkonzerte eine Idee. Und wurden die großen Damen der Popmusik (von Joni Mitchell und Patti Smith) mal gewürdigt? Carole King? Aretha Franklin? Emmylou? (Ich erinnere mich an ein tolles Nico Special, welches wie alle Specials von Jürgen Ziemer großartig war).
WDs Bericht über vergessene Klassiker der Popgeschichte sollte fortgeführt werden.
Warum gab es letztes Jahr beispielsweise kaum Berichte über eure Alben des Jahres? The XX wurde vergessen, Callahan übergangen und vieles was ihr am Jahresende als großartig abgefeiert habt, kam während des Jahres gar nicht im Heft vor.
Loben möchte ich euren Bericht über die Umweltkatastrophe im Golf von Mexico und die Bohrungen in der Arktis, so stelle ich mir Berichte vor, die Fragen aufwerfen und Seiten beleuchten, die evlt. vom Tagesfeuilleton übergangen werden.
Ich brauche keine randvollen 116 Seiten, wenn in jeder Ausgabe ein 16 Seiten Fotospecial zu sehen ist, welches mich nicht interessiert. Ich habe nichts gegen politische Berichte, die dann aber als solche zu benennen sind und nicht Homestories über Politiker, die jetzt auch neuerdings Vinyl hören und das loswerden möchten. Ich will den bissigen Willander zurück bei This Note’s For You und keine Liedermacher, die jetzt in Politik machen wollen. Ich möchte leidenschaftliche Essays über Popkultur lesen, warum sie gut und warum sie schlecht ist und kein beliebiges, selbstentblößendes Popshopping, welches nur den Eitelkeiten des Autors dient. Because the stories he constantly writes, say nothing about me or my life.
Ich wünsche mir keine farblosen Kritiken, die sich lesen wie umgeschriebene Pressemeldungen der Plattenfirmen. Ich möchte mir nicht die Schuld am Ende der Plattenfirmen geben lassen und keine Gimmicks, die ich eh nicht gebrauchen kann. Ich möchte wissen, welche Musik, welche Filme, Bücher oder Menschen euch begeistern und warum das so ist. Ich brauche keine Listen mit Texten, wo nicht erkennbar ist, wer der Autor der Zeilen ist. Ich möchte das lesen, was du und Maik und Jürgen und Torsten für wichtig und erwähnenswert haltet und keine halbgaren Berichte, die nur auf Verkaufszahlen zu schielen scheinen.
So weit, so gut, über das aktuelle Heft äußere ich mich gerne, wenn es eingetroffen ist. Davon ab ist es mir egal ob ihr in Berlin, Hamburg oder München euer zuhause findet, die Veränderungen hab ich weniger an der Luft als an den Köpfen ausgemacht, die Berlin mit sich gebracht hat (mit dir als Ausnahme versteht sich).
--
and now we rise and we are everywhere