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Hab zur Einstimmung noch einmal die drei Stücke mit Streichern gehört. Ich glaub sie sind eine Spur besser als ich sie letztes Mal hörte – liegt wohl daran, dass ich dieses Mal nicht die vorangegangenen, exzellenten Blue Note Alben im Ohr hatte. Ein herausragendes, streckenweise sehr ruhiges, Schlagzeugsolo von Waits, sowie das dritte Stück, in dem Streicher und Bläser einen dichten Teppich weben und Tyner erst nach mehreren Minuten zu seinem Solo ansetzt gehören zu den Höhepunkten.
Extensions *****
Nach dem (abgebrochenen? verunglückten?) Projekt mit den Streichern namt Tyner in seinem letzten Jahr bei Blue Note noch drei weitere Sessions auf. Die erste erschien als „Extensions“ und knüpft in etwa dort an, wo „Expansions“ aufhörte. Wieder sind Gary Bartz (as) und Wayne Shorter (ts,ss) dabei, Ron Carter spielt diesmal Bass, dazu kommen Elvin Jones am Schlagzeug und Alice Coltrane an der Harfe. Sie prägt gleich das erste Stück, „Message from the Nile“. Wie die Streicher und Carters Cello in den vorangegangenen Sessions schafft sie einen Teppich aus Klängen (das war ja auch bei Coltrane schon ihre grösste Fähigkeit) und wird von Tyner geschickt eingesetzt, um die Musik atmosphärisch zu erweitern. Shorter und Bartz steuern starke Soli bei, Tyner selbst ist wieselflink und doch klingt er nie nach leerem Virtuosentum, er ist leicht und schwebend aber zugleich geerdet. Nach seinem tollen Solo in „The Wanderer“ spielt Elvin Jones ein sehr eindrückliches Schlagzeugsolo, das stark auf die Trommeln abstützt und streckenweise mit einfachen, eingängigen Rhythmen spielt. Das dritte Stück, „Survival Blues“, wird von einem fantastischen Solo Wayne Shorters geprägt, die Rhythmusgruppe (inkl. Coltranes Harfe) unterstützt ihn in seinem stimmhaften, suchenden Solo, sein Ton ist voller Flexionen und kleinen Eigenheiten (Mut zur Hässlichkeit? Im „Mainstream-Jazz“ im weitesten Sinne wohl kaum irgendwo dermassen ausgeprägt wie bei Wayne Shorter!). Coltrane begleitet auch Tyner während seines Solos, das eng mit der einfachen Motivik des Themas verbunden bleibt. Dieses Hin und Her zwischen Vamps und Licks und einfachen Akkordstrukturen einerseits und die fliegenden, flimmernden Linien, die er darüberlegt, dieser Dialog innerhalb seines Spiels, zeichnet Tyner aus. Die Session endet mit „His Blessings“, einer Rubato-Hymne im Stile von Coltranes „Welcome“, mit dichten Harfen- und Piano-Arpeggi, gestrichenem Bass und freiem Getrommel von Jones. Dann beginnen Shorter am Sopran freie Linien einzustreuen.
Cosmos / Asante ****
Im Juli entstand die letzte Session, die zuerst auf dem Doppel-Album „Cosmos“ erschienen ist. Später wurde sie der CD-Ausgabe von „Asante“ beigegeben. Gary Bartz übernimmt diesmal neben dem Alt- auch das Sopransax, Hubert Laws spielt Flöte und Altflöte, Andrew White Oboe, und als Rhythmiker sind wieder die beiden alten Vertrauten Herbie Lewis und Freddie Waits dabei. Der Groove ist schon im ersten Stück, „Forbidden Land“, merklich ein anderer als mit Elvin Jones, flüssiger, ebenmässiger, aber auch dieses Gefühl von schwüler Hitze wird schnell wieder spürbar, das schon „Time for Tyner“ und auch „Expansions“ auszeichnete. White soliert auf der Oboe, nach wie vor ein wenig verwendetes Instrument im Jazz (am liebsten höre ich es bei Yusef Lateef), Bartz‘ Alt klingt übersättigt, als würde es jeden Moment aus der Form platzen, während Waits streckenweise das feste Metrum beinahe auflöst, aber doch weitergroovt.
„Asian Lullaby“ arbeitet mit geschickten rhythmischen Verschiebungen und Akzenten und auch wieder mit einer reduzierten harmonischen Basis. Bartz überzeugt mit einem sorgfältig konstruierten Altsolo.
Das dritte und letzte Stück der Session, „Hope“, beginnt mit tiefen Trommelwirbeln und freiem Piano, dann folgt eine einfache, hypnotische Flötenlinie, kontrastiert vom gestrichenen Bass und als Echo die Oboe und darunter ein trillerndes Sax… eine höchst faszinierende Klangtextur, die Tyner aufbaut! Dann übernimmt das Altsax, während das Piano dichter, die Drums lauter werden. Schiesslich wird das Tempo fest und Tyner spielt ein langes Solo, gefolgt von Bartz. Nach einem Bass-Solo werden die Bläser eingesetzt, dass sie fast nach Streichern klingen, das Metrum löst sich wieder auf, die Trommelwirbel, Piano-Arpeggi und der gestrichene Bass kehren zurück. Ein sehr schönes Stück!
Asante ****1/2
Tyners letztes Album für Blue Note, „Asante“, ist auch eins der besten, das in diesen vier Jahren entstande. Schon das Foto auf dem Cover suggeriert Afrikanische Einflüsse, und diese sind von Beginn an in „Malika“ zu hören. Tyner bläst eine Holzflöte, einfach, mäandrierend, hypnotisch, langsam schält sich ein repetitiver Groover heraus, getragen von den Billy Harts (Schlagzeug und African Drums) und dem zusätzlichen Perkussionisten Mtume. Neu im Mix ist zudem auch die Stimme von Songai Sandra Smith und die Gitarre Ted Dunbars (die allerdings erst später zu hören sein wird). Buster Williams (Hart’s Kollege im auch afrikanisch angehauchten Mwandishi Sextet von Herbie Hancock) spielt Bass und der einzige verbliebene Bläser ist Andrew White, diesmal am Altsax. Er übernimmt Bartz‘ Job gekonnt und klingt auch streckenweise recht ähnlich, mit sattem, grossem Ton. Er setzt über den repetitiven Rhythmus und teilweise auch in die Begleitung eingewobenen Gesang zu einem intensiven Solo an. Nach einem längeren Intermezzo in freierem Rhythmus (Tyner spielt Flöte über Congas und spärlichen Cymbals) folgt Tyner mit seinem Solo über dem satten Groove, den Williams mit einem einfachen Bass-Ostinato prägt. Dann kehrt wieder das Thema zurück und es schleichen sich auch noch zwei, drei Akkorde der elektrischen Gitarre ein.
„Asanta“ („Danke“ auf Suaheli) ist wieder ein Coltrane’scher Hymnus, beginnt mit den „strings“: Williams am Bass und Dunbar an der Gitarre, ganz ähnlich eingesetzt, wie Miles dies auf den ersten Sessions mit Gitarre machte (Ende 1967/Anfang 1968 mit Joe Beck). Zwischen den gesungenen Teilen folgt White mit einem hymnischen Solo, während der Beat sich verfestigt und Dunbar aktiver wird. Dann löst sich das Metrum wieder auf, Williams greift zum Bogen und Smith bringt das Stück zu Ende. Weiter geht’s – ab jetzt ohne Gesang – mit „Goin‘ Home“, ein erdig-funkiges Stück mit einem Bass-Lick und eingestreuten rhythmisierten Gitarren-Akkorden, dazu Tyners Piano-Kaskaden und darüber White mit dem singenden Thema. Williams soliert als erster – leider beginnt hier schon die üble Zeit, was die Aufnahme des Basses betrifft… übersteuert, dumpf und schwammig… aber Williams‘ Solo macht doch Spass. Der rhythmische Teppich verdichtet sich wieder für Whites kurzes Solo, Tyner gesellt sich vorübergehend auch zu den Perkussionisten.
Zum Abschluss folgt – nun auch ohne Mtume – wieder ein langes Stück (das erste ist auch lang, dann folgen zwei kürzere), das Tempo ist schneller, Whites Linie auf dem Altsax ist hektisch, fast boppig, wären da nicht die zickigen Repetitionen. Tyner spielt stark, zweihändig, schnelle Linien lösen sich immer wieder aus dem dichten Spiel und finde wieder zusammen mit den Akkorden… sehr eindrücklich, über einer rasend walkenden Begleitung von Williams und Harts leicht-schwebenden Drums. Der Rhythmus beruhigt sich für Ted Dunbars einziges Solo, es fügt sich erstaunlich gut in den Klang der ganzen Gruppe ein. Dann folgt White mit einem weiteren intensiven Altsax-Solo. Sein Ton klingt in diesem rasanten Tempo streckenweise etwas dünn, was aber sehr gut passt zum Wechsel von gehetzten Läufen und ruhigeren, repetitiven Pasagen. Schliesslich übernimmt Williams mit einem eindrücklichen Solo. Dann folgt ein zunächst von Piano und Bass dann nur vom Bass begleitetes Schlagzeugsolo (Roach hat das auch ab und zu gemacht, schade, dass man das nicht öfter hört!), vor Tyner nochmal soliert und das Thema wiederkehrt und ein weiteres sehr schönes Album sein Ende nimmt.
Damit endet Tyners Blue Note Zeit, erst 1972 folgte das nächste Album, mit ihm begann eine lange und aktive Phase bei Milestone.
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