Re: McCoy Tyner – The Real McCoy!

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The Real McCoy *****

Tyner hatte 1965 mit Coltrane unglaublich intensive Musik aufgenommen. Dann, nachdem er Coltrane Ende 1965 verlassen hatte, nahm er 1966 für Blue Note an einer ganze Reihe völlig anderer Session mit Hank Mobley, Lee Morgan, Donald Byrd, Lou Donaldson und Stanley Turrentine teil. Einzig Bobby Hutchersons starkes „Stick Up“ sticht aus dem Schema des simplifizierten Hardbop heraus.
Nach fast zweieinhalb Jahren nahm Tyner dann im April 1967 wieder ein Album unter eigenem Namen auf, im Quartett mit Elvin Jones (der Coltrane um dieselbe Zeit verliess wie Tyner) – der Referenzpunkt ist klar: das klassische Coltrane Quartett. Joe Henderson spielt Tenor, Ron Carter ist am Bass. Diese erstklassig Gruppe nimmt fünf Stücke auf, die allesamt zu Klassikern wurden (ausser „Blues on the Corner“ sind sie glaub ich auch alle im „Real Book“ gelandet). Die Titel sind einigermassen sprechend: „Passion Dance“ eröffnet das Album intensiv und fröhlich, „Contemplation“ bietet eine lyrische Innenschau. „Four By Five“ ist ein Spiel mit Vierer- und Fünfertakt (soliert wird aber nur über den schnellen 4/4), „Search for Peace“ ist eine weitere lyrische Exploration, und „Blues on the Corner“ schliesslich ist eine catchy Blues-Linie, eine Kindheitserinnerung Tyners an Philadelphia, als sie eben „on the corner“ rumhingen.
Henderson spielt resolut und stark, seine Soli loten die Grenzen des Tonalen aus, sprengen aber nie den Rahmen. Tyner spielt seine klassischen Call-and-Response Patterns, sein Stil ist mittlerweile gefestigt. Seine Kompositionen sind stark und sanft, komplex und einfach. Rhythmisch wechseln sie zwischen 3/4, 4/4 und 4/5, harmonisch sind sie einfach und reduziert, melodisch verwinkelt und kantig, und die schnellen Tempi kreieren eine Art Trance, die auch die zunehmende Bedeutung afrikanischer Elemente in Tyners Musik verdeutlichen. In 37 Minuten liefert Tyner ein erstes definitives Statement ab.

In den Liner Notes zum Album „Cosmos“ (wiedergegeben im Booklet zu Tyners „Mosaic Select“ 3CD Set, S. 12-14, hier 12f.) schreibt Billy Taylor folgendes:

When Trane explored new melodic resources such as modes and other types of scales, McCoy began to explore new harmonic resources such as chords built in fourths and chords with altered intervals which were not considered as restrictive to the soloist as traditionally voiced chords. The drone-like pedal point patterns which he favored at this time gave rise to a new sense of sonority and McCoy Tyner began to seriously define his musical vocabulary.
Elvin Jones and Jimmy Garrison were players who insisted on maintaining high energy for long periods during a performance, so McCoy developed a personal approach to rhythmic playing which was much more robust than his earlier, more subtle efforts.
When at last he formed his own groups, his musical concepts were well defined. He could return to some of his early influences like Bud Powell and Thelonious Monk and re-examine those aspects of his playing and put them into the proper perspective and though he wished to retain the spontaneity which characterized so much of his work he could now concentrate o nother aspects as well; beauty, African roots, form, structure in a more traditional sense and above all, his music as a reflection of life around him as well as a medium of personal expression.
McCoy Tyner is a deeply religious man and in his music one finds peadefulness, love of God, concern for unity and discipline, clarity of ideas and a sincere, natural approach to sharing, rarely found in music today. In his view, his music accurately reflects who he is and what he stands for, so in addition to the aforementioned qualities, one also finds power, anger, frustration and all of the other emotional qualities that a sensitive, passionate man must express to maintain his emotional balance as he tells his story musically.

Tender Moments ****1/2

Für sein zweites Blue Note Album bekam Tyner im Dezember 1967 die Chance, für sechs Bläser zu arrangieren: Lee Morgan (t), Juliann Priester (tb), James Spaulding (as,fl), Bennie Maupin (ts), Bob Northern (frh), Howard Johnson (tuba). Neben Tyner bestand die Rhythmusgruppe aus Joe Chambers und dem Bassisten Herbie Lewis, der auf den meisten Blue Note Sessions dabei sein würde. Vom Blech soliert vornehmlich Lee Morgan, den Starsolisten der Band. Priester, Northern und Johnson werden vornehmlich in den Ensembles eingesetzt. Maupin gehörte von 1968 bis 1970 zur Gruppe von Morgan, danach spielte er ebenso wie Priester in Herbie Hancocks Mwandishi Sextett. Spaulding und Chambers gehörten in jenen Jahren zum Blue Note Stammpersonal.
Die Arrangements sind spannend, eigenartig, schrullig, es gibt Tempowechsel, unerwartete Modulation etc. Tyner arbeitet mit Texturen, Klanggeweben… die Besetzung ist übrigens ziemlich nahe mit der „Birth of the Cool“ Band verwandt: man bräuchte nur die Flöte wegzulassen und Maupin ein Barisax in die Hand zu drücken und voilà.
Im ersten Stück steuern Morgan, Spaulding (as) und Maupin gute Soli bei, richtig spannend wird’s aber im zweiten, „Man from Tanganyika“, das zwischen 4/4 und 6/8 wechselt. Spaulding soliert auf der Flöte, Priester bläst sein einziges Solo des Album, dann gelingt es Lee Morgan sogar für den ersten Teil seines Solos auf die üblichen virtuosen Läufe zu verzichten (was Priester sowieso macht, auch deshalb ist er ja gross!) – ein ganz wunderbares Stück, auch mit starkem Ensemblespiel, vor allem Howard Johnson ist immer stark zu spüren. Im Monk gewidmeten „The High Priest“ spielt Maupin ein kraftvolles, kantiges und ausgespartes Solo, das monkiger daherkommt als Tyners eigenes Solo. „Utopia“ ist dann wieder ein Highlight, ein äusserst stimmungsvolles Stück, das Lewis mit einem einfachen Lick am Bass eröffnet, bis nach einer Weile das ganze Ensemble dabei ist. Das Tempo wechselt, im Thema plötzlich. Dann bläst Spaulding, der im Ensemble Flöte blies, ein erstes Solo auf dem Alt. Morgan folgt mit einem tollen Solo, u.a. mit motivischen Variationen. Dann Maupin, einfach, muskulös – er schien in dieser Zeit überall reinzupassen, von Marion Brown zu Horace Silver und Lee Morgan – und bis heute ist er leider nicht als der grosse Musiker anerkannt, der er ist. Dann folgt mit „All My Yesterdays“ der einzige „zärtliche Moment“ des Albums – sehr schön, wie das Thema präsentiert wird, der Anfang erinnert mich entfernt an Herbie Hancocks „Speak Like a Child“. Tyners Solo ist ein Meisterstück, Sparsamkeit, Auslassung… wunderbar! Zum Abschluss folgt „Lee Plus Three“, wie der Name sagt ein Feature für Morgan mit der Rhythmusgruppe. Da fällt auch das nuancierte und offene Spiel Joe Chambers‘ richtig auf, toll, wie er zusieht, dass der funky Groove, den Lewis legt, nie klischiert wird, wie er Morgan und Tyner für ihre Soli Raum schafft.

Time for Tyner ****

Das dritte Blue Note Album enstand im Mai 1968 – laut Berendt war Tyner in der Zwischenzeit, vielleicht auch zwischen „Real McCoy“ und „Tender Moments“ [edit: Ja, laut Liner Notes zu „Expansion“ im Oktober 1967!], auf einer „Art Wallfahrt [in] Japan“ (Fenster aus Jazz, S. 79), da er sich sehr für Meditation interessiere, sich „von den Gedanken an physische, materielle Dinge“ (so zitiert Berendt Tyner) befreien wolle. Ich will nicht behaupten, dass man das diesem Album anhören würde, war man ihm aber anhört ist der zunehmende Einfluss afrikanischer Rhythmen auf die Musik. Das erste, 12 Minuten lange Stück heisst „African Village“ und entwickelt einen trägen, groovenden Sog, der sich langsam in eine Art Trance steigert. Herbie Lewis‘ kraftvolles Bass-Ostinato zum Eingang, dann seine Flageolett-Töne, die mit den Rhythmen von Freddie Waits (der auch Hausschlagzeuger von Motown war) zusammenfliessen, bevor er wieder zum Ostinato zurückkehrt und Tyner und Bobby Hutcherson, der das Quartett komplettiert, mit dem Thema einsteigen… wunderbar! Und von da an steigert sich die Musik fast unmerklich über mehr als zehn Minuten. Das zweite Stück heisst „Little Madimba“ und erhielt seinen Namen von einem Mallets-Instrument aus dem Kongo (Ed Williams schreibt in seinen Liner Notes: „McCoy has recorded on the Madimba.“ – davon weiss ich nichts, weiss jemand mehr?). Das dritte Tyner-Original trägt den Titel „May Street“, es beginnt mit einem kurzen Piano-Intro, dann folgt ein Groove, der fast von Hasaan stammen könnte… nur nicht ganz so scheppernd wie auf dessen Atlantic Album. Die Soli werden dann aber über einem swingendenn 4/4 gespielt, nur manchmal scheint Waits für Momente den Puls umzudrehen… er spielt dann auch im Wechsel mit dem Thema ein tolles Solo. Zum Schluss folgen drei kürzere Standards, „I Didn’t Know What Time It Was“, „Surry With the Fringe On Top“, sowie „I’ve Grown Accustomed to Your Face“. Ersteres wird im Thema streckenweise von einer Bass-Begleitung, wie sie mir sonst nur von Mingus aus den späten 50ern vertraut ist, geprägt. Tyner eignet sich diese Standards völlig an, baut sie um – wunderbar! Das Stück aus „My Fair Lady“ spielt Tyner zum Ende unbegleitet (eine Angewohnheit, die er bis heute pflegt, am Ende ein Solo zu spielen).

Die folgenden sechs Sessions für Blue Note (aus den Jahren 1968-1970) wurden von Mosaic in einem Select gesammelt, das noch immer greifbar ist. Sie erschienen als „Expansions“, „Extensions“ und „Asante“, sowie auf dem Doppel-Album „Cosmos“ (ein Teil davon war auch als Bonus Tracks auf dem CD-Reissue von „Asante“ zu finden). Dazu komme ich wohl morgen.

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