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Anonym
Registriert seit: 01.01.1970
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CanzioneSeine Songs sind Schöpfungen, die frei sind von jeglichem Originalen.
Ich glaube, dass hier der Thesen-Gaul mit Dir durchgeht.
So spannend es ist, der Frage nachzuspüren, wie intensiv sich Dylan aus der Tradition bedient, so interessant es auch ist, Dylan als Plagiator zu sehen (auch wenn ich da widersprechen würde) – es kommt mir mehr als kühn vor, die Dimension des Originalen, Innovativen, Bahnbrechenden, das seine Zeitgenossen in den 60ern geradezu bestürzend intensiv empfunden haben, komplett zu leugnen. Selbst, wenn er sich aussschließlich vorgefertigter Sprachbruchstücke bedient hätte – allein die Ineinanderschachtelung von hochkulturellen Lesefrüchten, Hipster-Slang-Ausdrücken, aktuellem Straßenjargon und Bibelton war in dieser Form zuvor wohl zumindest im Popsong-Kontext noch nie da. Und wie kann man Lieder wie „Visions of Johanna“, „Ballad of a Thin Man“, „Like a Rolling Stone“ oder „It’s alright Ma I’m only bleeding“ nicht als Erzeugnisse von sprachlicher Originalität und innovatorischer Kraft empfinden? Selbst, wenn man darin Zitate, Übernahmen, vorgeprägte Phrasen nachweisen kann – diese Texte auf die Dimension des Plagiatorischen oder gar Epigonalen zu reduzieren, kommt mir außerordentlich abwegig vor. Diesen einen Aspekt derart zu verabsolutieren, wäre in etwa so, wie das Neue Testament als „Abhandlung über antike Folter- und Hinrichtungstechniken“ zu definieren.
Was Dylans Umgang mit Worten und Ideen anderer betrifft: Er ist wohl am besten als lax zu bezeichnen. Weder hat er mit Hilfe von Fußnoten nachgewiesen, wo er überall geklaut hat, noch hat er versucht, seine Diebstähle systematisch zu tarnen und zu vernebeln. Dass er sich recht schamlos und offensichtlich bei anderen bediente, war den Zeitgenossen zum Teil selbstverständlich klar (siehe die Äußerungen von Alan Ginsberg und diversen anderen dazu in Scorseses Dylan-Doku) – es gab da schlicht nichts zu enthüllen und zu enttarnen, es lag einfach auf der Hand. Dennoch empfanden sie diese Texte als bahnbrechend, als atemraubend „neu“.
Kurzum: Ich teile Dein Interesse für Dylans Diebstahls-Akte. Ich halte es aber für sehr falsch, geradezu für grotesk verfremdend, das Werk auf die Dimension des Diebstahls zu reduzieren (genauso falsch, wie ihn als durch und durch originales Dichtergenie zu missverstehen).
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