Re: Stereolab, ou: The Groop

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Stereolab scheinen entweder

a) stinkend langweilig
b) schon bis zum Überdruss bekannt
oder
c) völlig unbekannt

zu sein, so dass sich niemand – außer mir – findet, der über sie reden möchte. Schade eigentlich, aber das soll mich nicht hindern, öffentlich über sie nachzudenken. ;-)

Nachdem The Lab EMPEROR TOMATO KETCHUP schon teilweise von John McEntire produzieren ließen, engagieren Sie ihn auch wieder für ihr nächstes Album. DOTS AND LOOPS, das 1997 erscheint, wird größtenteils in Chicago von JMcE aufgenommen, 3 Stücke aber auch in Düsseldorf von Andi Toma. Letzterer ist eine Hälfte des deutschen Elektronik-Duos Mouse On Mars, das in den USA auf dem gleichen Label veröffentlicht wie JMcEs Band Tortoise. Es wird also noch kosmopolitischer und durch die Mitwirkung des düsseldorfer Elektronikers wird der latente Einfluss elektronischer Musik auf Stereolab noch ausgeprägter. Das Cover von DOTS AND LOOPS sieht dann auch gleich kühl und technizistisch aus, durch die Farbgebung und die Typographie aber auch schon wieder stylisch und irritierend. Der Titel DOTS AND LOOPS wirkt ohnehin wie programmatisch.

Das erste Stück BRAKHAGE beginnt dann auch gleich mit einem stotternden elektronischem Klang, der aber von einem monoton federnden Groove überblendet wird, zu dem ein Vibraphon ein kleines Motiv spielt. Laetitia Sadier und Mary Hansen singen dazu parallel zwei erschiedene Melodien. Ein paar Keyboard-Tupfer mischen sich dazu und hier und da tritt das Vibraphon auch mal etwas mehr in den Vordergrund. Entspannt, gleitend und elegant, wie mit einem fast jazzigen Flair wirkt das. Keine Gitarren, nix mehr Rockmusik! MISS MODULAR (die Single der Platte) ist dann etwas konventioneller, mit akustischer Rhythmusgitarre, einem geschmeidigen Bläser-Arrangement und einem „doo-li-doo-li-doo“-Chor. Eigentlich ein Ohrwurm, aber mit einem französischen Text kann man wohl keinen Hit landen. DIAGONALS mischt so was wie einen verfremdeten Hip Hop-Beat mit einer Marimba und Bläsern, die sich so anhören, als hätte Gil Evans sie arrangiert. RAINBO CONVERSATION bringt Streicher und einen Hauch von Bossa Nova mit, und PARSEC klingt dann wie Drum & Bass goes Brazil. Das letzte Stück CONTRONATURA beginnt schläfrig verträumt, scheint dann sogar einzuschlummern, so dass nur noch leise ein paar Synthesizer herumquaken und -piepen (typisch Mouse On Mars übrigens) bevor es dann als beinahe so was wie ein Disco- oder House-Stück wieder aufsteht.

Das liest sich so, als sei DOTS AND LOOPS ein bunter Gemischtwarenladen. Stimmt aber nicht! Im Gegenteil: D&L ist die bis dahin rundeste und am geschlossensten klingende Platte von STEREOLAB, da es der Gruppe hier mehr als z.B. auf EMPEROR gelingt, die verschiedensten Einflüsse zu bündeln und einen Klang zu schaffen, der die ganze Platte prägt. Die verschiedenen Elemente werden weniger zitatartig collagiert, sondern geschichtet und verwoben, bis alles ein in verschiedenen Farben schimmerndes Gewebe ergibt. DOTS AND LOOPS wirkt auch viel leichter und eleganter, als alles was The Groop zuvor gemacht hatten, dabei tänzelnd und fast jazzig mit einer Tendenz zum Easy Listening. Mir jedenfalls eine der liebsten Platten von Stereolab, die diesen Sommer bei mir rauf und runter läuft.

Das Stück PARSEC wurde übrigens von Volkswagen für einen Werbespot eingesetzt. Eigenartig, wenn man bedenkt, dass Stereolab auf anderen Platten mit marxistischem Gedankengut aufgefallen waren.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)