Re: Stereolab, ou: The Groop

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friedrich

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EMPEROR TOMATO KETCHUP war die erste Stereolab-Platte, die ich gekauft habe. 1996 gab es ziemlich viel Aufruhr um The Groop, der sich unter anderem in einem Titelblatt der SPEX äußerte („Stereolab erkämpft das Menschenrecht“.) Die las ich damals zwar nicht mehr, aber irgendwie habe ich doch etwas von dem angeblich „next big thing“ mitbekommen, das mich die Brieftasche zücken ließ.

Der Titel EMPEROR TOMATO KETCHUP (dtsch: Kaiser Tomaten Ketchup) stammt von einem obskuren japanischen surrealistischen Sci-Fi-Film, das Cover sieht aus wie eine Op- oder Pop Art Grafik aus den frühen 70ern. Die Platte ist zum größten Teil von dem mir ansonsten unbekannten Paul Tipler produziert (der auch schon MARS AUDIAC QT. co-produziert hatte). Ein kleinerer Teil der Stücke (5 von 13) ist von einem gewissen John McEntire produziert. John McEntire? Das ist der Multi-Instrumentalist und vermutlich das Mastermind bei der Chicagoer Band TORTOISE. Die hatte ebenfalls 1996 das Album MILLIONS NOW LIVING WILL NEVER DIE veröffentlicht, das das 20-minütige Stück DJED enthält. Eine Übung in der Verarbeitung von Kraut- und Prog-Rock-Einflüssen und deren Vermengen mit zeitgenössischer Electronica. Abstrakter als Stereolabs JENNY ONDIOLINE von TRANSIENT RANDOM NOISE, denn im Unterschied dazu nicht im Geringsten an traditionellen Songstrukturen orientiert und rein instrumental. DJED verursachte damals in der Indie-Welt einigen Wirbel.

Stereolab sind auf ETK jedoch deutlich poppiger, und bewegen sich fast immer innerhalb des Song-Formates. Auch ist eigentlich kein Unterschied zwischen den von PT und den von JMcE produzierten Stücken zu erkennen. Dennoch ist TEK ein Sprung nach vorne. Schon das erste Stück METRONOMIC UNDERGROUND hat einen für Stereolab bisher völlig untypischen, monoton-schleppenden funky Groove über den Laetitia Sadier und Mary Hansen immer, immer wieder die gleichen, fast unverständlichen und vermutlich auch sinnlosen Zeilen („crazy, brutal, a torpedo“) singen. Über diesen Groove schichten sich mehr und mehr Instrumentalstimmen, bis sich am Ende alles in einem Zischen und Zerren auflöst. Unmittelbar daran schließt sich aber ein völlig anderes Stück an. CYBELE’S REVERIE beginnt mit Streichern und ist ein umwerfender Popsong auf Französisch. PERCOLATOR ist danach ein kompliziert übereinander geschichtetes Stück im – ich weiß nicht recht: 5/4 Takt? -, bei dem die Basslinie und das monotone Keyboard-Riff völlig unabhängig voneinander zu laufen scheinen. LES YPER SOUND hat wieder diesen Stereolab-typischen „motorischen Beat“ in den sich tuckernde und fiepsende Synthesizer mischen und über den LS und MH gleichzeitig zwei verschiedene Melodien singen.

Die Musik von Stereolab wird auf TEK also nicht nur in sich komplizierter, sie wird auch stilistisch vielfältiger. Elektronisches Geplucker, poppige Ohrwürmer und auch mal ein Stück Gitarrenrock wechseln sich lustig miteinander ab. Manchmal kommt auch alles auf einmal. Dazu kommen auch noch die oft recht bizarren Lyrics von LS. Stereolabs musikalische Einflüsse und Inspirationen sind nicht mehr so offensichtlich zu erkennen. Stereolab plündern zwar immer noch lustvoll den obskureren Teil der Popgeschichte, aber es gelingt ihnen, ihre musikalischen Beutestücke so in ihre eigene Musik zu integrieren, das etwas völlig Neues entsteht.

TEK ist das bis dahin poppigste, aber auch gleichzeitig vielfältigste und damit komplizierteste Album von The Groop. Oft wird es als die herausragende Platte im Oeuvre von Stereolab bezeichnet. Definitiv eine sehr gute Platte und unbedingt zu empfehlen. Für meine Ohren droht sie in ihrer Vielfalt manchmal aber auch in ihre Einzelteile zu zerfallen, was mir das Durchhören der gesamten Platte etwas schwer macht. Insbesondere, da ich inzwischen weiß, dass Stereolab noch bessere und stimmigere Platten machen würden.

Im UK kam TEK aber immerhin auf Platz 27 der Charts und brachte Stereolab damit ein Stückchen weiter ins Bewusstsein der Musik hörenden Öffentlichkeit.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)