Re: Stereolab, ou: The Groop

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friedrich

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Ich muss mich ein einem Punkt korrigieren: Stereolab haben in ihrem Heimatland Großbritannien (glaube ich) ausschließlich auf ihrem eigenen Label DUOPHONIC veröffentlicht. Für Länder außerhalb von GB gab es einen Deal mit ELEKTRA. Offenbar aber auch nicht für alle Aufnahmen und Formate, denn Vinyl und offenbar so manche Compilation wurde und wird wiederum von TOO PURE vertrieben. Verstehe das, wer will. Ist letztlich auch fast egal. Interessant ist nur, dass Tim Gane und Laetitia Sadier immer darauf bestanden haben, völlige Freiheit und Unabhängigkeit bei der Veröffentlichung ihrer Musik zu haben. Die haben sie auch ausgenutzt.

In jedem Fall habe ich festgestellt, dass der Back-Katalog von Stereolab interessanter und besser ist, als ich gedacht habe. Daher habe ich mir inzwischen auch das 1994 auf TRANSIENT RANDOM NOISE folgende Album MARS AUDIAC QUINTET zugelegt. Der Titel ist eine Collage aus Wörtern aus verschiedenen Kontexten: MARS ist wohl der Name eines Verstärkers, AUDIAC ist irgendein medizinisches Gerät und QUINTET spielt auf z.B. die Bezeichnung von Jazzbands an – eigenartiger Weise spielen The Lab auf MAQ aber als Sextett. Das Cover zeigt eine grell farblich verfremdete Fischaugenaufnahme eines alten Synthesizers mit jeder Menge Knöpfen und Buchsen. Sieht aus, als sei das der Planet der elektronischen Klangerzeugung.

Mit MAQ geht The Groop einen deutlichen Schritt in Richtung Pop. Die Stücke sind knapper und melodischer, die Gitarren-Drones treten etwas zurück zugunsten von Keyboards. Auf PING PONG gibt es Bläser zu hören. Es bleibt aber der Einfluss von Sixties-Underground, Krautrock und anderem bestehen. Höre ich auf TRANSONIA FIVE nicht sogar ein Zitat von Canned Heat’s ON THE ROAD AGAIN? Und wird auf OUTER ACCELORATOR der Drumbeat von NEU!s HALLOGALLO nicht fast eins zu eins kopiert? THE STARS OUR DESTINATION könnte direkt ein Titel von Sun Ra sein, der Text auch („In a fluid and shifting / Creative and destructive / Like a water planet“ / Conjunction of opposites / Active, passive principles / Freedom…fire… / Fame, glory, fire, water / I will drink fire…“), die Musik aber überhaupt nicht. Dazu kommen süße, teilweise auf Französisch gesungene Popmelodien, billige Rhythmus-Boxen und der immer leicht trashig wirkende Klang von Farfisa- und Vox-Orgel und Moog Synthesizer. Stereolab verstehen es aber, das alles zu integrieren, so dass keineswegs ein beliebiger Gemischtwarenladen entsteht, in dem die Dinge zusammenhanglos nebeneinander stehen. Am Ende klingt die Platte nämlich wie aus einem Guss. Ein augenzwinkerndes Vergnügen mit der Retro-Avantgarde. Den Abschluss bildet das eher untypische FIERY YELLOW, ein understatetes Instrumental mit Marimba, dass schon etwas in die experimentellere Richtung deutet, die Stereolab auf späteren Platten noch nehmen werden.

Ein paar Worte noch zu den Texten von Stereolab. Immer wieder tauchen dort politische Themen auf. Nehmen wir z.B. mal PING PONG:

„it’s alright ‚cause the historical pattern has shown
how the economical cycle tends to revolve
in a round of decades three stages stand out in a loop
a slump and war then peel back to square one and back for more

bigger slump and bigger wars and a smaller recovery
huger slump and greater wars and a shallower recovery“

Wie bitte? Ist das aus dem Handbuch „Marxismus-Leninismus für Anfänger“ abgeschrieben? Marxistische Plattitüden, die seit 1989 doch sowieso kein vernünftiger Mensch mehr glaubt. Und das auch noch als Text eines Popsongs, der eher eine Stimmung verbreitet wie I’M WALKING ON SUNSHINE? Laetitia Sadier trägt diese Zeilen eigenartig verschraubt vor („e – conomical cycle tends to re – volve / … / bigger slump and bigger wars and a smaller re – covery“) und Mary Hansen singt mit ihrer süßen Mädchenstimme im Hintergrund dazu „ba ba ba di bam“. Das passt doch überhaupt nicht zusammen! Wie darf man das verstehen? In Interviews hat Tim Gane gelegentlich erwähnt, dass ihm Politik in seiner Musik nicht so wichtig ist, LS betont aber, dass es ihr damit durchaus ernst ist. Aber kann man das als Hörer ernst nehmen? Ich jedenfalls nicht. Für mich hört es sich so an, als würde man all die musikalischen Versatzstücke der Retro-Pop-Avantgarde auch noch mit ein paar textlichen Versatzstücken der selbst ernannten politischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts versetzen. So finde ich es dann schon wieder witzig.

Gute Platte, mit 67:00 vielleicht etwas lang, aber auf jeden Fall empfehlenswert.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)