Re: Steve Coleman und M-Base

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fef

Registriert seit: 05.04.2010

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(Thread-Umbenennung – kein Problem!)

Für mich hat Colemans Musik sehr viel „Bauchelement“ und „cool“ ist so eine Sache: Er ist insofern eher „cool“, als er weniger auf expressive Klangfarben setzt (völlig im Gegensatz zu den Free-Jazzern). Allerdings: Wenn man z.B. das 1. Stück der neuen CD hört, dann kommt da einem schon eine ordentliche Wucht an Sound entgegen. In jungen Jahren wirkte seine Musik gewiss wesentlich cooler. Aber auch damals spielte er durchaus auch mit schneidendem Ton, z.B. im Laufe des folgenden Stückes: http://www.m-base.org/rhythm_people_mp3_files/aint_goin_out.mp3

Ich sehe den schwierigen Punkt darin, dass Coleman zunächst einmal ganz stark auf der rhythmischen Ebene innovativ war, und für die Rhythmik haben wir wenig Background. Er hat sich bereits in jungen Jahren mit westafrikanischer Musik beschäftigt und von daher kommt meines Erachtens etwas, mit dem Chano Pozo Dizzy Gillespie faszinierte: Das Übereinanderlegen von Patterns (Multi-Rhythmus statt dem Mono-Rhythmus des Jazz, sagte Gillespie, Autobiographie). Ich sehe es so, dass der traditionelle Jazz-Rhythmus eher ein vielfältiges Durchbrechen eines geradlinigen Beats ist – bis zur völligen Auflösung. Eine andere Methode, rhythmische Dichte herzustellen, ist in meinen Augen das Übereinanderlegen ziemlich konstanter, sich reibender Patterns. Das macht ja Coleman – allerdings in sehr eigener Art: mit oft ausgesprochen „ungeraden“ Zyklen, während die afrikanischen angeblich meistens auf 2 und 3 beruhen. Ich denke, dass diese verschiedenen übereinandergelagerten „ungeraden“ Rhythmen für den Jazz deshalb bedeutend sind, weil sie eine gewisse Indifferenz erzeugen, einen schwebenden, fließenden Zustand, der der „freien“, flüssigen Art des Improvisierens im Jazz förderlich ist. Die afrikanischen sind im Verhältnis dazu eher starr. Ich finde, das ist ein konstantes Problem von Latin-Jazz, Fusion usw.: Die Rhythmen wirken im Verhältnis zu den Jazz-Improvisationen steif und die Improvisationen im Verhältnis zu den Rhythmen seltsam abgehoben. Bei Colemans Rhythmen entsteht eine fließende Vielschichtigkeit, die dem Improvisator viele Ebenen bietet, auf die er springen kann. Coleman ist darin wahnsinnig gut. Er tanzt und spielt mit den Rhythmen virtuos. Und das ist in meinen Augen (vor allem in seinen jungen Jahren) zunächst einmal der stärkste Punkt. Coleman ist ein Box-Fan (wie viele Jazzer früher) und hat einen Artikel über die Parallelen von Boxen und Improvisieren geschrieben: http://www.m-base.com/sweet_science.html Auszüge in Deutsch: http://www.jazzseite.at/Zur_Musik_von_Steve_Coleman/text_I13.html
Mich fasziniert das Spiel mit Körperbewegung, Gewandtheit, Tanz, Rhythmus … und ich hab fand von da her begonnen, den Jazz anders zu sehen: Ich fand das auch bei Armstrong, natürlich extrem bei Parker usw.. Ich begann Improvisatoren als Tänzer zu sehen: Da gibt es die schlanken, drahtigen, die durch Gewandtheit und Eleganz bestechen (Coleman) und dann gibt es massige, schwere, mächtige, die mit ihrer Kraft und Wucht beeindrucken (Coltrane) usw. …

Um auf „cool“ zurückzukommen: Coleman bezeichnet Miles Davis als „Farben-Spieler“. Ich denke, Davis spielte virtuos mit Stimmungen (vor allem mithilfe von Klangfarben) und damit erreichte er perfekt die „Seelen“ der Hörer. Coleman liegt auf einer anderen Linie: Soweit sein Ton (vor allem in jungen Jahren) „cool“ war, war er es nicht deshalb, weil er sanft wie Lester Young oder „Birth of the Cool“ sein wollte, sondern weil es um affenartige Gewandtheit ging.
Später gewannen andere Aspekte an Bedeutung und heute ist er nicht mehr so schnell, wirkt weniger „cool“ – mehr „seelenvoll“, avancierter …

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