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gypsy tail windUnd, lieber Fef, hast Du denn Deine Hausaufgaben gemacht und Parkers Savoy und Dial Sessions (um mal einen Anfang zu machen… danach weiter mit den frühen Jay McShann Aufnahmen, den unzähligen Live-Mitschnitten, den Verve-Sessions…) studiert? Und von da dann zurück zu Lester Young? Und weiter zu … was weiss ich, Sonny Stitt, Lou Donaldson, Phil Woods, Cannonball Adderley, Gigi Gryce, Sonny Criss, Eric Dolphy, Charles McPherson… ? (Oder hast Du davon auch nur Attrappen in der bildungsbürgerlich gutsortiert dargebotenen Musiksammlung? )
Naja, „studieren“ tu ich das nicht so. Ich „liebe“ es mehr. Aber bei weitem nicht alles. Mir geht es um ein Gefühl für das, was abhebt, strahlt oder so. Ich bin nicht der Sammler-Typ. Es kann ja interessant sein, zu schauen, wo einer herkommt und wo er hingeht. Aber irgendwie kommt mir vor: Je größer die Menge, desto mehr sinkt der Durchschnitt. Auch kann ich nicht ständig Musik hören. Es nimmt auch der Musikgenuss mit der Menge ab. Deshalb geht es mir schon seit langem um eine Art „Essenz“. Ich hab ein Radio bei laut.fm laufen, das ich „Jazz-Essenz“ nenne: http://www.laut.fm/jazzessenz Dafür hab ich lauter Stücke ausgesucht, die meines Erachtens eine Art Spitze der Jazz-Geschichte darstellen – nach dem, was ich glaube, im Laufe der Jahre mitgekriegt zu haben. Ich hör das selbst viel und gerne.
Ich hab halt das Übliche über Jazz gelesen. Aber wenn ich Steve Colemans Text über Charlie Parker (http://www.m-base.com/the_dozens_parker.html) lese, dann denke ich mir: Ich hab keine Ahnung. Das geht viel tiefer, als ich es mir vorgestellt habe. Ich glaub, ich spür nur ein wenig, worum es geht. Schließlich stehe ich schon seit langem sehr auf Parker. Colemans sonstige Texte enthalten oft viel an mehr oder weniger esoterischen Bezügen, die mir absolut nicht liegen – bzw. nur, wenn ich sie als eine Art Bildersprache verstehe und in meine eigene „Philosophie“ übersetze. Aber mir vermitteln seine Texte eine Insider-Sicht des „Jazz“ (er lehnt den Ausdruck „Jazz“ ab – aus guten Gründen, wie ich allmählich verstehe), die mir wertvoll ist.
Im Übrigen: Vijay Iyers Musik liegt mir auch nicht. Von Osby mag ich ein paar Sachen echt gern. Cassandra Wilson hat zu einer Zeit, als sie bereits bei Blue Note war, gesagt, ihr bestes Album sei „Jump World“. Ich hab das irgendwo einmal gelesen. Und es entspricht genau meinem Eindruck. Ein paar Songs von diesem Album finde ich nach wie vor super. Die Blue-Note-Sachen interessieren mich nicht so. Es gibt aus der letzten Zeit allerdings folgendes Video: http://www.youtube.com/watch?v=WUny2g-FpCE
In diesem Song kommt später Steve Coleman dazu und ich krieg eine Gänsehaut, wenn er auf seinem Saxofon zu „singen“ beginnt – wie er die Melodie in einen immer größeren Raum entfaltet, wie Cassandra Wilson davon angetan ist … und dann kommt der Punkt, wo sie irgendwie verwirrt wirkt, als könnte sie nicht mehr richtig auschecken, wohin die Reise geht. Man ist da überfordert: Man spürt zwar genau, dass diese Linien völlig logisch, organisch aufgebaut sind, aber man checkt das System nicht mehr. So entsteht eine Dimension, die einen übersteigt, und wenn man trotz der Überforderung mitgeht, stellt sich der Eindruck ein, an etwas Aufregendem (vielleicht Transzendierem) teilgenommen zu haben. Als es in diesem Song (für Wilsons Publikum) schon etwas schwierig geworden ist, ruft sich Wilson in Erinnerung, Coleman nimmt sich zurück und beginnt mit dem Groove zu spielen – das find ich auch lässig. So ungefähr erlebe ich diesen Song.
Ich denke, letztlich erwies sich „M-Base“ vor allem als das kreative Potential von Steve Coleman – PLUS vieler toller Beiträge fabelhafter Musiker, die später bei weitem nicht mehr das erreichten, was sie bei Coleman zustande brachten. Z.B. war absolut irre, was Marvin „Smitty“ Smith bei Coleman spielte. Tyshawn Sorreys Beiträge ebenso … da gibt es eine Menge großartiger Beiträge. Doch scheint alles an der „Institution“ zu hängen, die Coleman (trotz des Jazz-Business, das mit ihm nichts anfangen kann) darstellt.
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