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Europa-Tournee, Herbst 1961
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Vom 11. November bis am 4. Dezember spielte Coltranes Quintett mit Eric Dolphy (as,bcl,fl), McCoy Tyner (p), Reggie Workman (b) und Elvin Jones (d) zusammen mit Dizzy Gillespies Quintett auf einer „Jazz at the Philharmonic“ Tour von Norman Granz. In Paris gab’s am 18. November wie schon im März 1960 mit Miles einige Buher für Coltrane, besonders ablehnend jedoch scheint der Empfang in England gewesen sein – Coltrane sollte danach nie mehr in England auftreten.
11. November – Gaumont State, Kilburn, London (18:45 und 21:00)
12. November – Hippodrome, Birmingham (17:30 und 20:00)
13. November – St. Andrew’s Hall, Glasgow
14. November – City Hall, Newcastle
15. Novmeber – De Montfort Hall, Leicester
16. November – Dome, Brighton
17. November – Granada, Walthamstow, London (19:00 und 21:10)
18. November – Olympia, Paris (18:30 und 23:30)
19. November – Kurhaus, Scheveningen (vermutlich ein Konzert am Nachmittag und eins am frühen Abend)
19. November – Concertgebouw, Amsterdam (23:00)
20. November – Falkoner Centret, Kopenhagen (20:00)
21. November – Konserthuset, Göteborg (19:15 und 21:30)
22. November – Kulttuuritalo, Helsinki (19:15 und 21:15)
23. November – Konserthuset, Stockholm (19:00 und 21:15)
24. November – Niedersachsenhalle, Hannover (20:00)
25. November – Musikhalle, Hamburg (19:00 und 22:00)
26. November – Falkoner Centret, Kopenhagen (20:00)
27. November – Liederhalle, Beethoven-Saal, Stuttgart (20:00)
28. November – Rheinhalle, Düsseldorf (20:00)
29. November – Kongresshalle, Frankfurt am Main (20:00)
30. November – Lessingtheater, Nürnberg
1. Dezember – Deutsches Museum, München (20:00)
2. Dezember – Freie Universität, Audimax, Berlin (18:00 und 21:00)
4. Dezember – Südwestfunk TV Studio, Baden-Baden
Unglaublich! Nur ganz zum Ende, vor der TV-Aufzeichnung („Avant Garde in Jazz“, die 26. Sendung von JE Berendts „Jazz – Gehört und Gesehen“ TV-Show) hatte die Gruppe einen Tag Pause! Am 19. November spielten sie sogar drei Konzerte und mussten vor dem dritten noch nach Amsterdam fahren!
Das Konzert vom 26. November wurde anscheinend kurzfristig noch reingeschoben, weil dasjenige vom 20. restlos ausverkauft war (wie Norman Granz in seiner Einführung am 20. ankündigt).
Hier die zweite Hälfte einer in „Coltrane Reference“ (mit genau den selben Auslassungen) wiedergegebenen Besprechung von Daniel Halperin in Jazz News („The Recent Musical Shock,“ Wednesday, Nov. 22, 1961, p. 9):
When we come to Coltrane, the reaction was even more violent. I know a couple of people who walked out of the first Kilburn set to drown their sorrows in a nearby pub until Dizzy should appear.
Admittedly, Coltrane was quite uncompromising. He […] made no concessions whatsoever. His stage presence was nearly nil. He played hard-to-grasp choruses of inordinate length. And he was followed by Dolphy and backed by Elvin Jones, two performers who never compromise.
This adult formula proved too much for a great many people [and] their inability to grasp the music made them so intensely uncomfortable that they blamed the whole blindness on Coltrane and Dolphy. For, of course, no audience ever considers itself inadequate. […]
My position is this: Coltrane, Dolphy and Company gave us the most exciting, the most delightfully demanding music ever heard on the British jazz stage. It was an uncompromising triumph.~ Coltrane Reference, 237
Ein erboster Fan, der sich „Wellington Holliday“ nannte, hat in dem Jazz Journal (Aug. 1962, pp. 34, 36) einen lustigen Leserbrief geschickt:
I heard this [Coltrane/Dolphy] Group in Glasgow and after the first numbers I crept quickly outside and had myself a few haufs of the crater.
Thus fortified I returned to my seat but the group still sounded awful. Being Scoth and traditionally mean, I felt extremely annoyed at having paid the top price for my seat. I was even more annoyed at having partaken so liberally of our national beverage to no avail.
When Dolphy came forward again to solo I knew his piece would last about fifteen minutes so I stole out of my seat again and nipped round the back to confront Coltrane who was listening at the side of the stage in rapt attention to what Dolphy was doing with his flute!
Coltrane was rather taken aback at finding me at his elbow and being a semi-professional drummer I thought I would complain first about Elvin Jones [who] sounded like the worst the professional drummer I have ever heard in my life. […]
I asked Coltrane if his drummer was kidding and if there was any hope of him getting down to some serious playing. Coltrane looked at me aghast and said, „Ah don’t know man.“ I then asked if the set was going to continue in a similar manner and Coltrane replied, „Ah don’t know man.“
After these two devastating replies I decided to withdraw in case I did something irresponsible which might have lead [I]sic to my apprehension by the local gendarmerie.~ Coltrane Reference, 237f.
:lol:
Aufnahmen existieren aus Paris (beide Konzerte), Kopenhagen (Nov. 20), Helsinki (zweites Konzert), Stockholm (auf Live Trane, da fehlt nur das unvollständige „Naima“ vom 2. Konzert), Frankfurt (oder Stuttgart, da herrscht Verwirrung, auch bei mir) und Berlin (nur „Impressions“). Dazu natürlich die TV-Sendung vom 4. Dezember.
Das Konzert aus Paris erlaubt es uns, zwei ganze Sets (also die beiden Coltrane Sets aus beiden Konzerten des Abends, vor oder nach Coltrane spielte jeweils Dizzy Gillespie) zu hören. Mehr von der Musik, die LeRoi Jones/Amiri Baraka gerne dokumentiert gesehen hätte… In beiden Sets gibt’s über 20 Minuten lange Versionenen vor „My Favorite Things“ mit grandiosen Soli von Coltrane und Dolphy (Flöte), auch in beiden sind die Ballade „I Want to Talk About You“ (ein alter Standard, den Coltrane zuerst für Soultrane aufgenommen hat) und „Blue Train“ vertreten. Vom ersten Konzert gibt’s zudem noch „Impressions“, das in der Zeit zu einer von Coltranes Paradenummern wurde (neben „My Favorite Things“).
Kopenhagen ist insofern speziell, als es mit Victor Youngs „Delilah“, einem meiner Lieblingsstandards (zu hören auch von Clifford Brown/Max Roach oder Yusef Lateef). Coltrane spielt das Stück auf dem Sopransax, Dolphy soliert – wie könnte es anders sein bei diesem Stück? – auf der Bassklarinette (und gypsy jubiliert!). Es folgt die Ballade „Everytime We Say Goodbye“, von Coltrane bewegend am Sopran vorgetragen – wie schon auf „Central Park West“ (zu hören auf „Coltrane’s Sound“) klingt er auch hier sanft und weich und etwas voller. Dann folgt „Impressions“, danach wieder eine Ballade, „Naima“ (noch immer mit Dolphys Bassklarinette als dem tragenden Solo-Instrument), und zu guter letzt natürlich „My Favorite Things“, inklusive ein „false start“. Die eigentliche Version dauert dann beinahe 28 Minuten! Nach dem missglückten Anfang macht Coltrane eine kurze Ansage und dann geht die Post ab!
In Helsinki spielte die Gruppe die üblichen vier Stücke: „Blue Train“, „I Want to Talk About You“, „Impressions“ und „Things“.
Von Stockholm (1961-11-23) sind wie gesagt beide Konzerte auf der offiziellen Live Trane 7CD Box enthalten, mit Ausnahme eines zweiten, nach 2,5 Minuten ausgeblendete Takes von „Naima“ (vom 2. Konzert). Die Setlist war dieselbe wie Helsinki, mit „Naima“ anstelle von „I Want to Talk“. Vom zweiten Konzert scheint „Blue Train“ auch zu fehlen. Die beiden enthaltenen Stücke vom zweiten Konzert, „Impressions“ und „Things“, sind zudem fälschlicherweise als Paris 1961-11-18 ausgegeben (CD1#1-2).
Vom 27. November aus Stuttgart (Jazzpodium druckte damals fälschlicherweise eine Annonce, in der am 27. das Frankfurter und am 29. das Stuttgarter Konzert angesagt wurde) sind wieder „Impressions“, „Everytime“ und „Things“ erhalten, vom 29. November aus Frankfurt dann „Impressions“ und „Things“, und schliesslich vom 2. Dezember aus Berlin noch eine weitere stürmische Version von „Impressions“.
Ich höre die Musik dieser Tour heute zum ersten Mal so gebündelt (bin derzeit mitten im Helsinki Konzert) und bin beeindruckt von der Kraft und Klarheit, von Coltranes und Dolphys Spiel auf ihren insgesamt fünf Instrumenten. Die Rhythmusgruppe hat seit den Aufnahmen vom Sommer und Herbst 1960 eine weite Reise hinter sich, ist wuchtiger und zugleich auch swingender geworden.
Schade, dass Dolphy nur noch bis Anfang 1962 mit Coltrane spielen sollte, umsomehr, als bei ihm ja auch die Zeit vorüber war, in der er dauernd für Prestige ins Studio konnte, von 1962-64 gibt’s von ihm ja bedeutend weniger (mal von der Mingus-Tour im April 1964 abgesehen).
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Nachtrag (2010-06-14)
Natürlich finden sich die Video-Aufnahmen aus Baden-Baden (1961-12-04, Südwestfunk TV-Studio, Baden-Baden) mit Eric Dolphy (fl on #1, as on #3), John Coltrane (ss on #1, ts on #2 & #3), McCoy Tyner (p), Reggie Workman (b), Elvin Jones (d) auch auf Youtube:
My Favorite Things
Everytime We Say Goodbye
Impressions
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba