Re: "Nimm mich so wie ich bin"? – Die Definition von Schlager (und Pop)

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satiee

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Beiträge: 2,515

Blitzkrieg BettinaDer hat sich aber in den letzten hundert Jahren sehr gewandelt, daher stellt sich fast die Frage ob unsere Diskussion hier überhaupt Sinn macht.
Ich versuche mich mal an einer kurzen Zusammenfassung dieser Entwicklung:
Ursprünglich war „Schlager“ ein Begriff der Melodien aus Operetten bezeichnete, die so populär waren, dass sie von Leuten bei der Arbeit mitgepfiffen wurden etc.
Nach dem 1. Weltkrieg erfolgte ein Bedeutungswandel, Schlager bezeichnete nun eingängige Lieder in deutscher Sprache, die auch gerne sozialkritisch, subversiv oder humoristisch sein konnten.
Nachdem seit den Fünfziger Jahren die angloamerikanische Popmusik immer wichtiger wurde, wurde diese auch teilweise als „Schlager“ bezeichnet, sofern sie eingängig und nicht zu rockig war, die Definition der Zwanziger bestand natürlich weiter, auch wenn das Doppelbödige der Weimarer Zeit so gut wie ganz verschwunden war.

Seit ca. Mitte der Sechziger nahm der Schlager in der heutigen Form Gestalt an: Eingängige Musik, zu häufig klischeehaften Texten, die sich häufig an internationale Vorbilder (ABBA!) zu hängen versuchten.
Während damals allerdings noch durchaus Interpreten mit musikalischer Klasse (Udo Jürgens, Alexandra, Hildegard Knef) unter Schlager gefasst wurden, setze sich die musikalische Verflachung mit der Zeit immer mehr fort, so dass heute kaum noch erwähnenswertes in den Schlager-Charts stattfinden dürfte, und es eigentlich jeder deutsche Pop-Interpret es mit Entsetzen von sich weisen dürfte Schlager zu sein.

Um Korrektur eventueller Irrtümer wird ausdrücklich gebeten.

Nachdem ich mich seit 18.Juni durch die comments gelesen habe, ist für mich
dieser Beitrag der Sachlichste. Der Begriff ‚Schlager‘ stammt ursprünglich aus
dem Wien Ende des 19.Jahrhunderts. Der Sinfoniker Johannes Brahms empörte sich über Johann Strauß‘ Walzerwerke und Rossini’s Opern-„songs“ wegen derer ‚unernster Einfältigkeit‘, die Jedermann nachsingen könne
und diskredidierte sowas als zu ‚einschlagend‘. Der Begriff SCHLAGER ist
unbestreitbar deutschsprachiger Herkunft. Als ‚ordinär‘ weil ihren Texten und
Weisen wegen zu ‚einschlägig‘, wurden gleicher Zeit die sog. „Küchenlieder“
verunglimpft, die übrigens hochoriginell waren.

Allein Brecht’s DREIGROSCHENOPER wandte den Typus des ‚ordinären Schlagers‘ mit Kurt Weil an. Ebenso ironisierte das die tolle DADA-Epoche mit Schlagern wie: „Ach wie schön, man sinkt immer tiefer“;-) bis 1933.
Goebbel’s wußte sofort clever um die Eingängigkeit gängiger Ohrwürmer,
und ließ alles zu, was Schlager systemimmanent verführerisch zuließen.
NS-Schlager dieser Sorte gibt es ohne Ende…“Davon geht die Welt nicht
unter“ ; sie ging es 1945 aber doch.
1946 war der erste und letzte gute Trümmerschlager: „Wir sind die Einwohner von Trizionesien“.
Dann kamen ab den 50ths die Ami’s alias Gus Backus („ham‘ sie schon mal den Mann im Mond gesehen?“), Bill Ramsey oder Billy Mo und wie die ‚Soldier’s alle hießen….sonst Ralf Bendix („Babysitter-Twist“), Peter Kraus,
Ted Herold („Ich bin ein Mann“)….alles Schlager, was sonst.

„English“ blieb auch Anfang der 60er noch out. Freddy Quinn,Lolita,Margot
Eskens, Renate und Werner Leismann und Katarina Valente bestritten die ‚Schlagerparaden‘. Eine ‚Manuela‘ („ich geh noch zur Schule“) fiel auf, wie auch Drafi Deutscher („Mamor Stein…“), als keine geringeren als BEATLES
bereits „Sie liebt Dich“ und „Komm gib mir Deine Hand“ schlagerten.

Schlagen kommt von „ich schlage etwas oder jemanden“. Lennon kam
statt anfänglich „silver beetles“ auf die Reduzierung beAtles, was er von BEAT,
engl. „schlagen“ herleitete….. was auch statt schlagen = „siegen oder gewinnen“ bedeuten kann.
In Lennon’s handschriftlichem Bewerbungsschreiben pro. Engagements auf St. Pauli schrieb er unter Motivation kurz und bündig „get rich“. Er war ein
„Schläger“, ein Beatle:sonne: Der Club auf St.Pauli verhieß „die Zeit der DORFMUSIK ist vorbei“, als der STARCLUB seine legendäre Epoche anhob.

Das spaltete ab Mitte der 60er die deutsche Begrifflichkeit v. Schlager.
Der Bremer Club nannte sich nicht „Schlager-Club“, sondern BEATCLUB.
Von nun ab war von ‚Beat-Musik‘ die Rede, worauf das ZDF alsbald mit
D.T. Heck die TV-Sendung „Deutsche Hitparade“ kontersetzte. Woraus der
Spagat sich erst ergab. Schlager wurde zum deutschtümeligen Schlager
im Kontrast zur entstehenden ROCKMUSIK durch bands wie Hendrix Exp.
Led Zepp, Doors usw. , die brit. „Schlagerbands“ wie Dave Dee Dozy….Chris Andrews usw. über Nacht zu Lachfiguren machten.

Abgesehen von den darauffolgenden Jahrzehnten gibt es in dem einstigen Sinne den „Deutschen Schlager“ heutzutage nur noch in seinen unzerrüttbaren Nischen, wie sie hartnäckig in TV-ARD/ZDF-Sonntags-Vormittagsfrühlingssendungen stattfinden – oder sich per „Volksmusik“ unverwüstlich kompensieren. Ich fand schon immer : so wie der „Schlager“
den II.Weltkrieg überlebte, so bleibt er aufgrund seiner bürgerlich-stoischen Mittelmäßigkeit auch weiteren Untergängen gewachsen. Seiner D-Kientel
gehört ein demografisch wohl ewig über den Dingen befindliches, gleiches Publikum an, das im Stillen immer noch am liebsten singt: „Davon geht die Welt nicht unter“.
Dagegen scheint kein Kraut gewachsen…oder wie meine liebe Omi immer befand: „Unkraut vergeht nicht“. Diese Art DORFMUSIK hat den STAR-
und BEATCLUB gnadenlos überlebt.

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