Re: "Nimm mich so wie ich bin"? – Die Definition von Schlager (und Pop)

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blitzkrieg-bettina

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MikkoDa gibt es auch so’ne und solche, ähnlich wie bei Udo Jürgens. Grundsätzlich rechne ich beide dem deutschen Schlager zu, aber beide haben eben auch anspruchsvolle, chansonartige Lieder gesungen. Udo Jürgens hat übrigens auch Songs für Alexandra geschrieben.

Meine Kenntnisse des Werkes von Udo Jürgens sind nur oberflächlich, aber bei Alexandra bin ich mir sicher dass sie nur deswegen in die Schublade Schlager gesteckt wurde, da sie den damaligen „Anforderungen“ die dieses Genre mit sich brachte entsprach ( jung, hübsch, weiblich, durch ihre östliche Herkunft „exotisch“, die Lieder drehten sich grösstenteils um Themen wie Liebe und Heimat), ich denke in einem anderen Land hätte es eine vergleichbare „Etikettierung“ so nicht gegeben. Sicher haben Lieder wie „Auf dem Wege nach Odessa“ oder „Sehnsucht (das Lied der Taiga)“ sehr schlagerhafte Elemente, die Fernweh war ja in den Nachkriegsjahrzehnten und der damaligen Urlaubs-Aufbruchsstimmung ein grosses Thema, ausserdem könnte man, wenn man will, leicht revanchistische Tendenzen hineininterpretieren, (von wegen die Heimat im Osten die für immer verloren ist), doch es berührt mich doch ein wenig zu sehr, ist dann doch zu tiefgründig, zu melancholisch um dem oberflächlichen Heile-Welt-Kosmos des Schlagers zugerechnet zu werden.
Und Titel wie „Aus!“ oder „Ein leeres Haus“ sind m.E. eindeutig dem deutschsprachigem Chanson zuzuordnen.
Sowie ich dass überblicke wurde sie anfangs ja als Pseudo-Russin vermarktet, (dass auch in dieser Phase ihrer Karriere einige Lieder für die Ewigkeit rauskamen steht auf einem anderen Blatt) und ist später mehr in Richtung Singer/Songwriter gegangen, was auch ihr Wunsch war.

Achja, meine Meinung zum Thema Schlager, bzw. meine Definition desselbigen:
Den Schlager der Weimarer Zeit (Friedrich Holländer etc.) werde ich aussen vor lassen, da er meiner Meinung nach wenig mit dem zu tun hat was man sich heutzutage landläufig unter Schlager vorstellt (zu gewitzt, vielleicht in Ansätzen schon zu sozialkritisch) Der Schlager ca. ab den Sechziger Jahren ist eine Art „Parasit“ der sich in der grossen, weiten Musikwelt umsah, alles mögliche (Jazz, Weltmusik, Beat) aufsog, diese Einflüsse aber von allen Ecken und Kanten befreite, so dass sie auch noch im vom Jägerzaun beschützten Schrebergarten und in Onkel Willis Partykeller auf Akzeptanz stiess. Wahrscheinlich dachte dass damalige Zielpublikum noch es wäre in irgendeiner Weise weltoffen, was noch durch viele Themen (das oben in anderem Zusammenhang bereits zitierte, langsam beginnende Fernweh z.B.)
bestärkt wurde, sowie einen leicht unfreiwillig komisch wirkenden Anstrich von Internationalität – teilweise dadurch, dass die Interpreten aus anderen Ländern kamen, teilweise wurde durch alberne Künstlernamen wie Roy Black, Rex Gildo, Tony Marshall, Ricky Shayne, Chris Roberts eine Hippness, bzw, eine Weltläufigkeit simuliert, die ironischerweise gerade bei doch eher spiessigen Mitbürgern auf Resonanz stiess.
Kurz zusammengefasst: Schlager ist Etikettenschwindel, der gerne grossartiger Pop wie ABBA u.ä. gewesen wäre, dieses Ziel aber bei weitem nicht erreichten, und die Produzenten desselbigen oft grössenwahnsinnig (wie die weiter oben im Thread zitierten Ausführungen von Ralph Siegel in welcher Tradition er sich sieht auf gruselige Weise belegen.)
Dass auch nach diesem System grossartige Lieder wie „Ich liebe das Leben“ von Vicky Leandros entstehen können, steht wieder auf einem anderen Blatt.
(Bitte entschuldigt wenn obiger Absatz etwas zu wertend ausfällt)

Noch ein kleiner Nachtrag zum Thema Neue Deutsche Welle, welche ja hier bereits thematisiert wurde: Meines Erachtens griffen Bands wie Trio oder Extrabreit Elemente des Schlagers auf, sahen diesen allerdings durch eine Punk-Brille und trieben ihn ironisch auf die Spitze, sowie es die Ramones ja ganz ähnlich mit Klischees der damals zeitgenössischen amerikanischen Pop-Musik machten.
Sicher werden Extrabreit-Songs in vielen Bierzelten mitgegröhlt, und auch Stefan Remmler hat nach Trio vieles nicht weiter erwähnenswertes gemacht, aber in den Anfangstagen waren sie sicher durchaus subversiv (dass ich oben die Ramones ins Spiel brachte bedeutet selbstverständlich nicht dass diese auf eine Stufe mit den beiden stelle, aber ich sehe eine durchaus vergleichbare Herangehensweise)
Leider wurde auch die NDW durch Gestalten wie Fräulein Menke, Markus u.ä. völlig ihrer Ecken und Kanten beraubt, so dass auch dieses Genre irgendwann von Mutti beim bügeln mitgepfiffen wurde.

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Man hatte uns als Kindern das Ende der Welt versprochen, und dann bekamen wir es nicht.