Startseite › Foren › Das Radio-Forum › Roots. Mit Wolfgang Doebeling › 16.05.2010 › Re: 16.05.2010
otisIn meinen Augen ist das alles gar mehr eine Jahrgangs- als eine Altersfrage. Musik in den 50s und 60s war in vielfacher Hinsicht ein Lackmustest für einen jungen Hörer. Er hatte Stellung zu beziehen, manchmal schmerzhaft nach außen, immer aber in seinem Inneren.
Ab ca. 68/69 war diese Radikalität für den 14-Jährigen dahin, da hatte Musik immer irgendwo eine Kompatibilität, man war nicht mehr wirklich außen vor. (Der Beatclub war etabliert, die ersten Festivals kamen nach Deutschland, man konnte mit Lehrern über Pop sprechen, der Affront war einfach nicht mehr da.) Egal, was man hörte, wozu man sich bekannte. Auch wenn der eine oder andere sicherlich noch aneckte.Dieses „Bekennerhafte“ steht vielen Älteren ja nach wie vor an die Stirn geschrieben und wird von Nachgeborenen kaum noch verstanden. Es soll hier keineswegs als alleinseligmachend dahin gestellt werden, aber es prägt für ein ganzes Musikhörerleben.
Ein interessanter und nachvollziehbarer Gedankengang – er erklärt dem Nachgeborenen, der sich manchmal wundert, wie sehr der Ältere Fragen des musikalischen Bekenntnisses zu Fragen ums Ganze macht, in der Tat einiges. In den späten 70ern, als ich jung war, musste man seine Musik ja allenfalls noch gegen Gleichaltrige verteidigen, aber nicht mehr wirklich gegen die ältere Generation. Und der Mensch von heute antwortet auf die Frage, was er denn so höre, gerne mit: „Alles mögliche.“ Und meint, sich damit ein Zeugnis für Aufgeschlossenheit und Toleranz ausgestellt zu haben (was dann sogar selbst bereits halbtolerante Nachgeborene wie mich aggressiv macht).
Was mich aber interessieren würde: tops sieht diese Entwicklung ja eher popzivilisationskritisch, als Verfallsprozess – vom heroischen „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“ zur „Klangtapete“. Das „Bekennerhafte“, wie Du es nennst, ist ihm ja nicht nur aus Altersgründen eigen, quasi zwangsweise qua Sozialisation, sondern er tritt auch explizit dafür ein und verachtet den Bekenntnislosen. Du schriebst, Du willst das Bekennerhafte nicht als alleinseligmachend hinstellen. Tickst Du da etwas anders als er?
Ich selber muss sagen: Ich bin da sehr unentschieden. Einerseits neige ich manchmal dazu, die Tiraden der Damals-dabei-Gewesenen als das „Früher war besser“-Genörgel alter Mäner zu empfinden. Andererseits finde ich diese Haltung der Unbedingtheit oft faszinierend und durchaus mitreißend (und vielleicht bin ich dazu selber nicht in der Lage, weil ich nun mal damals nicht dabei gewesen bin).
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