Re: The National- High violet

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ursa-minor

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Wie schon auf Boxer praktizieren The National auch auf High Violet wieder das „Dancing with tears in my eyes“: schöne, einschmeichelnde Melodien zu düsteren Texten.

Wie schon bei Boxer erzählt jedes Lied seine eigene Geschichte, die auch diesmal wieder Kino im Kopf bietet. Von der Schlampe in Bloodbuzz Ohio (die mir von Deathproof oder Planet Terror inspiriert zu sein scheint) über den alten Sack in Lemonworld bis hin zu dem Spießer in Conversation 16, der solange versucht, es allen recht zu machen, bis nur noch der Galgenhumor übrigbleibt („Have my head in the oven so you’ll know where I’ll be“) treffen wir wieder eine Menge Charaktere, die sehr widersprüchlich und nuanciert sind und ein zweites oder drittes oder viertes Hören des Albums interessant machen.

Wie schon bei Boxer finde ich die Melodien und Harmonien und den wohlig-vertrauten Sound des Schlagzeugs einen angenehmen Teppich, eine gute Verpackung für die generell depressive Stimmung der Lyrics.

Boxers „Racing Like A Pro“, das offen Depression ansprach, findet seine Entsprechung in High Violets „Sorrow“, das sein Thema sogar noch deutlicher herausposaunt.

Aber sosehr High Violet auch „Boxer pt. 2“ ist, das Pärchen Racing Like A Pro—Sorrow macht stellvertrend deutlich, dass High Violet eben doch nicht Boxer ist.

High Violet entfaltet bei mir nicht diese Sogwirkung, die Boxer als Album hatte. Hatten die vorangegangenen Alben und EPs vielleicht punktuell die besseren Lieder, so war Boxer für mich immer vielmehr ein geschlossenes Ganzes als seine Vorgänger. Boxer war und ist für mich immer noch mehr als die Summe seiner Teile. Das ist High Violet nicht.

Das heißt nicht, dass die Teile für sich genommen nicht wieder großartige Musik sind. Die Melodien und die Texte setzen sich wieder im Hirn fest, ich überrasche mich, wie ich sie im Laufe des Tages irgendwann vor mich hinsinge.

Aber auch wenn es keinen echten „Ausfall“ auf High Violet gibt, verdient es doch keine 5 Sterne, denn es fehlt so das letzte Quäntchen, das das Album zur Wohlfühldroge macht und mich doch von der Skip-Taste fernhält.

Wie immer kontrastiert Berninger seine depressive Grundstimmung mit dem wunderbaren Humor, der in Zusammenarbeit mit den musikalischen Arrangements verhindert, dass die Verzweiflung der erzählten Geschichten auf den Hörer übergreift. Wer kann einem Album widerstehen, dessen letzte Zeile „I’ll explain everything to the geeks“ lautet?

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C'mon Granddad!