Re: Lena (Meyer-Landrut) ∙ My Cassette Player

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bullschuetz

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pinchIch glaub, selbst in Menschenketten (oder sonst irgendwo in der Pampa angekettet) gabs kein Entrinnen vor dem Siegel-Murks.
Klar, Protestgesang war ständig präsent, im Over- wie auch im Underground. So gesehen berührte das also einen gewissen Zeitgeist schon ein kleines bisschen. Aber so grün und zugleich blauäugig waren wohl echt nur „Vati und Mutti vom Sofa“ aus, die beim Anhören dann das gerechte, gute Friedensgefühl verspürten. Und Siegel wäre nicht Siegel, wenn er nicht diesen ganz bestimmten Trend bedient hätte.

In den Menschenketten kam dieser Murks eher nicht vor – wobei ich die friedensbewegte Musik Anfang der 80er nicht verherrlichen will, denn richtig hip war die schon damals nicht: Joan Baez, Konstantin Wecker und ganz viele Wandergitarren-Coverversionen von blow-ow-ow-ow-owinginthe wind. Und das Trommelgruppen-Unwesen, gemeinsam trommeln, gerne auch im Regen … in der 80er-Friedensbewegungsszene gab es vieles, das ungut an die kulturellen Blödelrituale der doch reichlich benebelten Woodstock-Zeit anknüpfte.

Aber natürlich hat „Ein bisschen Frieden“ an den Zeitgeist angeknüpft: hat ihn banalisiert, verballhornt, spießerwohnzimmerkompatibel gemacht, ausgebeutet. Eine besonders üble Cover-Version, sozusagen. Das Ergebnis war insofern doppelt schlimm, da ja bereits das Original (sprich: die friedensbewegte Szene) ganz und gar nicht frei von alternativ-spießigen, selbstgerechten Zügen war.

Aber eins weiß ich gewiss: Die Mutlangen- oder Anti-AKW- oder Anti-Pershing-II-Demonstranten haben Nicole und ihr Liedchen nicht freudig adoptiert, dafür war in dieser Szene das Bewusstsein, dass dieses Machwerk „verlogen“, „berechnend“ und ideologisch letztlich eben doch reaktionär sei, zu ausgeprägt; und dazu die Selbstironie nicht ausgeprägt genug.

So sehr mich allerdings die Humorlosigkeit der damaligen bürgerlich-breiten Protestlinken anödet – in einem Punkt war früher doch alles besser: Man fand den Chanson-Grandprix einfach doof und hatte noch nicht den Drang, jeden drögen Scheiß halb ironisch augenzwinkernd halb ernsthaft zum „Kult“ oder „Event“ zu erklären. Und da lag man bis heute doch weitgehend richtig, finde ich, auch wenn Lindenstraßen-Schauspieler und Gründer von Quatschklubs das ganz dolle anders sehen.

Lena finde ich aber gar nicht schlimm. ** bis **1/2, um mal im Besternungs-Jargon zu reden.

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