Re: Prince – 20TEN

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cassavetes

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Teilweise putzig zu lesen: die laut.de-Kritik
Die laszive Brutalität rockt alles in Grund und Boden.
Review von Ulf Kubanke

Ein neues Lebenszeichen von ihrer Heiligkeit Prince Roger Nelson! In solchen Momenten spürt man förmlich, wie die Welt kurz inne hält, zu zeugen aufhört und auf ein Wunder biblischen Ausmaßes hofft. Kaum jemand in der musikalischen Königsklasse ist solch einem immensen Erwartungsdruck ausgesetzt. Und niemand inszeniert sich jedes Mal so narzisstisch zwischen allwissendem Heilsbringer und unfreiwillig knallchargierendem Laienprediger. Nun hat er es wieder getan. Genüsslich verramscht er „2010“ als scheinbar billige Zeitungsbeilage, als Perle vor die Säue.

Allzu tief sitzt noch immer der zornige Stachel verletzten Künstlerstolzes, weil ihn die Majorlabels seinerzeit quasi dazu zwangen, den königlichen Namen jahrelang preiszugeben. Noch immer ist seine Majestät not amused und zeigt seine Verachtung demonstrativ der ganzen Welt. Das Ergebnis hingegen ist dieses Mal nur halb königlich ausgefallen. Doch immerhin mit überwiegendem Grund zur Freude.

Trotz des erstmals gegenwartsbezogenen Titels entführt das Schlitzohr uns gekonnt mittels Sound-Zeitmaschine in seine glorreichste Dekade, die 80er Jahre! Wer die typischen Stilmittel nicht mehr ertragen kann und mag, der wird es schwer haben mit den von Elektrodrums geführten Songstrukturen, den opulenten Synthie-Walls und den typisch abgehackten Gitarrenriffs.

Alle anderen erhalten ein knackiges Mid-Eighties Sommeralbum, das klingt als hätte Mr. Nelson sich Miles Davis’ 80er Plastik-Hit-Produzenten Marcus Miller geholt und dessen kongeniales 1986er-Album „Tutu“ stilistisch noch einmal für Funk’n’Soul neu erfunden. Solch ein Spiel mit der Vergangenheit birgt natürlich Risiken. Zieht doch fast jeder Prince-Fan automatisch Vergleiche mit bahnbrechenden Alben wie „1999“, „Lovesexy“ oder „Parade“. Doch wer sonst sollte diese Herausforderung meistern als Prince?

„Compassion“ und „Beginning Endlessly“ holen die verloren geglaubte poppige Eingängigkeit zurück. Beide Tracks gewinnen ungemein, wenn man sie oft hintereinander hört. Ohnehin ist es seit jeher eine Hauptstärke des Mannes aus Minnesota, dass seine Bubblegum-Hits sich durch vielfachen Genuss nicht abnutzen, sondern wachsen. Das vermögen nur die Allerbesten. Doch ihre königliche Bosheit kann auch anders; leider! Der großspurige „Future Soul Song“ groovt nett aber letztendlich belanglos dahin; samt Shalalala-Refrain. Lediglich das viel zu sehr im Hintergrund gniedelnde tolle Gitarren-Arrangemement zum Ende rettet vor der totalen Langeweile.

„Lavaux“ dreht sich funky aber ziellos wie eine langweilige Proberaum-Fingerübung um sich selbst und taugt kaum für eine B-Seite. Der fast schon lächerliche Partysong „Everybody Loves Me“ liegt irgendwo im Niemandsland zwischen Kinderlied und dem unentrinnbar gruseligen „Happy Birthday“ von Stevie Wonder. Ganz schlimm! Und er weiß es doch eigentlich besser! Doch was juckt es ihre Blaublütigkeit? Darauf gleich noch zwei schicke Balladen obendrauf! Statt „I sincerely wanna fuck the taste out of your mouth“ entdeckt der ehemals so dominante Lady’s Man auf „Walk In Sand“ seine romantische Ader. Sicher, das Lied klingt ein wenig wie „Diamonds And Pearls“ im Schongang. Doch für alle frisch und alt Verliebten funktioniert der Zauber – vor allem dank der Lyrics – wie ein überdekorierter amerikanischer Weihnachtsbaum. Überzuckert aber herrlich balsamierend!

„Sea Of Everything“ liefert hernach endlich den smoothen Soul, der uns allen bereits mit dem erwähnten „Future Soul Song“ versprochen wurde. Aber geht es auch mal wieder so richtig brillant? Aber ja! Der freiheitsliebende Genius aus dem Elfenbeinturm schüttelt noch lässig zwei Weltklasse-Nummern aus dem Ärmel. „Act Of God“ zwingt sozialkritisch und rachsüchtig noch den lahmsten, leprösen Bierfesthalter auf den Dancefloor. Vor allem die alte Prince Verbündete Elisa Fiorillo („Diamonds And Pearls“, „Graffiti Bridge“) kickt das Lied bis zum Anschlag. Friendly Fire? Yes, we can!

Die laszive Brutalität von „Lay Down“ zum Ende rockt als Klimax dann noch einmal alles und jeden in Grund und Boden. From The Heart Of Minnesota Here Comes The Purple Yoda. Die Erfindung des Industrial Funk! Gemeine Leidenschaft wie im Leben!

Ja, er kann es immer noch! Lord Nelson ärgert und verzückt gleichermaßen. Doch kalt lässt er nie. Eine Eigenschaft, die er mit Kollegen wie Dylan oder Neil Young gemein hat. So pendelt er weiter zwischen Über- und Unterforderung der hörwilligen Untertanen. Und wie sagte schon sein väterlicher Geniekumpel Miles: You’re supposed to do so, when you’re on top!

3/5