Re: Die Arrangeure des Jazz

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katharsis

Registriert seit: 05.11.2005

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Nelson stand sich vielleicht selbst ein bißchen im Weg. Auf der einen Seite war er ein absolut versierter Saxophonist, flüssig auf dem Tenor, dem Alt und dem Sopran, ausgestattet mit einem wunderbaren Gefühl für Harmonien. Andererseits aber wurde ihm das zum Verhängnis, da er als Arrangeur gerade dieses Gespür für Harmonien all zu gefällig einsetzte. Oftmals lag das vielleicht an den Aufträgen, die er bekam, weniger an dem, was er vielleicht selbst gerne gemacht hätte.

Großartig sind seine ersten drei, vier LPs („Soul Battle“ kenne ich nicht) für Prestige, mit teilweise progressiveren Musikern wie Eric Dolphy, Richard Williams, Lem Winchester, Richard Wyands und Roy Haynes. Gerade für Prestige stellen diese Sessions unglaublich dichte, in sich kohärente und fast perfekte LPs dar, die sehr von der unterschiedlichen Herangehensweise der Beteiligten profitieren. Nicht zuletzt gewinnen sie durch das von Nelson geschriebene Material und seinem gefestigten, majestätischen, aber sehr flexiblen Ton und den klugen Improvisationen. Vor allem gefällt mir „Screamin‘ the Blues“, da Nelson gerade Dolphy in Schach hält, der trotzdem absolut kreativ ist und vor Spielfreude birst.
Der Höhepunkt ist allerdings unzweifelhaft „The Blues and the Abstract Truth“, da einerseits das geschriebene Material zeitlos und großartig ist, andererseits zeigt Nelson seine Fähigkeit dahingehend, unterschiedliche Musiker zu einer absoluten Einheit verschmelzen zu lassen, bei der es keinen primus inter pares gibt, sondern alles absolut zwingend und von bestechender Schönheit ist. Auch cheesy Kompositionen wie „Hoe-Down“ mit einem absoluten Mitgröl-Chorus werden hier fast zu fein gearbeiteten Meisterwerken. Bill Evans kann zeigen, dass er in nahezu jedem Setting zu arbeiten verstand und das Gespann Hubbard & Dolphy beweisen, wie gut sie zusammenpassen.
Drei Jahre später erschien die vermeintliche Fortsetzung „More Blues and the Abstract Truth“, die sehr unter dem Titel leidet. Einerseits ist das Album keine Fortsetzung, sondern wartet mit gänzlich anderen Musikern auf (Thad Jones etwa, oder Phil Woods), andererseits ist von Abstraktheit keine Spur mehr. Ist man sich dessen aber bewusst, erwartet einen eine Session, die sehr blues-getränkt ist und sehr von den starken, aber etwas behäbigeren Solisten geprägt ist. Das ganze gefällt mir sehr gut, aber es ist sehr schade, dass Nelson sich nicht zum mitspielen durchringen konnte.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an von Nelson arrangierten Alben, mit oder ohne seine Beteiligung, die eine von Fall zu Fall Begutachtung notwendig machen, da sich die eine oder andere Perle darunter versteckt, man aber unter dem Jazz-Aspekt auch Abstriche machen muss. Interessant ist bspw. „The Kennedy Dream“, bei dem die Musik zwischen Soundtrack-artigen Klangteppichen und Big Band Jazz mäandert. Dabei bleibt die Musik immer spannend, stets geschmackvoll instrumentiert, aber es ist eben auch etwas gänzlich anderes. „Afro/American Sketches“ bspw. ist ein absolut kraftstrotzendes Werk, das vielleicht ein bißchen am Thema vorbeigeht, aber musikalisch sehr spannend ausgeführt wird.
„Joyride“ für Stanley Turrentine, oder auch „Delightfulee“ von Lee Morgan sind vielleicht typische Album, mit großem, Blue Note typischem Staraufgebot, weche letztlich aber die Raffinesse des zeitgleich arrangierenden Duke Pearson missen lassen.

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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III