Re: Die Arrangeure des Jazz

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gypsy-tail-wind
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Und weil wir schon im Zusammenhang mit Carpenter/Baker/Mundy über die Sonny Stitt Scheibe „Sonny Stitt & The Top Brass“ (Atlantic, arr. Tadd Dameron/Jimmy Mundy) geredet hatten, habe ich endlich mal die Scheibe aufgelegt, die Jimmy Giuffre für Stitt arrangiert hat – sie ist sowohl auf einer American Jazz Classics CD zu hören (mit dem Roost-Album „A Little Bit of Stitt“ als Bonus) als auch (ohne Bonustracks) auf einer Fresh Sound CD:

Die Arrangements sind einiges spannender geraten – Giuffre gehört überhaupt zu den grossen unterschätzen, was Jazz-Arrangements betrifft… auch seine Small Groups waren diesbezüglich hervorragend. In mittelgrossen Bands gelangen ihm aber immer wieder grossartige Dinge, etwa auf Cool Heat, dem Album, das er für Anita O’Day arrangiert hat.
Das Album, das er für Stitt gemacht hat, fällt auch in diese Kategorie, es entstand kurz vor einem ähnliche Album mit Herb Ellis.
Stitt ist am Alt und Tenor zu hören, Giuffre spielt auf fünf der zehn Stücke auch mit (nur Tenor), sonst sind Jack Sheldon und Lee Katzman (t), Frank Rosolino (tb) und Al Pollen (tuba) da, um Bläsersätze zu spielen, die Rhythmusgruppe besteht aus Jimmy Rowles, Buddy Clark und Lawrence Marable.

Don De Michael gab dem Album vier Sterne in Down Beat (gemäss den überschwenglichen Besternungen, die hier üblich zu sein scheinen, wären das wohl mindestes fünf, wenn man die Besprechung liest):

Place a sparkling diamond on soft, black velvet, and the diamond’s beauty shines all the brighter. Listen to the virile alto Stitt against the understated background of Giuffre’s arrangements, and the effect is electrifying. This album achieves this contrast to a remarkable degree.

Stitt is the only soloist on the sides with the brass choir, and he maintains a high level of performance throughout. His best effort of the date is the hauntingly melancholy „Laura“. Giuffre joins Stitt and the rhythm section for two blues, „Down Country“ and „Uptown“. These two tracks lack the cogency, taste, and direction of the arranged sides, but even on these the basic difference of conception of the two men is evident – tension vs. relaxation.

Giuffre attains an effect of a larger group by his imaginative use of contrary motion and dissonance. His writing for bass and tuba adds much to the fullness and novelty of the arrangements. Listen especially to „Downtown“, in which the rhythm section lays out from time to time, achieving a stimulating and refreshing effect.

The idea of a Stitt-Giuffre union might, at first, seem, incongruous, but the end result is perhaps the best extant of Stitt’s alto and Giuffre’s pen. Recommended.

Was sofort auffällt, ist, dass Giuffre sich an Stitts „Regeln“ gehalten hat: das Repertoire enthält keine Überraschungen sondern alte warhorses und Balladen, die Stitt bestimmt aus dem Stand in jeder Tonart beherrscht hat: nach dem wunderbaren „New York Blues“ (mit tollen langen Tuba-Tönen!) und einem weiteren Giuffre-Original namens „Giuff“ folgen „Laura“, „Sonny Boy“, der Giuffre/Stitt-Blues „Down Country“, dann etwas unerwartet – und mich natürlich an „Clockwork Orange“ erinnernd… – „Singin‘ in the Rain“, zwei weitere Giuffre/Stitt-Kollaborationen, Ellingtons „I Let a Song Go Out of My Heart“ und zum Abschluss nochmal eine Giuffre-Nummer mit dem exotischen Titel „Two for Timbuktu“.
Die klagende Qualität, die Stitts Alt im ersten Stück erreicht ist grossartig und bestimmt schon mal die Stimmung, die auf dem ganzen Album nie allzu flott überschwänglich und plätschernd dahinswingend wird. Entgegen De Michaels Angaben spielt Giuffre auch auf einigen Stücken im Ensemble mit, so auf „Laura“, wo Stitt in der Tat mit einem fantastischen Solo glänzt.
Auf „Down Country“ ist Giuffre dann am Tenor zu hören, sanft und über weite Strecken in tiefen Register, Stitt bildet dazu dann einen perfekten Kontrast mit seinem flexiblen Altsolo, das fast wieder den „cry“ erreicht, den er im ersten Stück hat – ich muss da De Michael widersprechen, finde diese Aufnahme sehr schön! Dass „Singin‘ in the Rain“ mich an den Film von Kubrick erinnert ist auch kein Zufall, denn Stitt beginnt zuerst völlig unbegleitet und mit sehr vokalem Ton – sein Altspiel klingt überhaupt extrem gut hier! Ich mag ihn ja sonst am liebsten am Tenor. Dann setzt der Bass ein und langsam der Rest der Rhythmusgruppe, aber dann folgt nochmal eine fast stille Passage, vor’s dann mit Stitts Solo losgeht.
„Uptown“ ist ein altmodisch-klingendes Stück ohne die Bläser. Giuffre und Stitt spielen beide Tenorsax, ihre Stile sind zwar beide stark von Lester Young geprägt, unterscheiden sich auber doch deutlich. Das Stück hat diesen fröhlichen und leichten „Bounce“, den die beste Musik von Giuffre oder Bob Brookmeyer (und besonders ihr gemeinsames „Traditionalism Revisited“) erreichte – das war eigentlich ja schon Retro-Musik damals, macht aber unglaublichen Spass!
Mit „Downtown“ meldet sich das Ensemble zurück und Stitt spielt wieder Alt, quecksilbrig träge dahinfliessend, plötzlich in schnelle Linien durchbrechend… sehr schön, wie die Rhythmusgruppe streckenweise ganz aussetzt oder Stoptime-ähnliche Minimalbegleitung spielt und Stitt dann nur über die Blechbläser soliert.
Ellingtons „I Let a Song…“ ist von der Stimmung her ähnlich und wieder hat Giuffre das Thema sehr raffiniert arrangiert und dabei auch die Rhythmusgruppe einbezogen. Diese kann im letzten Stück, „Two for Timucktu“ (ja, mit „ck“) nochmal richtig loslegen. Marable gehört ja zu den swingendsten und „härtesten“ Drummern aus Kalifornien. Stitt stürmt ungetüm los, gegen Ende wird er dann von den wie so oft leicht dissonant klingenden Bläser-Kaskaden (eher: Ton-Türmen eigentlich) ausgebremst… wie das ganze Album äusserst raffiniert gemacht und doch nie so, dass man dem Arrangement zuviel Aufmerksamkeit schenken würde und darob die Musik vergisst.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba