Re: Die Arrangeure des Jazz

#7536651  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 66,856

Jimmy Mundy wurde eben im Chet Baker Sterne-Thread ein paar Male erwähnt – als einer, der von Richard Carpenter gerupft worden war.

Mundy lebte von 1907 bis 1983, begann als Tenorsaxophonist, ist dann aber besonders als Arrangeur und Komponist bekannt geworden – er hat u.a. für Gene Krupa, Paul Whiteman, Dizzy Gillespie, Earl Hines, Benny Goodman und Count Basie gearbeitet.

Seine eigenen Sessions waren selten und finden sich in erster Linie auf einer einzigen Chronological Classics CD (sie kann auf Deezer angehört werden):

Zum Auftakt gibt’s zwei Stücke von 1937 mit Trompeter/Sänger Walter Fuller (der hier, nicht der Walter „Gil“ Fuller, der später mit Dizzy Gillespie gearbeitet hat), Trummy Young, Omer Simeon, Billy Kyle, Chick Webb, sowie den mir unbekannten Richard „Dick“ Palmer (g) und Quinn Wilson (b). Mundy ist hier auch kurz als solider Tenorsaxophonist zu hören.

Dann folgen die vier Stücke, die mit seiner einzigen festen Big Band 1939 enstanden sind. Solistisch zu hören sind u.a. Elbert „Skippy“ Williams am Tenorsax, Bill Doggett am Piano und Jimmy Hamilton an der Klarinette – an seiner allerersten Aufnahme-Session überhaupt. Am Schlagzeug sitzt Shadow Wilson, der später bei Basie den Platz von Jo Jones übernehmen würde. Die Arrangements sind sehr swingend, abwechslungsreich – Basie ist sicher ein Referenzpunkt, aber Mundy macht mehr. Neben den beiden Instrumentals „Sunday Special“ und „All Aboard“ hören wir auch zwei Stücke mit der Sängerin Madeline Greene (hier habe ich eine faszinierende Seite mit mehr Infos über sie gefunden, zudem auch ein schönes Foto und einen ganz kurzen Obit von 1976, hier gibt’s ein Foto von ihr mit Billy Eckstine aus der gemeinsamen Zeit bei Earl Hines und hier ihre Spesen-Abrechnung für eine Woche, wohl irgendwann aus den späten 30ern oder den 40en).

Dann geht’s mit Mundy in der Mitte der 40er in Kalifornien weiter. Er leitete manchmal kurzfristig zusammengestellte Ensembles. Die erste dieser Sessions auf der Classics CD fand am 14. September 1945 statt: mit unbekannter Band leitete Mundy eine Session der Ginger Snaps (hier gibt’s ein Foto).
Die Musik ist gefällig, macht Spass, aber geht nie sehr tief, was man bei sowas ja auch nicht erwarten sollte. „Tico Tico“ ist allerdings schon sehr verführerisch!
Bruyninckx gibt folgenden Line-Up (bei Classics ist die Band unbekannt):
Mannie Klein (tp) Jack Jenney (= Truman Elliott)(tb) Heinie Beau (as) Herbie Haymer (ts) Mark McIntyre (p) Perry Botkin (g) Phil Stephens (b) Ray Hagan (d) The Ginger Snaps : Ruth Christian, Ethel Harper, Leona Hemingway, Charles Ford (vcl) Jimmy Mundy (arr,dir)

Dann folgen diverse V-Disc Sessions. Die erste fand im Dezember 1945 statt und kann in dieser grossartigen – und sowohl Big Band Anfängern wie Liebhabern herzlich empfohlenen – 3CD-Box gehört werden:

Wir hören „Hello, Goodbye, Forget It“, mit einer zickigen Trompeten-Melodie (mit Dämpfern gespielt), in der Bridge ist dann Willie Smith am Altsax zu hören – neben Johnny Hodges und Benny Carter der dritte grosse Altsaxer der Swing-Ära. Solist ist der Trompeter „Red“ Mack Morris, sonst sitzen in der Band auch bekanntere Musiker wie Juan Tizol, Corky Corcoran, Jack McVea und Gitarrist Allan Reuss. Drummer Ray Hagan ist mir zwar unbekannt, aber er kriegt die Balance zwischen einer gewissen Leichtigkeit und dem nötigen Druck hin, den es braucht, um eine Big Band anzutreiben.
Es folgt „One O’Clock Boogie“ mit Jack McVea am Tenorsax – er soliert mit einem leicht säuerlichen, virilen Ton, der aus der Hawkins-Schule kommt. Das Arrangement ist aber fast wichtiger hier, wie die Band sich durch ein Tutti arbeitet, das macht Spass!

Die nächsten V-Discs, die ich habe, stammen dann vom späten März 1946 und von Mitte April 1946 und sind wieder auf der Classics-CD zu finden (Mundy nahm im Januar auch noch ein paar Stücke auf). Im März wurde „Fiesta in Brass“ eingespielt mit einem herausragenden Altsolo von Willie Smith und dann einem Tenorsolo von Babe Russin. Es folgt eine weitere Version von „Hello, Goodbye, Forget It“ mit Clyde Hurley und Lucky Thompson.

Das erste Stück vom April ist eins der wunderbarsten Mundy-Stücke überhaupt: „Fiesta in Brass“ – das Trompetensolo von Clyde Hurley gehört heute zum Kanon… es ist wohl notiert, bei Basie hört man es fast genauso und ganz wunderbar ist auch die Version von Annie Ross (hier zu finden – überhaupt ein grossartiges Album!). Die vierte und letzte V-Disc-Aufnahme auf der Classics CD ist „Airmail Special“, wieder mit Babe Russin am Tenorsax und einem tollen Gitarrensolo von Irving Ashby.
Im oben abgebildeten 3CD-Set ist noch eine weitere Version von „Fiesta in Brass“ zu hören mit Soli von Willie Smith und Dick Clark (Barisax).

Weitere sechs Stücke von Mundy finden sich auf der Hep-CD They All Had Rhythm – ’45-’46. Die vier der sechs Titel stammen vom November 1946, zwei weitere wurden schon im September aufgezeichnet. Los geht’s mit Ernie „Bubbles“ Whitman, dem MC der „Jubilee Shows“. Das erste Stück ist „Solo Flight“, gemeinsam von Benny Goodman und Charlie Christian geschrieben und von Mundy als Solo-Vehikel für den genialen Gitarristen arrangiert. Irving Ashby ist auch hier wieder überzeugend.
Das nächste Stück „Rhythm Was All I Had“ präsentiert Mundy als überzeugenden Sänger – er erinnert ein wenig an Jack Teagarden (an den aber meiner Meinung nach keiner je herankommt, was die Geschmeidigkeit und wie Chris Sheridan es nennt, den „almost horizontal singing style“, betrifft).
Weiter geht’s mit „Fiesta in Blue“ (vom September), dieses Mal mit Ray Linn an der offenen Trompete. Die Solisten, die diese Nummer vor allem bekannt gemacht haben waren Buck Clayton und Cootie Williams, die sie beide mit plunger mute gespielt hatten. Linn gehört zu den vielen tollen Big Band und Studio Musikern, die auch hervorragend Jazz spielen konnten.
Es folgt „Skymaster“ (aka „Rhythm Man“) mit Linn an der Trompete, dieses Mal stürmisch und drängend, und einem Piano-Solo von Eddie Beal, soeie zum Abschluss einem sehr schönen halben Chorus von Lucky Thompson am Tenorsax.
„Stepin Fetchit“ ist einem schwarzen Entertainer gewidmet, der seit 1914 unterwegs war, sein eigentlicher Name war Lincoln Theodore Monroe Andrew Perry, er trat in Minstrel Shows, Vaudevilles und Filmen auf. Solisten sind Red Mack, dessen lyrisches Spiel an Buck Clayton erinnert, und wieder Lucky Thompson, dessen Ton auf diesen frühen Aufnahmen noch viel rauher ist als später. Die letzte Mundy-Nummer ist dann „Queer Street“, ein Stück, das für Basie geschrieben und später auch von Buddy Rich, Al Cohn und Frankie Capp gespielt worden ist. Die Solisten sind: Pianist Eddie Beal, ein Trompetensolo vermutlich von Red Mack, und noch einmal Thompson.
(Der Rest der CD besteht aus elf Stücken von Benny Carter und dreien von Gerald Wilson).

Weitere Mundy-Aufnahmen sind auf einer Hep-CD aus der „Metronome Series“ zu finden:

Groovin‘ High in L.A. enthält weitere faszinierende Jubilee Aufnahmen von Benny Carter (sieben Stücke), Jimmy Mundy, Gerald Wilson und Wilbert Baranco (je vier Stücke). Beide CDs sind wärmstens zu empfehlen!
Die Mundy-Stücke sind dieselben vier, die auch auf der Classics-CD zu finden sind (ich vermute die sechs von der 1945/46 Hep-CD fehlen, weil diese Hep-CD erst ein Jahr später erschienen ist als die Classics-CD, die 2001 rauskam…)

Die letzte Mundy-Session in der Classics CD ist für Aladdin entstanden – 1946 wenn man Lord glaubt, im CD-Booket steht 1947 – ohne Angabe Monat und Tag. Das erste Stück heisst „Bumble Boogie“ und ist eine Art Hummelflug für den Pianisten Eddie Beal. Die meisten Musiker sind unbekannt, es sind aber auch Streicher dabei, die hier sehr wirksam zu hören sind. Ferner sind Irving Ashby, Lucky Thompson, Ray Linn und der Trompeter Harry Parr Jones beteiligt, sowie der Sänger Jimmy Young, der auf dem zweiteiligen „I Gotta Put You Down“ zu hören ist. In „One O’Clock Boogie“ ist Thompson kurz zu hören und dann wohl Ray Linn. Die Band swingt hart und hat viel Drive.
Auf dem Blues mit Jimmy Young ist Thompson wieder mit schönen Beiträgen zu hören.

Bei Hep gibt’s in der Goodman Plays… CD-Reihe auch eine CD, in der Arrangements von Jimmy Mundy versammelt sind.

In den späten 40ern arbeitete Mundy u.a. mit Buddy Rich und Harry James. Er steuerte auch ein paar Arrangements für die Big Band von Dizzy Gillespie bei, etwa „That Old Black Magic“ (RCA), ein Feature für den Sänger Johnny Hartman oder „Say When“ (Capitol) und war an Gene Ammons Small Group Sessions (Mercury 1949-10-04, Prestige 1950-04-26) beteiligt.

Danach nahm seine Aktivität ab, 1956 entstanden Aufnahmen mit Sarah Vaughan und Tony Scott, für Gene Ammons komponierte 1957 er zwei Stücke des Jam-Albums „Funky“ (Prestige), und schrieb wieder ein paar Arrangements für Basie. Im Oktober 1957 arrangierte er Joe Williams‘ wunderbares Crooner-Album A Man Ain’t Supposed to Cry (Roulette), mit dem der als Blues Shouter bekannte Joe Williams sich neu erfand, und wirkte dann an Basies Atomic Sessions mit.

1958 entstand ein weiteres eigenes Album – ja das erste (und letzte) Mundy-Album überhaupt, „On a Mundy Flight“ (Epic). Es folgten weitere Sessions mit Basie, Jimmy Rushing, Joe Williams, Humphrey Lyttleton, Sonny Stitt und Illinois Jacquet, und 1965 dann die ganze Reihe Alben mit Chet Baker.

Leider gibt’s in der Billig-Ausgabe von George T. Simons Big Band Buch bei Hannibal kein Register – ein Kapitel über Mundy ist jedenfalls nicht drin (aber das über Elliot Lawrence fehlt auch einfach ohne Hinweis in dieser Ausgabe, in der englischen scheint’s eins über Lawrence zu geben). Und ein Register gibt’s natürlich auch nicht… daher kann ich dort über Mundy auf die Schnelle nichts finden.

Zum Ende etwas Anektodenhaftes aus den Liner Notes von Anatol Schenker in der Classics-CD, zum Stück „Air Mail Special“:

It concludes with a typical brass ending (also heard on Goodman’s „Air Mail Special“ and Basie’s „Queer Street“) that sounds like a shouting goodbye (1-2-3-4-5-6-7). On hearing the record, both Wallace Bishop and Lucky Thompson laughingly remembered: Yes, Mundy used to face the band, shouting „Kiss my fuckin‘ ass, go home!“

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba