Re: The Chicago Sound

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thelonica

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______DUETS 2001
Robert Barry and Fred Anderson

A1. Bouncing A2. Speed Way A3. We
B1. Taps B2. Off Blue B3. Dark Day

Fred Anderson tenor saxophone / Robert Barry drums

Recorded on 5/22/99 at the Empty Bottle, Chicago

Thrill Jockey

Wahrscheinlich werden einige Leute vermuten können, wie es zu diesem Thread gekommen ist. Dabei spielte die Nennung von Fred Anderson’s Namen eine wesentliche Rolle. Sein Name ist an diversen Stellen im Forum zu lesen und einige Forumianer schätzen seine Musik außerordentlich. [Nebenbei bin ich etwas verwundert, daß er noch nicht in Roots gespielt wurde.]. Daß der Mann als Person höchst interessant ist, kann man durch das Lesen diverser Interviews leicht herausfinden. Besonders hervorzuheben ist sicherlich sein langjähriges Management der Velvet Lounge, die schon viele Jahre existiert. Anderson’s Konzept der Velvet Lounge scheint überhaupt gut zu funktionieren und hat sicherlich auch mit dem tollen Nachwuchs, der Medienpräsenz vor Ort, dem Support der Nachbarschaft und den (vielen) großartigen Musiker_innen zu tun. Eine ganze Menge Erfahrung von Anderson spielt auch eine Rolle. Mit Hilfe der Interviews kann man sich ein besseres Bild von der Person Fred Anderson machen. Was noch wichtig ist: Viele der älteren Musiker aus Chicago haben ein hervorragendes historisches Gedächtnis und ein Bewußtsein für Traditionen, zudem reichen sie ihr Wissen gerne an eine jüngere Generation weiter. Das scheint auch innerhalb der AACM ein ganz natürlicher Verlauf der Dinge zu sein, der sich über Jahrzehnte entwickelt hat.

[Die Anfänge dieser Entwicklung kann man bis weit in die 40er Jahre zurückverfolgen. George Lewis beschreibt diese Zeit auch in seinem Buch] Fred Anderson ist in diesen Dingen schon lange weit vorne und wahrscheinlich wird sein gesamtes, sowie kreatives Engagement stark unterschätzt.

Anderson Zitat:
“I don’t look at [my role] as being a club owner,” Anderson attests. „My main thing is thinking about the music, and making sure the musicians are happy and enjoy playing. If they enjoy playing, they can make the people come in and enjoy them. I’m running this as a musician and a person who loves music. I just sit back and let ‚em do what they do, and treat ‚em with respect. They know they can be here and play and express themselves. They don’t have to worry about somebody telling them how to play. This is the freedom that people have here. We come here, we don’t judge. This is what this place is for.”

Bescheidene und einfache Worte, hinter denen wirklich viel mehr steckt, von einem Mann, der es jedoch genauso gemeint hat. Als Beispiel würde ich auf die exzellente Zusammenarbeit mit Matana Roberts verweisen – parallel zu seiner eigenen Kunst finden diverse Entwicklungen beim Nachwuchs statt, der ihm vermutlich immens wichtig ist. Einiges hat damit zu tun, daß Anderson ein Gründungsmitglied der AACM ist. Fred Anderson wird im Forum noch fast als Geheimtipp gehandelt, während andere Künstler (2009) immer etwas mehr Beachtung bekommen haben, wurde hier bisher noch nichts in größerer Form über seine Musik oder sein Schaffen geschrieben – vielleicht könnte dies eine Art Anfang werden.

Zuerst wollte ich eigentlich nur mal nachhaken, was an Musik aus Chicago aus den letzten Jahren noch auf Vinyl zu bekommen ist. Das Angebot ist leider klein, aber ich bin auf „Duets 2001″ von Fred Anderson & Robert Barry und „The Chicago Project“ gestoßen, die mir vorher schon von redbeansandrice empfohlen wurde. „Duets 2001″ war für mich attraktiv, weil ich mir einen Kurzfilm mit Anderson und dem Drummer Tim Daisy angesehen habe – unheimlich faszinierend was beide dort machen. Den Kurzfilm habe ich durchaus als bewegend empfunden, allerdings hatte ich vorweg noch gar nicht Musik von ihm gehört und war deshalb etwas skeptisch.

Beim Anhören dieser Aufnahmen fühlte ich mich dann automatisch an die „Freedom Suite“ von Sonny Rollins erinnert, weil der Sound vom Schlagzeug für mich anfangs irgendwie ähnlich klang. Robert Barry macht aber sein eigenes Ding, wobei Max Roach ganz sicherlich einen großen Einfluß auf Robert Barry hatte. Robert Barry ist ein Chicagoer Musiker aus dem unmittelbaren Umfeld von Sun Ra und hat mit ihm seit den 50er Jahren öfters aufgenommen. R. Barry u. Sun Ra hatten eigentlich mit der AACM eher wenig zu tun, obwohl Sun Ra wiederum massiv die AACM beeinflußt hat, was im Interview mit Fred Anderson auf der Innenhülle schön nachzulesen ist. Barry scheint ansonsten eher ein „klassischer“ Drummer zu sein, dem ein kleineres Schlagzeug völlig ausreicht, der gar keine weiteren Percussion Instrumente benötigt, oder haben will. Ein idealer Partner für Anderson, weil beide sich gut kennen und es eine Vorgeschichte gibt.

Josh Abrams im Interview mit Robert Barry

Das musikalische Niveau ist hier extrem hoch, denn beiden Musikern fällt es leicht gewisse Stimmungen zu erzeugen und natürlich reagieren sie aufeinander; dazu handelt es sich noch um eine Liveaufnahme mit kaum hörbarem Publikum, wodurch die Intimität bzw. Intensität noch verstärkt wird. Die Intensität dieser Aufnahme, die sehr entspannt wirkt, summiert sich aus Leidenschaft, Spielfreude, Wärme und Soul.

Das Spiel von Fred Anderson (LP „Duets 2001″) läßt sich leider nicht so einfach analysieren, weil da einfach vieles zusammen kommt. Er spielt zwar keine überflüssigen Noten, läßt sich aber ab und zu vom Rhythmus souverän treiben und kann, das ist abhängig von den Kompositionen, auch druckvoll und schnell spielen. Komposition, Improvisation, Ausdruck und Stimmungen scheinen Anderson gleich wichtig zu sein, jedoch geht das bei ihm stark ineinander über, was schon mit der Vorstellung des Themas beginnen kann. Auf der 2. Seite (Taps, Dark Day) spielt er sogar um einiges sanfter, ohne daß dadurch ein harter Stilbruch entstehen würde. Sicherlich gibt es viel Blues (der Verbindungsaufbau zum Publikum) in der Musik von Anderson, der Gene Ammons für seinen Sound u. das entsprechende Feeling verehrt, nur spielt Anderson Blues natürlich auf eine ganz eigene Art.

Fred Anderson on Gene Ammons:
„He always played these notes, that was….. it was some simple stuff, but it was….the way he would do it, you know, was very incredible, you know. Especially on the blues. I never heard anybody play the blues like Gene Ammons.“

Fred Anderson scheint sich außerdem mit Eric Dolphy beschäftigt zu haben, vermute ich. Fred Anderson spielt zwar ausschließlich Tenor, wurde aber auch von Altsaxophonisten beeinflußt (Charlie Parker u. Ornette Coleman sind ihm wichtig), was man am ehesten an seinem Drive/Timing/Feeling (Aufbau) bemerkt. Von Eric Dolphy gibt es jedenfalls ausreichend gute Hörbeispiele in ähnlichen Livesituationen (z.B. Laura).

http://www.jazzinchicago.org/educates/journal/interviews/conversation-fred-anderson
http://www.jazzweekly.com/interviews/fanderson2.htm

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