Re: The Chicago Sound

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redbeansandrice

Registriert seit: 14.08.2009

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So, ist leider eine halbe Bruchlandung geworden – hier kommt das Titelalbum des Threads:

Wilbur Ware – The Chicago Sound

Riverside (16 October 1957)
John Jenkins (as)
Johnny Griffin (ts)
Junior Mance (p)
Wilbur Ware (b)
Wilbur Campbell (d)
Frankie Dunlop (d, statt Campbell auf Body and Soul und The Man I Love)

Die Zeit um 1957 war so etwas wie das internationale (also New Yorker) Debut des Chicagoer Hard Bop: Blue Note produzierte Alben der Tenoristen Johnny Griffin, Clifford Jordan (eins mit John Gilmore) und des Altsaxophonisten John Jenkins. Wilbur Ware, der 1956 zusammen mit Ira Sullivan mit einer kurzlebigen Besetzung von Art Blakeys Jazz Messengers nach New York gekommen war, war von Sommer 1956 bis Sommer 1958 einer der meistbeschäftigten Bassisten des Jazz, er war an fast 40 Alben beteiligt (über die Hälfte seiner Diskografie), darunter Klassiker wie Monk’s Music und Rollins at the Village Vanguard. Rückblickend sieht das ganze ein bißchen wie ein Schuss in den Ofen aus, nur Griffin konnte hierauf eine langfristigere Karriere aufbauen (zunächst mit einer grandiosen Serie von Alben für Riverside, eins hat Thelonica oben schon vorgstellt). John Jenkins etwa, war in diesem Jahr an 10 Alben für alle vier großen Labels des Hard Bop beteiligt (Prestige, Savoy, Riverside, Blue Note). Erst 1990 trat er noch einmal auf einem Album von Clifford Jordan in Erscheinung, nachdem er jahrelang Schmuck auf Flohmärkten verkauft hatte (oder so ähnlich). (Jordan hatte Anfang der sechziger Jahre nochmal einen zweiten Karrierestart, der erflogreicher verlief…) Was hier im einzelnen schief gelaufen ist, ist mir nicht ganz klar – Tatsache ist, das hier eine gradiose Serie von Alben entstanden ist.

The Chicago Sound ist eins der wenigen dieser Alben, das mit einer reinen Chicagoer Band aufgenommen ist. Neben den oben erwähnten Jenkins, Ware und Griffin sind der Pianist Junior Mance und abwechselnd die Schlagzeuger Wilbur Campbell und Frank Dunlop (kein Chicagoer) beteiligt. Viel Debütalbum Stimmung will hier nicht aufkommen, man spürt, dass die Musiker sich seit Jahren kennen, die meisten, insbesondere Griffin und Mance, blicken bereits auf über zehnjährige Karrieren als Profimusiker zurück. Was man – und das weiß ich sehr zu schätzen – fast gar nicht spürt, ist, dass es sich um das Album eines Bassisten handelt, Ware ist große Klasse, aber den Vordergrund überlässt er vor allem den beiden Saxophonisten. Griffin, einer meiner absoluten Lieblingssaxophonisten, präsentiert die ganze Bandbreite seines Könnens: warum er als der schnellste Saxophonist seiner Generation galt, kann man etwa auf Mamma-Daddy hören; auf der grandiosen Ballade Body and Soul erinnert mich die Linienführung, dieses rhapsodische, fast ein bißchen an Coleman Hawkins (etwa Picasso, hier, vielleicht weit hergeholt); Jenkins ist ein etwas subtilerer Musiker, aber definitiv hörenswert, irgendwo zwischen Charlie Parker und Jackie McLean… Auch Mance spielt ein paar schöne Soli, etwa auf Desert Sands, ein typischer Pianist aus der Schule von Bud Powell, ein bißchen rhythmischer und sicherlich auch mit einer Spur Thelonious Monk…

An sich sollte hier jetzt die Essenz des Chicagoer Hard Bop zu hören sein, und, naja, so hör ich das eigentlich auch, Gene Ammons ist nicht allzu fern, und genauso, grad im Ensembleklang der Saxophone, kann man an Sun Ras Chicagoer Band der fünfziger Jahre denken. Ich krieg das mal wieder nicht gescheit formuliert, aber, wenn man Hard Bop definiert als Bebop mit R&B Elementen, verstärkter Bluesigkeit, wie auch immer… dann hört es sich für mich an, als wäre diese Fusion hier viel organischer und natürlicher gelungen ist, als vielleicht in der Musik von Horace Silver; andersrum, wenn man sich die R&B Aufnahmen von Griffin anhört, und dann vergleicht, dann merkt man ganz klar die Wurzeln, aber auf The Chicago Sound kann die Musik atmen, alles zickige ist verschwunden ohne dass es deshalb künstlich wirkt, trotzdem hat die Musik ihren Drang nach vorne nicht verloren, mehr Reste von Bebop Charme sind geblieben als auf vielen der großen Hard Bop Alben auf Blue Note, es gibt eine ausgewachsene Ästhetik und dass ich die nicht auf den Punkt gebracht krieg, kotzt mich an – schaut euch das fabelhafte Coverfoto an – genau so ist die Musik…

ein Stück vom Album auf Youtube, Latin Quarter, das Griffin eine Woche später nocheinmal auf seinem letzten Blue Note Album „The Congregation“ aufgenommen hat (und wenn man die Versionen vergleicht, merkt man vielleicht, was ich mit Drang nach vorne sagen wollte…)

hier eine Mini-Compilation von Stücken von Joe Morris R&B Band der späten vierziger Jahre auf denen Griffin halbwegs prominent zu hören ist. Die interessanten Gitarrensoli sind von Von Freemans Bruder George Freeman, Posaune spielt Matthew Gee, auf manchen der Stücke sind Leute wie Elmo Hope, Percy Heath, Philly Joe Jones zu hören, für Details siehe die Griffin Diskografie.

Andere Alben in diesem Zusammenhang: die gleiche Band ohne Jenkins und mit einem anderen Schlagzeuger hat noch in Chicago Griffins Debütalbum JG aufgenommen, sehr zu empfehlen, vielleicht in einem späteren Post, noch mehr Bebop und ein klarerer Monkeinfluss – kein Wunder, dass sowohl Griffin als auch Ware später wichtige Aufnahmen mit Monk gemacht haben… Ein weiteres tolles Album mit Ware und Griffin ist Johnny Griffins Way Out, auch ein Quartet Album, diesmal mit Kenny Drew am Klavier; mit Jenkins bin ich noch nicht so weit, Jenkins/Jordan/Timmons auf Prestige mit Clifford Jordan gehört sicherlich auch in den Kreis der Alben, um die es hier geht; das Paul Quinichette Album On the sunnny side mit Jenkins ist jedenfalls prima…

Was ich noch ganz interessant finde… irgendwie fällt es ja schon auf, dass ein guter Teil der Alben aus dieser Richtung (Chicago Sound, Jenkins Jordan Timmons, Jordans Alben mit Charles McPherson und Sonny Red), in der vergleichsweise seltenen Quintetbesetzung mit Alt/Tenorsaxophon aufgenommen sind – und zwar nicht direkt in so einer Battle Tradition, sondern eher kameradschaftlich ;-) das scheint auch irgendwie ein Chocagoer Ding gewesen zu sein [die Brücke zum AEC verkneif ich mir jetzt aber im wesentlichen…]

Diskografien:
Wilbur Ware
John Jenkins
Johnny Griffin

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