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Ah Um
Vielleicht so: „Indie“ ist jede Musik, die sich grundsätzlich im gängigen Rahmen von Rock und Pop bewegt, aber eine gewisse Abneigung gegen den als zu stromlinienförmig und uncool empfundenen Mainstream erkennen lässt.Bei mir: Pavement, die ersten beiden Alben.
Der Begriff „Indie“ begleitet nun schon mehrere Generationen von Musikhörern und hat offenbar unterschiedliche Spuren hinterlassen. Für den, der in den frühen Achtzigern mit dabei war, ist es nicht zuletzt ein Kampfbegriff. Im stilhistorischen Rückblick stellt sich die Frage, wo Post Punk/New Wave aufhört und wo Indie beginnt.
In den Neunzigern war Indie dann überall. In meiner Wahrnehmung wurde er v.a. repräsentiert von einer Bevölkerungsgruppe, die bisher in der stets auf Style und Coolness bedachten Popmusik kaum Beachtung gefunden hatten: den Slacker-Nerds.
Leute, die jung, clever und gut ausgebildet waren, aber keinerlei Lust auf Karriere, Geld, Familie verspürten. Sie zogen die Klamotten an, die ihnen ihre Mutter zu Weihnachten gekauft hatte. Nicht, weil sie sie so schön fanden. Sondern weil sie keine Lust hatten, sich um etwas Besseres zu kümmern. Es war ihnen einfach nicht wichtig genug.
Diese Nerds waren keineswegs im Einklang mit der sie umgebenden Leistungsgesellschaft. Aber sie rebellierten oder provozierten nicht. Sie wollten schlicht in Ruhe gelassen werden. Und Indie war der Soundtrack dazu.
Aufgenommen wurde im eigenen Schlafzimmer mit Lo-Fi-Equipment. Die Musik war wackelig und ungeübt, aber selbstgenügsam und so unglamourös und uneitel wie nichts zuvor in der Popmusik. Und hatte irgendwie den Klang von Orientierungslosigkeit und Antriebsarmut.
Dies ist der Sound von „Indie“, wie er sich bei mir festgesetzt hat. Als die Neunziger anbrachen war ich 16.
Für die 1990er und einen Teil der darauffolgenden Dekade trifft das absolut zu. Es mag Indie-Bands mit ausgeprägtem modischen Stil geben wie Interpol, wobei das bei Interpol an ihrer Herkunft (New York!) und an ihren Vorbildern (Joy Division, Television) liegt. Aber viele klassische US-Indie-Bands verkörpern keinen modischen Stil, sondern zeichnen sich vielmehr durch eine gewisse musikalische Geisteshaltung aus: Sie liegen sozusagen quer zum Mainstream, gleichen ihre Melodik durch inhaltliche, musikalische, gesangliche Sperrigkeit aus.
Die Tatsache, dass Cleetus und Tina u.a. an irgendwelche Kleiderstile denken, wenn sie an Indie denken, könnte darauf hindeuten, dass sich seit meiner Zeit viel verändert hat oder dass sie die notorisch an Kleidungs- und Stilfragen desinteressierte US-Indie-Szene der 1990er und frühen-und Mid-Noughties vollkommen ausblenden. (Keine Ahnung, wie das heute ist, war schon einige Jahre nicht mehr da.) Wenn ich mir Kleidung vorstellen soll, die Indie-Nerds anziehen, dann denke ich an T-Shirt und Jeans.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.