Startseite › Foren › Das Radio-Forum › Roots. Mit Wolfgang Doebeling › 06.12.2009 › Re: 06.12.2009
Ich fange mal hinten an: Die drei wichtigsten Versionen der „Mean Woman“ sind trotz erheblicher stilistischer Differenzen alle fantastisch (die Live-Variante vom Killer auch). Elvis‘ Vorlage von ’57 bewahrt den Blues-Charakter am ehesten, die Backing Vocals und Handclaps sind angeschwärzt, der Anfang unzeremoniell. Cliffs Version knapp 2 Jahre später beginnt mit Gitarren-Warnung und einem vielsagenden „Mmmmh“, bevor die Beschreibung dieser gefährlichen Frau ihren Lauf nimmt, musikalisch lässiger und loser als bei Elvis, ganz auf den Shadows-Sound abgestimmt. Roys Version weitere 4 Jahre später ist toll gesungen, keine Frage, wobei er das vokale Intro von Cliff belehnt, dann indes leider durch Textänderung dem Song den Zahn zieht. Von Orbisons böser Frau geht keine Gefahr mehr aus, es sei denn eine erotische („ruby lips“, „shapely hips“). Die erste, absolut ingeniöse Strophe etwa, der die schwarze Katze zum Opfer fällt, weil sie ihren Weg kreuzte („died of fright“), entfällt hier. Was dem Song-Stachel die Spitze nimmt, die vielen Sha-la-las und synkopierten Bläser tun ein Übriges zur Entschärfung. Mein Verdikt mithin: 1. Cliff, 2. Elvis (beide * * * * *), 3. Roy (* * * * 1/2).
Dein (evtl. etwas vorschnelles) Urteil bedarf also dringend der Remedur, methinks. Der Eindruck von Blässlichkeit wird nach mehrmaligem Hören eh verfliegen. Das hat ja oft damit zu tun, daß einem andere Versionen geläufiger sind. Dein Hinweis auf den gefühlten Mangel an Glaubwürdigkeit des Sängers in Bezug auf den Text fußt auf Unkenntnis dessen, was damals hinter den Kulissen ablief. Cliff war ein ganz schönes Früchtchen, bevor ihn Herr Jesus unter seine Fittiche nahm. Jet Harris stieg nicht aufgrund musikalischer Differenzen bei den Shads aus, sondern weil Cliff, während die Band probte, mit seiner Freundin herummachte. Kein feiner Zug. Besagte Flamme, von der Presse als „blond bombshell“ tituliert, könnte nach allem, was man später über sie herausfand, durchaus als „mean woman“ gesehen werden, die nicht nur einem Mann den „Blues“ beibrachte.
Richtig ist natürlich dennoch, daß Cliffs Stimme aufgrund seines jugendlichen Alters (18) die Dimension gelebten Lebens abging, doch für mein Empfinden macht er das mehr als wett durch schlichte Phrasierungskunst, ihm teils intuitiv zu eigen, teils abgekupfert von Elvis. Nichts anderes war er ja auch anfangs: die juvenil-britische Ausgabe des King. Und entsprechend war die Reaktion der Öffentlichkeit: Empörung allerorten. Berühmt sind die alarmistischen Tiraden in „NME“ und „Melody Maker“ („skandalös“, „exhibitionistisch“, „vulgär“, „primitiv“, „unbritisch“, etc.), die Fanale in großen Dailies („Maßnahmen zum Schutz unserer Jugend sollten ergriffen werden“) sowie von Seiten der Politik und der anglikanischen Kirche. Es war, als hätte sich die Hölle aufgetan. Die Ankunft der Beatles wurde fünf Jahre später vergleichsweise gelassen registriert.
Auch ein Faktor, der gern übersehen wird: Cliff & The Shads gelten – zurecht – als Vorläufer des Beat, werden der prä-Beat-Generation zugeschlagen, weil sie ja mit ihrer Musik deren Weg geebnet hatten und auf jede Menge Hits verweisen konnten zum Zeitpunkt des Fabs-Advents. Aber: tatsächlich gehörten sie derselben Generation an. John Lennon war älter als Cliff Richard. Letzterer war halt frühreif, ersterer ein Spätzünder. Als Cliff „Move It!“, „Mean Streak“ oder, indeed, „Mean Woman Blues“ aufnahm, mühte sich John noch mit Skiffle ab, dem heißen Folk-Ding der prä-Rock’n’Roll-Ära. Als Cliff seine No.1-Hits landete und bereits auf etliche Millionen verkaufter Scheiben zurückblicken konnte, begaben sich die Beatles als Covers-Band auf die Reeperbahn, um für betrunkene Seeleute Schau zu machen. Ironischerweise mit zum Teil demselben Songmaterial, das Cliff & The Shads lange davor schon vor kreischenden Fan-Massen im UK performiert hatten. Was keine Kritik an den Fabs sein soll, Clau, was jedoch die realen Relationen in dieser entscheidenden Umbruchsphase des britischen Pop verdeutlicht.
Und da ist natürlich die rein musikalische Dimension, jenseits von Image, Frühreife, Glaubwürdigkeit oder schnöden Geschmackskriterien: ausschlaggebend, durchaus. Die Protokolle der Recording Sessions sprechen da Bände. „Mean Woman Blues“, zwischen 19h und 21h am 7.September ’59 in den Abbey Road Studios aufgenommen, nebst „Blue Suede Shoes“ und „Pointed Toe Shoes“, war ein 2nd Take. Insgesamt entstanden an vier Abenden innerhalb von 14 Stunden 19 Tracks, davon fast die Hälfte 1st Takes (!), nur „Dynamite“ brauchte deren vier. Live in the studio recordings, was man selbstverständlich hört. Von wegen „glatt“. Die hieraus resultierende Homogenität und die darin aufgehobene Direktheit in Verbindung mit Paramors kongenialer Produzententätigkeit ergibt das, was Townshend „close to perfection“ nennt. Tadellos, indes eben nicht makellos. Mit etwas mehr Zeitaufwand hätte man so manchen kleinen Schnitzer beheben können, von Hanks nur selten nicht voll realisierten Licks bis hin zum möglicherweise einen Tick zu spät einsetzenden Becken-Ride. Das spricht für die Souveränität dieser Studio-Sessions und jene gewisse Lässigkeit (nicht: Rotzigkeit!), von der diese Aufnahmen nicht zuletzt leben.
In Pete Townshends längerem Aufsatz von 1983 über „the proto-British phenomenon known as Cliff Richard & The Shadows“ (den man dem „Sounds“-Trottel um die Ohren hauen sollte) finden sich noch etliche interessante Aspekte zur unterschiedlichen Rezeption von Cliff respektive der Shads bei weiblichen und männlichen Fans, bei gleichaltrigen zumal, und über einen jahrelangen „learning process“ entlang dieser klassischen Vorlagen on 45 & 33. Wenn’s gewünscht wird, stelle ich hier gerne ein paar Zitate von Pete und anderen ein.
Was schließlich Deine Absicht betrifft, Dir noch „einige“ Cliff & Shads-Singles zuzulegen: löblicher Vorsatz. Wie die Angebotslage in Brüssel ist, weiß ich nicht, in Holland dürfte es erheblich leichter sein. Allerdings war Cliff ja auch in Frankreich sehr erfolgreich (es wurden dort viele tolle EPs veröffentlicht, leider inzwischen sämtlich sehr teuer), also müßte er auch in Belgien collectable sein. Was ist Dein Eindruck diesbezüglich? Beim Konzert in Köln konnte ich viele Engländer, Holländer und Dänen ausmachen, Belgier nicht (woran erkennt man Belgier überhaupt?).
Zur weitergehenden Lektüre empfohlen sei der gut informierte, bunt bebilderte achtseitige Artikel im RS, Ausgabe 8/2008.
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