Re: Die besten Hat Hut Alben

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gypsy-tail-wind
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Hab die letzten Tage einige Hat-CDs (wieder-)gehört, besonders jene von Marc Copland. Die Solo-Scheibe „Time Within Time“ (rec. 2004) ist über die Jahre zu einer Lieblings-CD gewachsen, mir drängt sich der Vergleich zum ebenfalls verehrten Stéphan Oliva auf. Scheinbar einfache Musik, die aber sehr dicht ist und einen ganz besonderen Zauber entwickelt, dem ich immer mehr verfalle. Zudem liebe ich das Bernstein-Stück „Some Other Time“, das er zum Hauptmotiv des Albums wählte und das viermal zu hören ist (zum Auftakt und Abschluss in C-Dur, zwischendurch zweimal in anderen Tonarten). Die anderen Standards und Fremdkompositionen umfassen mit John Lewis‘ „Django“ und Wayne Shorters „Footprints“ zwei weitere Lieblingsstücke von mir, zudem hören wir „You Can’t Go Home Again“ und „All Blues“, sowie vier Copland-Originals.

Copland wurde 1948 als Marc Cohen in Philadelphia geboren und hat zuerst Saxophon gespielt, auch mit elektrischem Saxophon experimentiert und in den Siebzigern aufs Piano gewechselt. Seine Zusammenarbeit mit David Liebman ist eine musikalische marriage made in heaven, die beiden verstehen sich wie es scheint ohne Worte. Auf der Doppel-CD „Bookends“ (rec. 2002) sind sie in einer Studio-Aufnahme und dann vor Publikum zu hören. Diese Aufnahme muss ich die nächste Zeit definitiv noch einige Male hören, sie fasziniert mich sehr. Originals von Liebman und Copland werden wieder mit Standards und älteren Originals kombiniert, wir hören „When You’re Smiling“ und Brubecks „In Your Own Sweet Way“ sowie eine faszinierende kurze Solo-Version von „Lester Leaps In“ mit Liebman am Tenor ohne Publikum, das Live-Konzert enthält dann nur das Liebman-Stück „WTC“ sowie vier zumeist bekannte Originals: „Maiden Voyage“, das ziemlich dekonstruiert wird, Coltranes „Impressions“, das einmal mehr Liebmans Wurzeln dokumentiert, ohne zu einer Unterwürfigkeits-Geste zu werden, und zum Auftakt und Abschluss die neben dem Tenor-Solo wohl faszinierendsten Stücke des ganzen Albums, „Cry Want“ von Jimmy Giuffre und „Blue in Green“ von Miles Davis und Bill Evans.

2001 spielten die beiden – die sich seit den Siebzigern kannten – ihr erstes gemeinsames Album ein, „Lunar“. In den Liner Notes berichtet Bob Blumenthal, wie es zwei Jahre zuvor zum Aufeinandertreffen kam, als beide mit eigenen Bands am New Mexico Jazz Festival in Santa Fe spielten und Copland am zweiten Tag vor seinem Solo-Auftritt verlauten liess, Liebman (der noch nicht da war und anschliessen auftreten sollte) sei herzlich eingeladen, am Ende des Sets auf die Bühne zu kommen. So spielten die zwei erstmals im Duo, und im Duo sind sie auch auf drei der Stücke von „Lunar“ zu hören. Wir hören zum Auftakt die erste, ebenso faszinierende Version von Giuffres „Cry Want“, später das wundervolle „You and the Night and the Music“ und zum Abschluss „Naima“. Dazwischen stehen drei Copland- und zwei Liebman-Originals auf dem Menu. Die Begleiter auf fünf der Stücke sind Mike McGuirk (b) und Tony Martucci (d) und der zusätzliche Kick, den sie den beiden Co-Leadern geben, macht Spass, führt sie aber kaum in neue Bahnen – die beiden sind sich genug.

„Marc Copland And …“ (rec. 2002) entstand dann mit dem nachfolgenden regelmäsigen musikalischen Partner Coplands (er ist nimmt einigen Jahren für das Label Pirouette auf), Gitarrist John Abercrombie. Begleitet wird Copland von Drew Gress (b) und Jochen Rückert (d), Abercrombie stösst auf fünf der zehn Stücke dazu, auf zwei anderen ist Michael Brecker mit seinem erdigen Tenor zu hören. Neben den üblichen Verdächtigen („Blue in Green“, „You and the Night and the Music“, beide mit Abercrombie – letzteres mit irgendwelchen komischen Composer-Credits) sind hier wieder Copland-Originals zu hören, daneben Parkers „Air Conditioning“, Abercrombies „Spring Song“, sowie Hancocks „Cantaloupe Island“ (mit Brecker) und schliesslich als Leitmotiv diesmal „Old Friends“ von Paul Simon, das in drei Solo-Versionen am Anfang, in der Mitte und am Schluss des Albums am steht.

Im Duo mit John Abercrombie habe ich Marc Copland vor wohl ca. 15 Jahren auch zum bisher einzigen Mal live gehört – das war ein ziemlich tolles Konzert, die mich an sich nicht so begeisternde Gitarren/Piano-Kombination funktioniert bei ihnen jedenfalls bestens.

Die Trio-Scheibe Coplands, „Haunted Hearts“, kenne ich noch nicht, die erste Auflage (das dreifach gehörte Leitmotiv der Scheibe mit Drew Gress und Jochen Rückert ist übrigens „My Favorite Things“) ist längst vergriffen, 2010 erschien allerdings eine zweite Auflage mit neuem Cover.

Auch „Bookends“ ist vergriffen und in einer neuen Auflage greifbar, die allerdings massiv gekürzt wurde und den Titel „Impressions“ kriegte – diese Praxis verstehe ich nicht so ganz (mit Ray Andersons „A B D“ und „Matthew Shipp Duos with…“ wurde dasselbe gemacht, hie und da gab’s solche Kürzungen schon früher, einmal bei Lacy, einmal bei Waldron/Lacy, andere Fälle kenne ich nicht, hab da aber auch nie nachgeforscht).
Details zur 2CD-Ausgabe und zur neuen Einzel-CD (das ganze Live-Set ist da und vom Studio-Teil netterweise „Lester Leaps In“ und „When You’re Smiling“).

Falls jemand weitere Tips zu Marc Copland hat, gerne im Piano-Thread oder sonst and passender Stelle!

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