Re: Was macht einen guten Song (nicht Track!) aus?

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go1
Gang of One

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Die Frage, was ein Song ist, würde ich so beantworten wie Mikko. Diese enge Definition bedeutet, dass ein Teil der populären Musik gut ohne Songs auskommt.

Was ein guter Song ist, hängt vom Genre ab. Das entscheidet zum Beispiel über die Bedeutung des Textes. Ein Folksong ist oft dann gut, wenn er eine gute Geschichte in melodisch einprägsamer Form erzählt; bei anderen Arten von Song reichen ein paar Slogans oder eine einzelne gute Zeile völlig aus. Bei Popsongs im engeren Sinne spielt das Geschichtenerzählen nur selten eine Rolle. Ein guter Popsong braucht in erster Linie „hooks“, die sich gleich im Ohr festsetzen, aber auch nach häufiger Wiederholung einen Reiz behalten. (Solche melodischen Elemente gehören zum Song dazu, nicht nur die Gesangsmelodie.)

Dennoch kann man nach allgemeinen Merkmalen fragen. Und was bullschuetz dazu vorschlägt, ist wie immer interessant:

bullschuetzEin guter Song klingt vertraut und doch nicht geklaut. Man hört ihn und glaubt, ihn schon immer zu kennen. Und doch ist er nicht bloß eine Variation von etwas, das man tatsächlich schon kennt. Ein guter Song schafft auf wundersame Weise den Tanz auf dem schmalen Grat zwischen abgegriffenen melodischen Klischees und der Prägnanz des So-eben-doch-noch-nie-Dagewesenen. Die besten Songs finden zu großer Markanz und Unverwechselbarkeit, obwohl, nein, weil sie ohne eine Fülle abgefahrener Akkorde und schrägster Tonsprünge auskommen. Sie sind zugleich „0815“, was das musikalisch analysierbare Material betrifft, und einzigartig.

Schlechte Songs kippen dagegen in die eine oder andere Richtung vom Grat: sind überladen, überkonstruiert, forciert auf Prägnanz, Markanz, Einzigartigkeit getrimmt; oder erschöpfen sich reißbrettartig in der billigen Variation von Kniffen, die sich bewährt haben. Ein guter Song ist zugänglich, ohne darüber verwechselbar zu werden.

Ganz einfach sein und ganz besonders – darin liegt für mich der Zauber eines guten Songs.

Das ist sehr allgemein, trifft es aber prinzipiell: Ein guter Song muss sowohl einprägsam, wiedererkennbar als auch etwas Besonderes sein.

Ich würde die Einfachheit etwas weniger betonen und mehr die Prägnanz, die „gute Gestalt“, die einem das Gefühl gibt: „Das muss so sein.“ („Einfachheit“ ist für mich mehrdeutig. Die Popmusik mag generell mit relativ einfachem Material arbeiten, aber ihre Melodien sollten nicht auf die Art einfach sein, wie es die Lieder sind, die von Soldaten auf ihren Märschen gesungen werden. Solche Songs empfinde ich nicht als gut.)

Ein guter Song muss nicht unbedingt einen guten Text haben, aber wenn der Text richtig schlecht ist, dann ist der Song insgesamt nicht gut. (Wenn man den Text nicht versteht, kann man immer noch beurteilen, ob die Worte gut klingen – oft kommt es gerade darauf an.)

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To Hell with Poverty