Re: Julian Casablancas "Phrazes for the Young"

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tina-toledo
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Da nun angesichts des Julian Casablancas-Soloalbums an jeder Ecke die Rufe „Radikalabkehr!“ und „Neuerfindung!“ zu vernehmen sind, muss zunächst einmal festgestellt werden, dass diese Abkehr ganz so radikal, wie sie vielleicht auf den ersten Blick wirkt, nicht ist. Schon nach „Room On Fire“ hatte er mit den Strokes am Scheideweg gestanden, ein weiteres lässig-zerlumptes Album zu machen, das niemals mehr die wuchtige Wirkung und Bedeutung von „Is This It“ würde erreichen können, oder aber etwas Neues zu versuchen.

Mit „First Impressions Of Earth“ gelang dann das Kunststück, fast alles anders zu machen als sonst, und trotzdem noch mehr als nur vage nach jener Band zu klingen, die eine Generation junger Musikhörer und ganze Kritikerriegen 2001 beinahe unisono zu Helden erklärt hatte. Tempo und Songwriting wurden variabler (wenn auch Letzteres nicht zwangsläufig besser), Julian Casablancas Vocals bereits zum ersten Mal prominent und unverzerrt in den Vordergrund gemischt, das Arrangement komplexer, vertrackter, ehrgeiziger. Inklusive u.a. Seemanns-Waltzer, Mellotron-„Ballade“, Spuren von Hard Rock, Grunge, Streichern und Rekord-Gegniedel – und alles mit einem mal subtileren und mal ins Auge stechenden Touch Futurismus, durch das Artwork ergänzt. Kurz: Ein buntes, ambitioniertes, nicht immer tatsächlich gewichtiges, aber doch über seine vollen 54 Minuten hinweg (immerhin ungefähr so lang wie die ersten beiden Alben kombiniert) unterhaltendes Album.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist „Phrazes For The Young“ also nichts mehr als ein weiterer Schritt weg von grenzenlos unbeeindruckter NYC Cool- und Roughness und ewigen Velvet Underground-Vergleichen. Keineswegs eine 180-Grad-Drehung also. Durch die vielbenannte und offensichtliche 80s-Ästhetik des Albums scheint ebenfalls wieder eine charakterliche Mehrdimensionalität, mit einem nicht unähnlichen futuristischen Feel. Julian Casablancas Vocal-Stil (z.B. das lange Dehnen am Ende von Zeilen, typische Melodiebögen) nahm schon auf dem letzten Strokes-Album seine ersten Ausprägungen an, und „River Of Brakelights“ in seinem brodelnd-dräuenden Soundgewandt schlägt sogar einen direkten Bogen von „First Impressions Of Earth“ und hätte in einer editierten Version – gekürzt und ohne humpelnde Beats am Anfang und zwischendurch – auf dem 2006-er Album nicht fehl am Platze ausgesehen.

Natürlich trägt er hier vieles noch weiter als er es mit den Strokes konnte, und was an interessanten Ansätzen mit der Band noch hier und da etwas unbeholfen wirkte, kommt auf „Phrazes For The Young“ inzwischen sehr selbstsicher rüber. Es ist ein schlaues, kreatives und ausgefeiltes Album geworden, auch wenn man sich zu den Sound-Ideen vielleicht noch durchgängig bessere Songideen wünschen könnte. Damit könnte das zweite Solo-Album tatsächlich nochmal ein großer Wurf werden.

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Sir, I'm going to have to ask you to exit the donut!