Startseite › Foren › Das Radio-Forum › Roots. Mit Wolfgang Doebeling › 08.11.2009 › Re: 08.11.2009
@ otis
Die Erklärung, warum Dir und 99,9% der Menschheit die Beach Boys näherstehen als Van Dykes ungleich komplexere Musikwelt, liegt doch aber auf der Hand. Denn auch wenn „Heroes And Villains“ und „Surf’s Up“ zu den „schwierigsten“ BB-Aufnahmen gehören, nicht zuletzt lyrisch, so war es doch ihre Bestimmung, massenhaft Gefallen zu finden. „Heroes“ war ja sogar als Single konzipiert und wurde, obwohl Mike Love daran zweifelte, ein Hit. Nun hätte Van Dyke natürlich nichts dagegen einzuwenden, würden seine Platten millionenfach verkauft. Hätte er es aber darauf angelegt, wären sie linearer und lesbarer. Statt beim Kunst kreieren auf den Markt zu schielen, schaut er in sich hinein, hört auf das, was ihm Hirn und Herz diktieren. Und das ist nicht wenig, denn er ist ein so komplizierter wie kluger Mann. Weshalb seine Musik auch nicht unkompliziert und geradeaus sein kann. Ich weiß, daß Du generell große Schwierigkeiten hast, Dich auf gedankenreiche Musik einzuschwingen. Sie sei „verspielt“ schreibst Du dann oder sie klinge „gewollt“, es fehle Dir die „emotionale Anbindung“. Nun, das kann dauern. Wie bei Moondog. Möglich, daß dieses Andocken nie so recht hinhauen wird (Steely Dan, XTC, etc.), aber es setzt auf jeden Fall die von Dir so genannte „intellektuelle Anbindung“ voraus, will sagen: eine längere, intensivere Beschäftigung mit der Musik und ihren vielfältigen Wurzeln. Zum Beispiel jenen in der Karibik, im alten Kalifornien, in Mississippi. Neulich spielte ich wieder mal ein paar Tracks von Gabby Pahinui, aber doch nicht in der frohen Erwartung, meine Hörer würden anderntags in den Plattenläden nach Hawaii-Folk forschen. Du kennst Randy Newmans Antwort, „I haven’t felt the magic“, auf meine Frage, wie er es denn mit Charlie Parker halte. Nun ist es evident, daß Du die Magie Van Dykes auch noch nicht gespürt hast. Was keinesfalls schlimm ist. Schade ist aber, daß Du Randys Wissen um Birds Zauber in Bezug auf so großartige Musik nicht teilst und stattdessen kunstferne Fragen stellst wie: was bringt’s, was soll’s, wozu das Ganze? L’art pour l’art, my ass. Diesen Vorwurf mußten sich alle Künstler anhören, die Trampelpfade verließen und sich durch’s Dickicht einer Inspiration schlugen, von der andere noch nichts ahnten. Es mag ja beschwerlicher sein, dieser Inspiration nachzuspüren, „Ulysses“ liest sich nicht eben flüssig, Harry Partch oder Ornette Coleman liefen ihren Hörern auch nicht gerade hinterher, doch „bringt“ eine nähere Beschäftigung u.U. eine erkleckliche emotionale wie intellektuelle Befriedigung, die den „Aufwand“ allemal lohnt. Eine Garantie gibt es freilich nie, womöglich fallen Dir zu Van Dyke Parks auch in zehn Jahren noch Ausgrenzungsvokabeln wie „verschlossen“ und „Gegenwelt“ ein. Eine Sendung wie die gestrige kann daran nur etwas ändern, wenn Du Dich hernach auf die Suche nach dem Schlüssel begibst. „Song Cycle“ studieren! Und was „Cannon In D“ betrifft: die Nachrichten hatten mal wieder überzogen, das Stück sollte bei der Wiederholung oder im Dauerstream länger zu hören sein.
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