Re: Lady Gaga

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satiee

Registriert seit: 09.07.2006

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IrrlichtAch, denke ich eigentlich gar nicht. Das Problem ist hier doch vielmehr, dass Gaga einen schönen Aufhänger bildet, an dem sich die üblichen Forumsfeinde (wie auch immer), mal wieder gegenseitig schwarze Peter zuschieben können (denn um Gagas Kunst geht es hier ja ähnlich selten wie um selbige im Böhse Onkelz oder Toto Thread).

Ich hatte mir in den letzten Tagen nochmal die Singles vorgenommen (ich nehme an, da die Songs durchaus für sich allein sprechen, dass Albumkontexte da nicht allzusehr ins Gewicht fallen?), um zu greifen zu bekommen, was mir an Lady Gaga fehlt. Was mir da aufleuchtete, war dann aber mehr ein generelles Problem, dass vollkommen unabhängig vom Pop-Kontext, von Verkaufszahlen, von Image und auch Stilrichtung ist. Rossi hatte es schon erwähnt: Auch eine Adele verkörpert etwas, nicht weniger als Lady Gaga, so spielen alle Nickelbacks dieser Welt ihr Underdog- und dreckiges Dasein musikalisch aus – und eigentlich: Gerade in den frühen Jahren auch ein Scott Walker oder Brel oder Sinatra, you name it. Und der Künstlichkeitsvorwurf, so alt wie uninteressant: Ich habe ihn nie verstanden. Kunst ist bis zu einem gewissen Punkt immer künstlich, den sie projeziert ja nur einen Gedanken auf eine andere Form (so ganz salopp gesagt) – und ohnehin: Was sollte daran schlimm sein? (generell ist dieses „handgemacht“-Pipapo so derart altbacken) – für mich klingt das nach gedanklicher Stagnation. Kunst wandelt sich nunmal (zurecht!) und mir will nicht in den Sinn, warum ich nicht gleichermaßen von Ravel wie auch Tangerine Dream beeinflusst werden kann. Oder von Hesse, aber auch Nietzsche. Um aber auf Lady Gaga zurückzukommen: Für mich hat Kunst zwei wesentliche Schwerpunkte (neben vielen anderen kleineren): Die Botschfaft (Texte, Image, Inszenierung), dann die Umsetzung (Ausdruck, Spannung, „Musikalität“) – viele Musiker folgen nur einem Strang. Die einen, die Handwerker, bleiben letztlich seelenlos, ausdruckslos, belanglos, weil die „Substanz“ (im wahrsten Sinne) fehlt. Quasi tausendfacher, aber völlig sinnloser Schnörkel (das sind für mich die Totos, Asias oder auch Yes‘ dieser Musikwelt) – das andere Extrem sind Musiker reiner Inhalte, Gedanken (die löblich sein können) oder auch nur Parodien auf etwas – die aber letztlich selbst im Theoretischen hängen bleiben, weil sie eben nur das sind: Kopfgeburten, völlig emotionslos (da beiß ich mir bis heute u.a. an vielen deutschsprachigen Musikern die Zähne aus – an Kunze oder Licht oder Distelmeyer, um die Bekanntesten zu nennen). In Wahrheit ist es so, dass Gaga für mich dort irgendwo stattfindet, im für mich zu Theoretischen. Ich habe mich mit Germanotta nicht allzu sehr beschäftigt und muss mich daher auf rein das verlassen, was ich aus ihrer Musik wahrnehme: In erster Linie nehme ich das als sehr eindeutiges Kunstprodukt wahr (und ich nehme an, dass es das in diesem Fall auch ganz bewusst ist), als Hang zum Exzess, durchaus mit Symbolik und Reminiszenz – und viel Schalk steckt da auch drin (ich finde ihre Videos übrigens allesamt sehr gelungen) – da ist dann aber auch der Punkt: Ich finde letztlich die Persönlichkeit hinter der Maske Musik, den ganzen Hintergedanken, eigentlich spannender als die Musik selbst (Rossi, rüge mich, wenn ich Pop damit nicht verstanden habe). Denn die bleibt für mich eines: Etwas, das weitestgehend hinter dem Kontext verschwunden und damit für mich nicht greifbar ist. Nicht das es kalt wäre, aber es führt zum gleichen wie bei Lukather: Ich kann nur das eine würdigen. Dort das Handwerk, hier die „Attitüde“ – sie bleibt für mich einseitig musikalisch und damit bezugslos (unabhängig davon, dass ich bspw. diverse Liveauftritte am Klavier ansprechend finde).

Sorry, dass es wieder ein kleiner Roman geworden ist, aber mich interessiert tatsächlich, was viele (denen ich ihre Enthusiasmen auch glauben kann) an dieser Musik schätzen. pinch wollte vor längerem ja mal antworten, aber auch nach den vier Wochen ist nichts drauß geworden (Schlamper! ;-)). Demnach: Würd mich freun. Und wird mich auch freun, wenn es wirklich mal um Gaga gehen würde – diese lieblosen dislike-Einheitseinzeiler sind echt inszenierter, als die Lady es je sein könnte.

Mein Kompliment ! Das ist kein „kleiner Roman“ von Dir. Das ist alles gut durchdacht und verstehe ich
sehr gut. So gut sogar, daß ich verstehe, mich ‚raushalten zu müssen. Da kann man über mich ‚ätzen‘,
aber es hat damit zu tun, daß Du aus Deiner Sicht sprichst, gegen die ich mich selbst nicht mehr
‚behaupten‘ will.
Zwar finde ich reichlich waghalsig u.a. Scott Walker, Jaques Brel oder Frank Sinatra
in diesen Kontext zu bringen, um KUNST ( bis H.Hesse + Nietzsche) als Alibie anzuwenden, um
Lady Gaga als Künstlerin zu ‚rechtfertigen‘, – aber wie gesagt: vor Deinem Elan ziehe ich meinen
Hut, aber halte mich lieber ‚raus. Ich w ä r e auch so euphorisch draufgewesen ;-) !

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