Re: Walter Kempowski

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friedrich

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Walter Kempowski – Im Block

Ich kenne schon einiges von Kempowski. Sein erstes Buch – Im Block – stand bei mir zwar schon eine Weile rum, aber erst vor ein paar Tagen habe ich in Ermangelung anderen Lesestoffs damit angefangen. Es ist für mich fast unbegreiflich wie Kempowski schon in seinem ersten Buch seinen Stil gefunden hat. Eigentlich nur mit einer Aneinanderreihung von scheinbaren Trivialitäten zeichnet er ein Bild seiner Gefangenschaft im Gelben Elend in Bautzen in den späten 40ern und frühen 50ern. In kurzen, durch Leerzeilen voneinander getrennten Absätzen, manchmal gerade mal 3 Zeilen, selten mehr als 10 oder 15 Zeilen lang, lakonisch geschilderte Einzelheiten. Keine Erklärungen, keine Bewertung, kein Fazit. Nicht mal eine Gewichtung der einzelnen Ereignisse. Kein Gedanke. Ob es nun um das tägliche Ritual der Suppenausgabe geht, um die eigentümlichen Hobbys, denen die Mitgefangenen im Schlafsaal vor lauter Langeweile nachgehen, oder um 60 Fälle von offener Tuberkulose. Ganz beiläufig erfährt der Leser, dass unter den Häftlingen ein ehemaliger KZ-Aufseher ist. Einige Seiten später liest man ebenso beiläufig von im gleichen Saal inhaftierten jüdischen ehemaligen KZ-Insaßen.

Vielleicht passiert das Wichtige in diesem Buch zwischen den Absätzen, denn in den Pausen setzt sich im Kopf des Lesers erst ein größeres Bild zusammen. Die zunächst lächerlich und komisch wirkenden Anekdötchen wirken auf einmal wundersam, absurd, tragisch und alles erscheint in einem ganz anderen Licht. Aber die Bewertung bleibt dem Leser selbst überlassen. Das halte ich für eine große Stärke von Kempowski.

Bei seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1969 war Im Block ein Flop. Wahrscheinlich wollte in dieser Zeit kein Mensch was von den Erlebnissen eines Ex-Knackis aus der Ostzone lesen.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)