Antwort auf: Die besten Prestige Alben

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Zwei weitere, recht ähnlich Twofer sind von Harold Mabern auf Fantasy erschienen.

A Few Miles from Memphis

Beide Alben, A Few Miles from Memphis und „Rakin‘ and Scrapin'“, stammen von 1968 und stellen Mabern als Leader, Komponist und Pianist in den Mittelpunkt einer tollen Band, die aus George Coleman (ts), Bill Lee (b), Buddy Terry (ts, 1. Album), Walter Perkins (d, 1. Album), Blue Mitchell (t, 2. Album) und Hugh Walker (d, 2. Album) besteht.

In Memphis blühte nicht nur die Musik von Sun oder Stax, auch Jazzer wie die Brüder Phineas und Calvin Newborn, Charles Lloyd, Booker Little, Garnett Brown, Louis Smith, Hank Crawford oder George Coleman stammten aus Memphis. Die Zwei-Tenor-Frontline gibt dem ersten Album einen fetten Sound. Auch Bill Lee trägt wesentlich dazu bei. Perkins groovt wie immer leicht und auf seine ganz eigene Art und Weise. Die Saxophone von Coleman und Buddy Terry (der zuvor u.a. mit Lionel Hampton gespielt hatte) ergänzen sich sehr gut, der Sound dieses Quintetts ist erdig und dreckig – auch wenn die Musik nicht den grössten Tiefgang haben mag, gefällt sie mir sehr gut! Wie das Titelstück ist auch „Walkin‘ Back“ ein Blues-Original von Mabern, sein Piano-Intro ist sehr schön und mir gefällt Lee hier ganz besonders. Coleman ist der perfekte Solist für diese Musik – Licks-basiert, aber doch sehr vielfältig und virtuos in der Umsetzung, und vor allem mit einem wunderbaren Ton ausgestattet. Terry steht ihm allerdings kaum nach, mit einem robusten Ton und etwas einfacherer Konzeption.

Das dritte Original heisst „A Treat for Bea“ und ist mit einem träge dahinschleichenden Latin-Groove unterlegt… Perkins begleitet ausgespaart, fast Bossa-mässig karg, während Lee das ganze erdet. Coleman bläst ein schönes Solo, das organisch aus dem charmanten Thema wächst. Für Terrys Solo fällt die Rhythmusgruppe zu Beginn beinahe in 4/4… Es folgt noch eine Art Blues-Boogaloo, „Syden Blue“, auch das eine kurze gelungene Performance. Dann folgt ein Pop-Song, „There’s a Kind of Hush“, den Mabern schön arrangiert hat und mit einem streckenweise ziemlich akkordischen Solo beglückt. Coleman ist der einzige Tenorsolist auf diesem Stück – Mabern wird in Jeffrey Roberts‘ Liner Notes zu ihm wie folgt zitiert:

Harold Mabern
George Coleman is by far the most underrated tenor saxophonist that I’ve heard. I’d rate him with Coltrane, Rollins, Joe Henderson. . . He’s a very sensitive person and his playing is very melodic and lyrical. In Memphis he was like the father of all of us. He was the hippest musician in Memphis – hip to all the bebop tunes. He’s such a very beautiful player. He taught us all so much.

„B&B“, das nächste Mabern-Original, ist Clifford Brown und Booker Little gewidmet. Die Stimmung ist wie zu erwarten melancholisch, die beiden Tenorstimmen sind sehr schön gesetzt, die Soli nachdenklich klagend. Auch Lee kriegt kurz Platz für ein Solo.
Zum Abschluss folgt „To Wane“, auch das von Mabern. Die Stimmung ist zwar nicht so fröhlich wie in den Boogaloos, eine leicht melancholische Grundstimmung durchzieht das Thema (ähnlich wie in manchen Silver-Stücken), aber das Tempo ist zügig und das Album findet zu einem gelungenen Ende.

Bestimmt kein grosses Album, aber ein sehr schönes Beispiel für das funky erdige Spiel Maberns und sein Können als Komponist.

Das zweite Album, Rakin‘ and Scrapin‘, entstand Ende desselben Jahres mit Blue Mitchell und Hugh Walker anstelle von Terry und Perkins. Walker bringt einen konventionelleren Groove rein, satter, weniger raffiniert. Mitchell schon im ersten Stück, dem groovigen Titelstück von Mabern, einen Punch in der Höhe, den’s auf dem ersten Album so nicht gab.

Das zweite Stück ist langsam, nachdenklich – „Such Is Life“ eben. Es stammt von 1963, aus der kurzen Zeit, in der Mabern in der Band von Miles Davis war (neben den beiden anderen Memphis-Jazzern Frank Strozier und George Coleman – nur letzterer blieb länger und ist auf ein paar grossartigen Alben zu hören). Ein interessantes Detail: Sonny Mann schreibt in seinen Liner Notes, dass Mabern für dieses wie für alle seine Stücke auch Lyrics geschrieben habe. Schöne Soli von Mitchell und Coleman folgen, und auch hier ist Bill Lee sehr präsent und prägend für die Stimmung.

Mit „Aon“ beginnt die zweite Hälfte des Album. Das Tempo zieht wieder an, das Thema besteht aus kurzen Bläser-Riffs und abfallenden Piano-Linien – sehr zickig. Walkers Cymbals tragen viel zur Stimmung bei, er und Lee harmonieren sehr gut. Mitchell spielt ein reduziertes Solo und überzeugt auch in den Fours mit Walker.

Mit „I Heard It Through the Grapevine“ folgt eine kurze Pop-Nummer mit treibendem Beat von Walker und Mabern am elektrischen Piano. Der Spuk dauert nur drei Minuten und wirkt ein wenig deplaziert hier, macht aber doch Spass. Das Album endet dann mit „Valerie“, einem Stop-and-Go Thema von Mabern, der das Stück im Trio vorstellt – ein gelungener Abschluss.

Das Fazit ist wohl in etwa dasselbe: schöne Musik, irgendwo zwischen Hardbop und dem Boogaloo-Soul-Jazz, wie ihn Lee Morgan mit seinem „Sidewinder“ oder Herbie Hancock mit „Watermelon Man“ ein paar Jahre davor eingeleitet hatte (daher stehen diese Posts auch nicht im Hardbop-Thread, denn für mich ist das hier kein Hardbop mehr).

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