Re: Die besten Prestige Alben

#7310267  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,063

Ich weiss langsam nicht mehr so recht, wo was posten… dachte schon daran, einen Ego-Thread zu starten mit meinen Anmerkungen, aber das käm mir auch seltsam vor… in den Hardbop-Thread passt das nicht, ob’s zu den „besten“ Prestige-Alben gehört weiss ich auch nicht… aber egal.

Cedar Walton – Spectrum

Die CD vereinigt zwei Alben, die Walton 1968 mit Blue Mitchell und Clifford Jordan unter Aufsicht Don Schlittens für Prestige eingespielt hat. Das erste, Spectrum, gefällt mir sehr gut, mit Richard Davis und Jack DeJohnette steht Walton eine unglaublich flexible Rhythmusgruppe bei, die gegen alle Seiten Grenzen auslotet, groovt, swingt, brodelt, kesselt… das macht selbst das in bester Horace Silver-Manier gehaltene Eröffnungsstück „Higgins Holler“ zum Ereignis – obwohl Walton kontinuierlich sein Akkord-Riff hämmert. DeJohnette ist wohl kein Drummer, der sich in solchen Settings besonders wohlfühlte, aber sein dichtes Spiel macht die Musik spannend. Ebenso Richard Davis, der auch wie ein Fremdkörper klingt, aber unglaublich toll begleitet! Herausragend auch Clifford Jordan, mit seinem leicht verhangenen Ton und der zugleich sehr lyrischen aber auch erdig-bluesigen Phrasierung. Er und Blue Mitchell bilden ein weniger kontrastreiches Gespann als Mitchell und Cook bei Silver, aber mit dieser fast hyper-aktiven Rhythmusgruppe passen sie perfekt!
Das Trio-Feature „Days of Wine and Roses“ ist der einzige Standard des Sets. Auch hier trägt Davis viel zum Gelingen bei. „Jake’s Milkshakes“ folgt (und damit beginnt die zweite Hälfte des Albums), eine kurze groovende Nummer, Walton spielt das erste Solo, mit extrem klarem Ton und seinem schönen Anschlag. Es folgen Mitchell (man höre auf Davis hinter ihm!) und Jordan mit kurzen lyrischen Soli, dann kurz Jack DeJohnette mit einem dichten Schlagzeugsolo, und nach knapp weniger als vier Minuten ist das auch schon vorbei…
„Spectrum“, das dritte und letzte Original von Walton, ist von einer getragenen Stimmung. Wie DeJohnette und Davis Waltons eröffnendes Solo begleiten ist wieder sehr eindrücklich und macht aus einer Bop-Performance etwas viel spannenderes, zumindest rhythmisch werden hier Grenzen ausgelotet – die beiden machen wohl so ziemlich alles, was geht, ohne den Rahmen zu sprengen. Nach einem langen Solo von Waldron kriegt Davis sein Solo und macht das beste draus. Für mich definitiv einer der spannendsten Bassisten des Jazz! Die Bläser sind hier nur im Thema kurz zu hören.
Zum Schluss gibt’s eine kleine Überraschung: Das letzte Stück, „Lady Charlotte“, stammt von Cal Massey. Es ist lyrisch, leicht verschroben was die Struktur und Begleitung betrifft, Jordan spielt ein kurzes erstes Solo, dann folgt Mitchell, der für ein solches Stück die perfekte Besetzung ist. Letzteres muss ich einmal mehr auch von Richard Davis sagen, der dem Stück Charakter gibt und die Pedal Notes und alles, was es da zu spielen gibt, mit grösster Souveränität umsetzt und ausschmückt. Waltons Solo steht am Ende und gehört zu seinen schnörkellosesten, schönsten.

Das hier scheint das Originalcover von Prestige 7591 gewesen zu sein:

Das zweite auf der CD enthaltene Album beginnt mit Walton am elektrischen Piano: „The Electric Boogaloo Song“, wohl ein Versuch, einen Hit zu kreiieren… schlecht ist das nicht, ganz im Gegenteil, es macht Spass. Aber für mich kommt die Rhythmusgruppe Bob Cranshaw/Mickey Roker – so gut und professionell sie auch sein mögen – niemals an Davis/DeJohnette heran, und entsprechend ist das Geschehen auf dem ganzen Album weniger inspiriert. Den Groove haben sie allerdings raus, Rokers Beat hier hätte sich im Acid Jazz der 90er perfekt als Sample geeignet. Und Waltons Fender Rhodes (wie ich annehme?) ist auch toll.
Ira Gitler übt sich übrigens als Poet in den Liner Notes:

Cedar Walton
with swing unhaltin‘
and sounds you’ll find no fault in
makes music con brio with quintet and trio.

His solos are not eclectic
on regular keyboard or electric
Ideas come swift, sure and melodic
straightforward, heartfelt and never spasmodic.

Whether behind Clifford Jordan he’s doin‘ his chordin‘
or comping a few for Mitchell, Blue
their playing resembles fine cigars, dear reader
for the natural essence is wrapped in Cedar.

When the beat’s in need of a fiery stoker
the fuel’s heaped on by Cranshaw and Roker
Bob’s throbs prove he’s no joker
and Mickey’s sticks make a red hot poker.

Guided by producer Donald Schnlitten
the men recording really fit in
They played neither short nor too long
The day they taped The Electric Boogaloo Song.

:-)

Um das Hipster Thema grad abzuschliessen hier noch das Original-Cover:

Mitchell ist im Titelstück fast schon in einem Setting wie auf den Orgeljazz-Sessions, die er etwa mit Lou Donaldson in jener Zeit aufgenommen hat – er schafft einen lyrischen Gegenpol zum Geschehen und ist zugleich mitten drin. Auch Jordan spielt ein grossartiges Solo.
Mit dem Standard „You Stepped Out of a Dream“ folgt das erste von zwei Trio-Stücken – stark von Bud Powell geprägt, jedoch mit sehr leichten Drums von Roker, Cranshaw setzt auch mal kurz aus, spielt dann aber ein Solo, nachdem Walton in diesem horrenden Tempo fast schlafwandlerisch sicher soliert hat.
Das Quintett meldet sich mit dem nachdenklichen Original von Clifford Jordan, „Impressions of Scandinavia“, zurück (dachte er mit Wehmut an die herbe Schönheit auf dem LP-Cover von Art Farmer?) – jedenfalls spielen Mitchell und Jordan schöne Soli, Waltons Begleitung strukturiert das Stück auch während der Soli stark.
Das letzte Stück in Quintett-Besetzung ist „Sabbatical“ von Walton. Jordan wechselt hier an die Flöte, die Stimmung ist nachdenklich, das Tempo getragen, Cranshaw spielt wunderbar und Waltons Solo ist grossartig. Mitchell passst natürlich perfekt, wie er am Ende des Themas fast in der Stille verschwindet ist sehr schön! Zum Abschluss folgt eins von Waltons bekanntesten Stücken, „Ugetsu“, dargeboten im Trio – die lyrische Stimmung zieht sich fort und lässt das Album nachdenklich und ruhig enden.

Gitler reimt zum Abschluss:

If you want to know more about Cedar
Get Spectrum or Cedar dear reader,
Read the notes by our old British pardner
long, lean and lanky Mark Gardner

Meanwhile, folks, you can do no wrong
By tuning in on The Electric Boogaloo Song

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba