Charlie Watts

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    Der diskrete Charme des Bourgeois

    Die Rolling Stones spielen in Hannover – ihr wichtigster Mann sitzt am Schlagzeug und heißt Charlie Watts

    Wenn Mick Jagger am Freitag in der Open-Air-Arena Hannover seine Band vorstellt, wird es für jeden Musiker einen kleinen Jubelsturm geben. Jubel für Ron Wood, den lustigen Clown der Rolling Stones, den Neuling, der erst seit 28 Jahren bei der Band ist. Ein bisschen mehr Jubel für Keith Richards, weil er der Fleisch gewordene Rock ’n’ Roll ist, und weil in seinem zerknautschtem Gesicht ein dionysischer Lebenswandel tiefe Spuren hinterlassen hat. Doch Charlie Watts, den unauffälligen Schlagzeuger, bedenkt die Fangemeinde bei solchen Gelegenheiten mit minutenlangen Ovationen. Nur Nelson Mandela, schrieb die „Times“, wurde ähnlich gefeiert, in der Zeit nach seiner Freilassung. Watts schaut dann meist verlegen auf seine Hände und wartet, bis der Jubel vorbei ist.

    Inmitten des lärmenden Rock-’n’-Roll-Zirkus, für den die Stones stehen wie keine andere Band, wirkt Watts wie ein Fremdkörper. Seit er 1963 zur Band stieß, galt er als der Mann im Hintergrund, schweigsam, höflich, reserviert bis zur Verschlossenheit. Damals mussten ihn die anderen nötigen, sich die Haare wachsen zu lassen. Und weil die Stones bei ihrer Umwertung aller moralischen Werte fürchteten, bürgerliche Ehen seien schlecht für ihren schlechten Ruf, durfte er seine Frau Shirley nur heimlich heiraten.

    Anfang der Siebziger, als die Band ständig auf Tour war und die anderen sich jeden Abend ein paar Mädchen mit aufs Zimmer nahmen oder Fernsehgeräte von Hotelbalkonen warfen, telefonierte er abends stundenlang mit Shirley. Die anderen versanken im Drogensumpf, er nippte am Rotwein. In den achtziger Jahren, als die anderen längst im Kreise der Familienväter angekommen waren, holte er die Exzesse mit Massen von Alkohol und Drogen nach. Und trotzdem ist die Welt der Stones nie die seine geworden.

    Rock lässt sich nicht auf Musik reduzieren. Mit besonderer Perfektion kultivierten die Stones ihn als (selbst-)zerstörerischen Lebensstil, als Mischung aus Bourbon und Zersetzung, Sex und Überheblichkeit. Hörten Musikwissenschaftler schon bei den frühen Beatles „äolische Kadenzen“ heraus, galten die Stones immer nur als Truppe von primitiver Wucht und geballter Sinnlichkeit, sie verkörperten Dekadenz und Gewalt. Jaggers Frauenverschleiß, Richards’ Heroinkonsum – die Aushängeschilder der Band kokettierten noch mit ihrer ständigen Nähe zu Lust und Tod. Sie führten sich auf wie wilde Tiere. Und wenn, frei nach Nietzsche, das Erhabene aus der Bändigung des Entsetzlichen entsteht, war Charlie Watts ihr Dompteur.

    Watts war es, der immer pünktlich zu den Proben erschien, der die Streithähne Jagger und Richards wieder an einen Tisch brachte, wenn es wie so oft krachte. Er erdete die Eitelkeiten der Exzentriker und gab den genialisch-simplen Akkorden durch seine Schlagzeuggrundierung erst eine Struktur. Sein verschleppter Swing, seine Eigenart, Hi-hat und Snare fast nie gleichzeitig zu spielen, hat den Sound der Stones genauso geprägt wie die ungleich berühmteren Gitarrenriffs von Keith Richards – nur unmerklicher, unterschwelliger, bescheidener. Musikalisch und menschlich: Watts war für die Stones immer das, was ein unscheinbarer Stützpfeiler für eine Fassade ist, die mit schillernden Verzierungen prunkt: das unspektakulärste, aber einzig unverzichtbare Element.

    „Schlagzeuger bei den Stones zu sein ist weitaus kreativer, als manche Leute denken“, sagt er selbst. „Keith schreibt einen Song, und ich kann daraus eine Samba, einen Walzer oder sonst was machen.“ „Wenn er loslegt, legt die ganze Band los“, sagt Gitarrist Ron Wood. „Absolut unverzichtbar.“ Gerade weil die Welt des Rock ’n’ Roll ihm im Grunde fremd ist, brauchen die Stones ihren Schlagzeuger – als den, der der gesamten Band Distanz schafft zu allem, was ihre einzelnen Mitglieder tun.

    Watts ist ein Jazzer. Seine Liebe galt immer dem Bebop Charlie Parkers, sein Traum war es immer, Jazzschlagzeuger zu werden. Erst als er einsah, dass ihm technische Grenzen gesetzt waren, heuerte er bei der Bluesband an, in der es mehr auf motorische denn auf virtuose Eigenschaften ankam. Ein Brotberuf, der ihn zum vielleicht reichsten Trommler der Welt machte – um den Preis, dass er, der stets untadelig Gekleidete, der ausgeglichene Antiquitätensammler, in einer fremden Welt zu Gast sein musste.

    Weil er kein echter Rockmusiker ist, wird dem 62-Jährigen auch nie vorgeworfen, dass er nicht jung gestorben ist. „Charlie geht mit dem Älterwerden wie alle großen Jazzer um“, sagt Ron Wood. „Er altert so wie Ellington und Count Basie. Mit echter Würde und Klasse.“ Keine Selbstverständlichkeit in dieser Branche. Und keine Selbstverständlichkeit in dieser Band. Watts altert unspektakulär, wie selbstverständlich – und darin erkennen die Fans ihr eigenes Altern wieder.

    Er ist kein erfolgreicher Geschäftsmann, kein Manager-Playboy wie Jagger. Er ist auch keine wandelnde Leiche mit Kultcharakter wie Richards, der bei jedem Auftritt den Eindruck erweckt, die Suchtberatung hätte ihn als abschreckendes Beispiel auf die Bühne gestellt. Watts ist der nette, etwas unterschätzte Typ, dessen Arbeit nie so richtig gewürdigt wurde, der sich aber trotzdem nicht unterkriegen lässt. Der Fels in der Brandung. Niemand zum Bewundern, niemand zum Beneiden, nicht einmal zum Bedauern. Aber jemand, mit dem man sich identifizieren kann.

    Anders als Jagger und Richards ist Watts nicht so, wie die Fans gerne wären. Er ist so, wie sie sind. Und wenn sie Watts applaudieren, feiern sie auch ein bisschen sich selbst.

    Simon Benne

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    #1054171  | PERMALINK

    joerg-koenig

    Registriert seit: 09.08.2002

    Beiträge: 4,078

    So feiert die HAZ sich selber in der Gestalt von Charlie Watts: brav, grau und bieder, aber auch kenntnisreich und mit einer Auflage, die alle großen überregionalen Zeitungen um minnigens 100.00 hinter sich lässt.

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    Wenn wir schon alles falsch machen, dann wenigstens richtig.
    #1054173  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,574

    So feiert die HAZ sich selber in der Gestalt von Charlie Watts: brav, grau und bieder, aber auch kenntnisreich und mit einer Auflage, die alle großen überregionalen Zeitungen um minnigens 100.00 hinter sich lässt.

    Nette Interpretation, Jörg. Ich hatte mich auch schon über diverse Lobpreisungen an Watts Adresse gewundert – da schriebt sich das ergraute Feuilleton selber eine Eloge. Aber auch im hohen Alter noch Whiskey trinken wie Keith Richards – das hat der Arzt verboten. Und Affären mit knapp 20-Jährigen wie Sir Mick – da kommt vielleicht sogar die Polizei. Dann doch lieber Charlie Watts gutfinden (ich mag ihn ja auch)…

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
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