Re: Eric Rohmer

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gypsy-tail-wind
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aus dem „letzten Film, den ich gesehen habe“-Thread (ab Post #34785) – ich hoff ich hab das einigermassen sinnvoll hingekriegt und die Zitate in den Zitaten nicht verbockt:

gypsy tail windVorhin im Kino:

Ma nuit chez Maud (Eric Rohmer, FR 1969)

Holy holy – bin tief beeindruckt. Mein erster Rohmer-Film überhaupt – und wohl ein glatter *****er und potentieller neuer Lieblingsfilm. Mal schauen, ob ich’s noch ein zweites Mal schaffe. Wunderschön photographiert und inszeniert, und das Gelaber ist auch recht nett ;-)
Schade, dass ich vor sechs Jahren die letzte Rohmer-Retro komplett verpasst habe.

lathoIch kann mir nicht vorstellen, dass dir die anderen Rohmers nicht gefallen. Versuch aber nach Möglichkeit die Filme in Reihenfolge anzusehen. Mir hat das bei Rohmer geholfen, vor allem bei Comédies et proverbes. Pauline à la plage finde ich immer noch sensationell und L’ami de mon amie ist ein Geheimtipp.

gypsy tail wind“Pauline“ läuft demnächst auch noch als Reedition… allerdings hab ich seit bald zwei Jahren die DVD-Box mit den Comédies et Proverbes sowie „L’amour l’après-midi“ und der Marquise herumliegen… irgendwie macht’s mir einfach keinen Spass, Filme so zu entdecken, aber ich mach mich da wohl mal dran, denn die nächste Rohmer-Retro in Zürich ist erst 2026 zu erwarten, wenn der bisherige Rhythmus (1986, 2006) eingehalten wird.

tolomoquinkolom

gypsy tail wind

Rohmer kenn ich noch gar nicht.

tolomoquinkolomWenn das irgendwann mal anders ist, bin ich auf Deine Reaktion gespannt.

Nach einem kurzen Austausch (über Godard/Rohmer/Tanner) in einem anderen Thread hat es zwar ein bisschen gedauert, aber nun scheint Rohmer bei dir angekommen zu sein. [smiley entfernt]

gypsy tail windVorhin im Kino:

Ma nuit chez Maud (Eric Rohmer, FR 1969)

Holy holy – bin tief beeindruckt. Mein erster Rohmer-Film überhaupt – und wohl ein glatter *****er und potentieller neuer Lieblingsfilm. Mal schauen, ob ich’s noch ein zweites Mal schaffe. Wunderschön photographiert und inszeniert, und das Gelaber ist auch recht nett ;-)
Schade, dass ich vor sechs Jahren die letzte Rohmer-Retro komplett verpasst habe.

Ja, Eric Rohmers Inszenierung ist makellos und Nestor Almendros sorgt für sehr schöne Bilder, wie in drei weiteren Filmen der Contes Moraux auch – und in PAULINE. Der einzige Schwachpunkt an MA NUIT CHEZ MAUD liegt für mich in Trintignants Filmrolle.

Ja, schade, dass die Retro ohne dich stattfand. Das lässt sich aber sicher spätestens zur Rohmer-Werkschau 2020 nachholen – anlässlich des 100. Geburtstages des Quasselfilmers. Du hast also noch Zeit. Auch Rohmer hat nicht auf Geschwindigkeit gesetzt, sondern auf Beharrlichkeit. ;-)

gypsy tail windAch, ich fand Trintignant ganz okay… klar, die wirklich ideale Besetzung war er wohl nicht, und ein paar Mal schien er mir für kurze Momente etwas aus der Rolle zu fallen, aber ansonsten agiert das kleine Ensemble vorzüglich!

Die Bilder sind in der Tat enorm schön gestaltet und das widerspiegelt auch die perfekte Form des Filmes. Da wird nichts dem Zufall überlassen, aber dennoch wirkt alles leicht, da wird über Pascal und über die Liebe diskutiert, aber es wird auch gelacht und einfach gelebt. Ein Film wie eine perfekte Novelle.

Beharrlich bin ich ja… und eilig hab ich’s selten, ich warte also geduldig darauf, das Rohmer’sche Oeuvre dereinst richtig entdecken zu können und werde mir allenfalls in der Zwischenzeit mal die Comédies et Proverbes auf DVD reinziehen (und hoffentlich „Pauline“ demnächst auch im Kino).

FifteenJugglers

tolomoquinkolom

Der einzige Schwachpunkt an MA NUIT CHEZ MAUD liegt für mich in Trintignants Filmrolle.

Magst Du das näher erläutern? Ich kann mir den Film ohne Trintignants Rolle nämlich kaum vorstellen.

tolomoquinkolomMein Kritikpunkt war nicht der Schauspieler Trintignant, sondern die von ihm dargestellte und von Rohmer so angelegte Person. Dieser verschämte Christ und Mathematiker Jean-Luis in MA NUIT CHEZ MAUD entwirft – nach dem Besuch des Sonntagsgottesdienstes – einen Lebens- und Liebesplan mit zwei Bedingungen: die Partnerin soll katholisch sein – und blond. Ich halte das für seltsam – nicht wegen der blonden Wunschfrau oder den Katholiken – sondern in Bezug auf die Liebe und den Zufall. Letzterer nimmt gewöhnlich keinerlei Rücksicht auf Konventionen, Moral, mathematische Lebensglückplanungen, persönliche Glaubensausrichtungen oder vormalige Ehestände.

Wenn man den Film ein zweites Mal sieht, wird sich die Wahrnehmung verschoben haben. Die moralische Perspektive wird eine andere sein, denn nun weiß man, dass Francoise der Grund für Mauds Scheidung war (die letzte Einstellung am Strand macht das deutlich). Der prinzipienorientierte Jean-Luis wird am Ende die Betrügerin der Betrogenen vorgezogen, sie geheiratet haben. Der Dominikaner drückt es in seiner Predigt im Film so aus: Das christliche Leben ist keine Moral, es ist Leben. Und dieses Leben, es ist ein Abenteuer.

gypsy tail wind

Die Bilder sind in der Tat enorm schön gestaltet und das widerspiegelt auch die perfekte Form des Filmes. Da wird nichts dem Zufall überlassen, aber dennoch wirkt alles leicht, da wird über Pascal und über die Liebe diskutiert, aber es wird auch gelacht und einfach gelebt. Ein Film wie eine perfekte Novelle.

Ja, die sechs Teile der Contes Moraux sind tatsächlich Novellen, sind très écrits. Rohmer wies darauf hin, dass er sie lange vor den Verfilmungen als literarische Werke mit einem gemeinsamen Thema (in Variationen) konzipiert, aber nie veröffentlicht hat. Sie landeten in der Schublade; viel später dann – zum Glück – auf der Leinwand.

gypsy tail wind

tolomoquinkolom

Mein Kritikpunkt war nicht der Schauspieler Trintignant, sondern die von ihm dargestellte und von Rohmer so angelegte Person. Dieser verschämte Christ und Mathematiker Jean-Luis in MA NUIT CHEZ MAUD entwirft – nach dem Besuch des Sonntagsgottesdienstes – einen Lebens- und Liebesplan mit zwei Bedingungen: die Partnerin soll katholisch sein – und blond. Ich halte das für seltsam – nicht wegen der blonden Wunschfrau oder den Katholiken – sondern in Bezug auf die Liebe und den Zufall. Letzterer nimmt gewöhnlich keinerlei Rücksicht auf Konventionen, Moral, mathematische Lebensglückplanungen, persönliche Glaubensausrichtungen oder vormalige Ehestände.

Wenn man den Film ein zweites Mal sieht, wird sich die Wahrnehmung verschoben haben. Die moralische Perspektive wird eine andere sein, denn nun weiß man, dass Francoise der Grund für Mauds Scheidung war (die letzte Einstellung am Strand macht das deutlich). Der prinzipienorientierte Jean-Luis wird am Ende die Betrügerin der Betrogenen vorgezogen, sie geheiratet haben. Der Dominikaner drückt es in seiner Predigt im Film so aus: Das christliche Leben ist keine Moral, es ist Leben. Und dieses Leben, es ist ein Abenteuer.

Ich habe etwas Mühe mit dieser Betrachtunsweise, ehrlich gesagt. Dein Problem scheint mir Dein eigenes zu sein – und ein moralisches überdies, wenn denn der Betrug Teil des Problem ist. Trintignants Figur hat die Blonde ja bereits im Blick, als er bei Maud seine Vorstellung von Liebe erläutert… man könnte also auch sagen, dass sich die Theorie erst NACH der Praxis ergibt, die Vorstellung der Wirklichkeit hinterher folgt.

Auch die Tatsache, dass Françoise der Grund von Mauds Scheidung gewesen ist… das liegt zwar auf der Hand, wird aber keineswegs offen ausgesprochen, ich halte diese zwar plausible aber eben auch verengende Deutung für etwas übertrieben, würde eher dazu tendieren, sie als eine Möglichkeit zu betrachten (die wahrscheinlicher sein mag als andere, unausgesprochene, nicht angedeutete).

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