Re: Gute Texte – mit Begründung!

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Anonym
Inaktiv

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Interessant, danke!
Ich muss allerdings gestehen, dass das für mich kein guter Text ist.
Ja, er ist natürlich wahr – aber eben so offenkundig wahr, dass ich es als banal empfinde: Selbstverständlich sollte man nett zu Kindern sein, und sie zu schlagen, ist gemein.

Nun gut – ein Beispiel für einen guten Text aus meiner Sicht (da ich nicht weiß, ob es copyright-technisch stubenrein ist, hier ganze Texte einzustellen, lasse ich es zunächst mal lieber – kennt sich da jemand aus?):

Gerry Goffin: I didn’t have any summer romance
Nachzuhören bei: The Satisfactions; Simone White

Im Zentrum dieses Textes steht eines der ältesten und abgegriffensten Liebeslieder-Klischees: Du hast mein Herz entzweigebrochen. Goffin übernimmt die Formulierung, ohne sie zu ironisieren oder gar ins Lächerliche zu ziehen – und stellt sie auf den Kopf: Ich bin zutiefst verletzt, denn niemand hat versucht, mein Herz entzweizubrechen. Das ist trickreich und verblüffend und gleichzeitig unmittelbar einleuchtend und überzeugend: Besser kann man das bittersüße Gefühl der Jugend nicht einfangen, jener Zeit, in der auch der Liebeskummer wunderschön ist, weil er uns so stark unsere eigene Empfindungsfähigkeit erleben lässt.
Das Lied ist so fluffig leicht hingetupft, dass man kaum merkt, wie clever es gemacht ist. Einerseits spricht das Ich dieses Songs sehr glaubwürdig aus einer naiven Teenager-Perspektive – zugleich ist es fähig zu einer ausgesprochen reifen, „erwachsenen“ Sicht: Desillusionierung und Lebenserfahrung klingen durch so viele Zeilen. Und dieses Schillern zwischen Teenie-Schmachterei und Klarsicht erzeugt einen unwiderstehlichen romantischen Effekt: Das Ich durchschaut „the little white lies that sounded true“ und die „sweet words“ – und empfindet gleichwohl Wehmut, weil es nicht selbst diesem süßen Betrogenwerden erliegen durfte.
Ist das für mich große Dichtung? Natürlich nicht. Bloß ein nettes, kleines Stück pures Pop-Genie.

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