Re: "Welcome To The Eighties" auf ARTE

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bender-rodriguez

Registriert seit: 07.09.2005

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Whole Lotta PeteIch war durchaus beeindruckt noch mal genauer geschildert zu bekommen, dass Deutschland, besonders Berlin, damals einen Einfluss und einen Namen in neuen Musikströmungen hatte.

Der Ruf des Propheten gilt ja oftmals nichts im eigenen Land. Ja, erst über die Umwege England (und im Falle Kraftwerk: Amerika und Frankreich) wurde das Potential von deutschen Bands wie Neubauten, DAF, Malaria oder auch X-mal Deutschland im Inland erkannt. Da war es aber fast schon zu spät. Das Entsetzen, etwas so gut wie verpasst zu haben, stellte sich später ein. Der geschilderte „NDW“-Ausverkauf spricht wohl Bände…

Dennoch unterstützt es meine persönliche These, dass kompakte Einfachheit häufig zu Volltreffern führt. Und der Blick hinter die Kulissen des Sounds („das haben wir einfach so und so geloopt und dann noch diesen und jenen Ton dazu, fertig…“) war auch sehr interessant und amüsant.

Faszinierend, nicht wahr?

Und ich war überrascht, dass dieser Unsinn schon 1979 startete. Wenigstens war einige Musik aus diesem Dunstkreis besser als der Dunstkreis.

Der „Unsinn“ machte durchaus einen Sinn, wenn man das als gezielte Gegenbewegung zu den Enttäuschungen, die Punk nunmal bereitete (anti „Rock muß dreckig sein“-Statements, Drei-Akkord-Heldenverehrung, dogmatischer Punk-Ästhetik-Tunnelblick, etc.) begreift. Eine Überstrapazierung des Begriffes „Elite“ fürwahr – aber nicht so sehr überraschend.

Als letztes noch eine Anmerkung – einer der Interviewten wollte festhalten, dass der Synthie kein Gegenentwurf und schon gar kein ideologischer solcher zur Gitarre sein sollte. Andere Befragte haben das aber genauso betont und mir kommt es zeitweise auch so vor. Die Auswüchse hinter dem Symbol Gitarre sollten überwunden und verachtet werden. So weit verständlich, leider hatte diese Generation dann mit ihren eigenen Auswüchsen zu kämpfen, wurde in ihren Aussagen genauso missverstanden (siehe das Beispiel mit dem „Geschäftsmänner“-Image von Heaven 17). Einer sagte auch, Ende der 80er habe man in den USA die Engländer nicht mehr haben wollen mit ihrem speziellen Sound, daher seien Einflüsse von Country bzw. Country, Blues etc selbst wieder aufgekommen. Kann man denke ich so nicht direkt stehen lassen.

Nachdem die Griffbrett-Auswüchse in der Tat unerträglich wurden, hat man sich nunmal aus einer sehr starken Antihaltung heraus der Gitarre verweigert (bereits in den Siebzigern ließ Ralf Hütter von Kraftwerk verlauten, daß die E-Gitarre zwar ein modernes Instrument sei, der Umgang damit jedoch noch aus dem Mittelalter stamme…). Nicht jede Electropop-Band sah das jedoch so dogmatisch. Aber es war eine sehr starke Ablehnung aller „konventionellen“ Instrumente förmlich mit Händen zu fassen. Der Minimalismus, das blasphemische „geniale“ Dilettantentum („seht her, das geht auch so – ganz einfach, kann doch jeder“) war nunmal fast schon in vielen Fällen zur Kampfansage geworden. Zielscheibe waren ja nicht nur die Gitarrenspieler, sondern (wie sehr schön am Beispiel Rick Wakeman gezeigt) auch die eitlen Keyboard-Virtuosen der Prog-Rockbands. Vergessen darf man allerdings auch nicht, daß die Technik plötzlich reif war, daß auch durchschnittlich „musikhandwerklich“ begabte Menschen erfolgreich Musik machen konnten. Manchmal ist eine gute kreative Idee eben wichtiger als alle Virtuosität der Welt (siehe Daniel Millers „The Normal“). Eine ungeheuer wichtige Demokratisierung des Musikgeschehens.

Die „eigenen Auswüchse“ sind die Auswüchse, mit denen nunmal jede Musikrichtung zu kämpfen hat: Grunge begann mit Nirvana und musste mit Pearl Jam enden, was schliesslich in so etwas wie Nickelback mündete… Warum sollte es dem Electropop anders ergehen? Weiterführende Fortschritte innerhalb der elektronischen Musik boten dann eben danach Leute wie Front 242, Skinny Puppy und später z.B. Aphex Twin und Mouse On Mars. Und eben nicht mehr Camouflage und Konsorten.

Tja, oft unverstanden die Intention des „New Pop“. Man konnte gesellschaftskritisch, ironisch und politisch engagiert sein – aber trotzdem das Bedürfnis haben, Platten im größeren Stil zu verkaufen. Fabriziert man nur undergroundige Nischenmusik, so erreicht man die breite Masse eben nicht. So einfach war das eigentlich. Heaven 17 und Scritti Politti begriffen das – ihre Fans eben nicht immer…

@mick: Verpasse die Reihe nicht. Die Achtziger waren nämlich gar nicht so schlimm – da musste halt vielleicht erst ARTE kommen, um den Leuten das begreiflich zu machen…

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I mean, being a robot's great - but we don't have emotions and sometimes that makes me very sad