Re: Jahrestage

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gypsy-tail-wind
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„Le procès“ ist ein eigenartiger Film, hab ihn neulich zum zweiten Mal gesehen (im Kino – auf DVD funktioniert der wohl eh nicht, es sei denn man hat einen Beamer und ein drei, vier Meter hohes Wohnzimmer…).
Anthony Perkins ist unglaublich gut, der Reigen an weiblichen (Neben)Darstellerinnen ist auch ziemlich eindrücklich (Jeanne Moreau als Fräulein Bürstner, Romy als Leni, die schlüpfrige Anwalts-„Pflegerin“ mit den Schwimmhäuten zwischen den Fingern, Suzanne Flon, Elsa Martinelli), und dann ist da auch noch Welles selber, unglaublich eindrücklich als Anwalt, sowie Akim Tamiroff als Bloch.
Das Buch wird natürlich festgelegt (das faszinierende am Text ist ja genau seine Offenheit, dass er sich selbst reflektiert, übers Schreiben schreibt, sozusagen, sich selbst schreibt… wie auch immer), die Auslegung ist vage politisch, aber ohne feste Anhaltspunkte. Die Settings sind jedenfalls sehr europäisch (westlich, würd ich mal sagen, aber vom Osten kenn ich noch nicht sehr viel). Die Gerichtsräume sind im damals noch leerstehenden Gare d’Orsay in Paris eingerichtet – gerich-tet? – worden.
Der Film ist unglaublich bildgewaltig (und darum erst recht im Kino zu geniessen!), erklärt wird ähnlich wenig wie im Buch, aber eben: die Offenheit geht natürlich durch die Bild-Setzung recht stark verloren.
An „The Lady from Shanghai“, „Kane“ oder auch den irgendwie unfertigen/unreifen „Touch of Evil“ (Marlene!) reicht das nicht heran, aber für jeden anderen als Welles wäre das wohl ein grosser Wurf gewesen!
Und wie gesagt: seine Interpretation des Anwaltes ist unglaublich – er sitzt beinahe regungslos im Bett und herrscht (über war überhaupt?).
Die „Vor dem Gesetz“-Parabel ist als Abfolge von gezeichneten Bildern eingefügt. Und der Abspann ist gesprochen von Welles. Alles sehr hübsch gemacht.

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