Re: 04.05.2009 "Villa Bäh lädt ein" & "Versus 90" & Unvollständigkeit"

Startseite Foren Das Radio-Forum StoneFM 04.05.2009 "Villa Bäh lädt ein" & "Versus 90" & Unvollständigkeit" Re: 04.05.2009 "Villa Bäh lädt ein" & "Versus 90" & Unvollständigkeit"

#7114685  | PERMALINK

rosemarys-baby
random encounter

Registriert seit: 10.03.2007

Beiträge: 17,189

Einstürzende Neubauten / Unvollständigkeit
(B. Bargeld; A. Chudy, A. Hacke, R. Moser & J. Arbeit; Alles Wieder Offen, 2007)

Ich habe eine Schwäche für Musik an der Grenze zum Geräusch und umgekehrt, daher faszinierten mich die frühen Neubauten, und als ich die Qualität und den Umgang der Sprache, die benutzen, für mich entschlüsselte, war ich vollends begeistert. Nur wenige verstehen es eine solche Mischung aus Harmonie und Disharmonie, Lärm und Schweigen, Sprache und Geräusch, Lärm und Lyrik zu erzeugen und stetig weiter zu entwickeln und zu variieren.

http://de.wikipedia.org/wiki/Einst%C3%BCrzende_Neubauten

[indent]Man kann es nicht unbedingt Schlaf nennen
vom einen zum anderen Pol das Ganze genauso weit entfernt
die Träume lehnen sich über den Rand
und starren in den Krater der verlorenen Gegenstände
die dort unten ruhig ihre Bahnen ziehen
sie starren unverwandt zurück
und ich frage mich: Wieviele Dinge haben sich jetzt schon wieder verselbständigt?
Der Koffer wurde aufgegeben
Ich hab ihn aufgegeben
und er ist irgendwo gelandet
wo ich nicht gelandet bin
sein Inhalt ist Diebesgut geworden
Prise, längst versilbert, oder besser: verpulvert
Ich setz mich aufrecht
es spielt keine Rolle, ob es nachmittags ist, abends oder mitten in der Nacht
das Tageslicht wird mich in den Tatsachen verwickeln, die diese Zeitzone so mit sich bringt
Draussen
es gibt ein draussen
Aber bin ich noch vollständig genug?
hab‘ ich noch alle beisammen?
die sieben Sachen
Brille
Stift
und Block
Karten
Geld
Pass
und Schlüssel

Talente?

Ich hab‘ das mit dem draussen erst einmal gekippt
sein und sein gelassen

Ich setz mich aufrecht

Ich räuspere den Schleim nach oben, bis ich ihn zu fassen kriege.
Mit zwei Fingern ziehe ich seinen Faden aus meiner Kehle, meinem Körper.
Daran hängen wie an einem Glückskettchen:
ein Herz, meine Liebe, eine Flasche, ein Haus, eine Münze, ein Hufeisen,
eine Sechs, eine Sieben, ein Kleeblatt, ein Fisch, ein Würfel, eine 13,
eine Glocke, ein Schloss, ein Schlüssel, ein Hammer, ein Stern, der Mond, die Sonne
und ganz zum Schluss dann eine Putzbürste deren Borsten noch
die letzten Reste, ein paar Klümpchen, mit nach draussen holen.

Endlich sauber. Endlich leer.

Ich trinke ein grosses Glas Wasser und warte. Was fest und in mir mich sorgte,
hängt vor mir und trocknet wie altes Gemüse, Peperoni, Dörrobst.
Das Wasser findet seinen Weg. Ich lasse es, ein letzter Strahl.
Ein letztes Gas, ein Flatus.
Endlich leer.
Endlich leer.

Ich: meine Hülle.

(wie immer sind die texte ohne gewähr)

--

... und in den Taschen nur Messer und Fussel