Re: GLASVEGAS Heidelberg Karlstorbahnhof 28. Februar 2009

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masureneagle

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Süddeutsche Zeitung vom 30. Januar 2009, von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Regen, Tränen, Körpersäfte
Musik zur Stimulanz desorientierter Einzelner: Zum Debüt der hochgehandelten schottischen Band „Glasvegas“

Es ist feucht im Norden. Dauernd regnet es, da sind sich alle einschlägigen Quellen einig. Von „hohem Land“ und „harten Regen“ sangen schon Aztec Camera in den gloriosen Gründungstagen einer eigenständigen schottischen Pop-Musik um 1980. Ihre noch berühmteren Nachfahren, The Jesus And Mary Chain, wussten von „neun Millionen Regentagen“ zu klagen, besangen den, naturgemäß überfeuchten „Aprilhimmel“ und bekannten schließlich, sie seien „glücklich, wenn es regnet“. Glasvegas, neuestes als dezidiert schottisch vermarktetes Produkt einer immer verzweifelter auf lokale, unbeliebige, unglobale Attribute fixierten Pop-Musik-Kultur, reiht sich gerne in diese nassen Narrationen ein. Auch bei ihnen fließt, glitscht, flutscht und schluchzt es ohne Ende. Regen, Tränen, Körpersäfte.

Eine Besonderheit nicht nur der schottischen, sondern generell jeder nordbritischen Pop-Musik der letzten – mindestens – 30 Jahre, ist die große Nähe zwischen den glamourösen, inszenierten Larger-than-life-Momenten einerseits und den gezielten Peinlichkeiten des Jungmännergewimmers andererseits. Macht man sonst Musik, um entweder größer zu scheinen als man ist oder um alles zuzugeben, versucht man im Norden immer Beides. Angeberei und schuldbewusstes Schluchzen gehen ebenso leicht ineinander über wie andere, anderswo getrennte Bereiche des Lebens: der Kultus des pubertären Selbst vor Spiegeln und in Szenelokalen einerseits und bierselige Fußballverbrüderung mit den Lads andererseits. Im Namen der Band, von der hier die Rede ist, erscheint diese spezifische Entdifferenzierung des Pop-Schottentums zum Logo komprimiert.

Glasvegas soll Glasgow, die nasse Metropole mit Las Vegas, der glitzernden Bühnenstadt zusammenzwingen. Eine hübsche Idee: Man denkt zugleich an gläserne Häuserfronten, in denen sich das heiter gespreizte Leben des Narziss spiegeln kann, wie an das tiefsaftige Feuchtgebiet, das die spanischsprachige Welt Vega nennt. Nur leider ist die Balance zwischen Glamour und Depro eindeutig zuungunsten der großen Geste verschoben, im besten Fall wird das Gequengel so aufgedreht und aufgeblasen, dass es von sich aus auf präpotenten Beinen stehen kann. Was gefällt. Häufiger richtet sich dieser Sound aber an Leute, die ihre Ausweglosigkeitsgefühlen ungestört genießen wollen, nicht damit angeben.
So grummelt es denn oft tiefgründelnd bis tieftraurig auf dem unbetitelten Debütalbum (Columbia/Sony, 2009). Meterdicke, obertonreiche Gitarrenschichten werden auf harmoniesatte Keyboardunterlagen gesattelt. Ein gezielt schleppender Rockbeat trabt erdenschwer und nicht zu schnell voran. Selten sind es mehr als zwei Akkorde, wir haben ja auch nur zwei Arme. Vorne ist Platz für warmes Wimmern, für heiße Tränen, Selbstmitleid und Erinnerungen an andere Flüssigkeiten, getrunkene etwa. Doch immer, wenn es zu pubertär wird, fängt dieser wohleingelegte Soundbraten ein bisschen zu ‚funkeln an. Aber immer auch, wenn er zu sehr glitzert, geht das gequälte Gesinge wieder los, totales Gequengel.

Man kann mit dem Material des schottisch-nordenglischen Rock verschiedene Dinge anstellen: zwei von dreien sind erlaubt. Man darf etwa exzentrisch werden – wie Morrissey. Die emotionale Durchlässigkeit aller Lebensbereiche, der Weg“ von der strahlendsten Geste und der wächsernsten Maske zum verheultesten Gesicht ist jederzeit möglich. Was für eine Dynamik! Aber diese Durchlässigkeit ist nicht Genre, sie ist vielmehr ein Attribut meiner auserlesenen Persönlichkeit. Nicht jedem ist dies gegeben.
Oder man kann analytisch damit umgehen wie die sensationellen The Jesus And Mary Chain, als sie alle Bestandteile dieses Emo-Quirls zergliederten und einzeln ausstellten: böses Feedback, einfachste Country-Pop-Melodien, nebelhafte Drogenlyrik, eindeutige Slogans, sensationell aggressive Bühnenshows jedes Element für sich. Beide Techniken haben sich als nie versiegender Quell ebenso selbstreflexiver wie erschütternder Pop-Musik erwiesen. Was man aber nicht darf, ist das Gequengel total werden lassen: die wimmernde, unsicher im Beat vor und zurückwippende Sentimentalitätssuada den Laden übernehmen lassen. Dem sind Glasvegas bei mindestens sechs von zehn Tracks gefährlich nahe.
Dabei orientieren sie sich an diesem Umstand: Pop-Musik entwickelt sich nicht nur nicht mehr, sie steht auch nicht still und sie wiederholt sich auch nicht einfach: Sie optimiert ihre Modelle. Es geht nicht einmal mehr um Revivals, sondern um die Arbeit an den längst nicht mehr als historisch verstandenen, ewigen Einheiten der Emotionsgestaltung. Ein gutes Jahrzehnt lang können wir uns jetzt schon Updates der goldenen britischen Jahre von Punk und Post-Punk anhören, in denen jedes Detail durchdachter und punktgenauer gebaut ist als in den Originalen – nur nicht mehr von ei¬ner auch nur annähernd vergleichbaren, sozialen Welt handelt. Aus Musik zu Verständigung zwischen prekären Existenzen ist eine Musik zur Stimulanz von desorientierten Einzelnen geworden. Optimierungslogik heißt also nicht mehr künstlerisch soziale Probleme in einer bestimmten historischen Lage lösen zu wollen, sondern einmal herumliegende Problemlösungen immer wieder und immer weiter hochzutunen.

Diese Optimierungslogik greift etwa auf die Fähigkeit zu starken, analytisch ausgebauten, emotionalen Kontrasten, die die erklärte Vorbild-Band The Jesus And Mary Chain entwickelt hat, zurück. So beginnt „Geraldine“ zwar wie ein idealtypisch verregneter, reaktionärer Zwei-Akkord-Depro-Rocker, präzise schiebt sich die genremäßige Beatarchitektur drunter und der junge Mann beginnt nicht minder genretypisch zu klagen. In dieses akkurat gebaute Elend werden dann aber extrem kluge, helle Backing Vocals gesetzt, die nun aus einer Welt ohne Regen, aus einem Reich der chromblitzenden Theken, der Atomversu¬che und Wüstensonnenuntergänge zu kommen scheinen- Naive amerikanische Freiheitsversprechen brechen die ge¬schlossene sentimentale Männlichkeit. Dieser Helligkeitseinbruch ist als Effekt ganz der scharfen Intelligenz der Reid-Brüder nachempfunden, denen wir eben jene The Jesus And Mary Chain verdankten. Doch die Optimierung hat die Ausgestelltheit der Mittel, ‚den aggressiven Stolz auf die Smartness und den alles hinwegfegenden Auftritt der Vorbilder zugunsten eines knalligen Funktionalismus in die zweite Reihe gedrängt. Das Emo Universum darf keine Risse kriegen. Es darf sich aufhellen, aber das Publikum will nicht mehr selber die „Mauern des Herzschmerzes niederreißen“, wie es ein alter Soul-Klassiker formulierte. Es will den holistischen Emo-Film, ohne Unterbrechungen und V-Effekte. Dass bei aller Geschichtslosigkeit dann doch noch so viel Benennbares erkennbar ist, liegt bei Glasvegas zum einen daran, dass sie einen absoluten Allerweltsjungmännerock spielt, so dass einem eh alles bekannt vorkommt.

Stechende Signale

Zum anderen aber auch daran, dass ein prominenter Fürsprecher alles unternimmt, um sie in die glorioseren Kapitel der schottisch-nordenglischen Post-Punk-Geschichte nachträglich einzutragen, so hartnäckig bis sie ihm glauben und ein wenig nacheifern, Alan McGee, einem größeren Publikum als Oasis-Förderer bekannt, einem älteren aber als unermüdlicher, schon seit den frühen achtziger Jahren aktiver knarziger Lokalpatriot, ein Herbert Wehner verregneter Seelenzustände und ihrer Kneipenrockverarbeitung, ist der größte Fan von Glasvegas. Auch wenn er selbst mal als Sixties-Fan angefangen hat und sowohl seine Band Biff Bang Pow als auch sein Label Creation einer Zeit gewidmet waren, in der es um scharfe stechende Signale und grelle Farben, nicht um tränenverhangene Bierseligkeit ging, lässt er zur Zeit kein Mikro aus, um ihr Lob zu singen. Doch alle Argumente und starken Bilder, die er jetzt auffährt, wenn er die Band preist und mit Frontman James Allen gemeinsam vor die Presse tritt, stammen eben genau aus der Zeit als nordbritische Arbeiterkultur in erster Linie auf ihre Geschichte stolz war, nicht auf ihre Ethnizität und das schlechte Wetter.

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