Re: Erkundungen – Moontears Favoriten

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moontear

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Ludwig Hirsch „Dunkelgraue Lieder“ (1978)
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Die österreichische Künstlerwelt ist voll von schwarzem Humor, man denke nur an die Karikaturen von Gerhard Haderer und mehr noch Manfred Deix und natürlich die Musik von Georg Danzer und Wolfgang Ambros. Aber keiner dieser beiden erreicht die Schwärze von Ludwig Hirsch. Vor allem auf seinem Erstling „Dunkelgraue Lieder“ offenbart sich eine beispiellose Morbidität bei der dem Hörer durchaus die dahinter stehende Humanität entgehen kann.

Der Weinberger Ludwig Hirsch war bislang eher als Schauspieler in Erscheinung getreten, bevor er 1978 mit der hier besprochenen Platte erstmals sein Gesangstalent unter Beweis stellte. Wobei Gesang nicht ganz das richtige Wort ist, bezeichnender ist melodisches Sprechen für das, was der damals 32jährige hier präsentiert.

Los geht es mit “Die Omama“, was gleich dazu führen kann, den unvoreingenommenen Hörer mehr als einmal schlucken zu lassen. Es geht um Abschiednehmen eines nahen Menschen. Aber bei Hirsch ist dies mehr Erleichterung als Trauer denn die Omama war eine Tyrannin der alten Schule:

„Wie ich klein war, hat’s mir eingestopft die Knödln, hat’s glauert mit dem Pracker in der Hand; hat’s mir umgedraht schon den Magen, es war ihr wurscht, sie hat mi gschlagen, so lang, dass i schon angefangt hab zum Beten: Lieb Jesuskind, lass d’Oma doch verrecken.“

Es ist da nur passend, dass Hirsch die Omama an ihren falschen Zähnen ersticken lässt. Mit dem Tod geht es in “I lieg am Ruckn“ weiter. Ein eher meditatives Stück bei dem es um nichts anderes geht als das Schicksal, lebendig begraben worden zu sein. Erzählt natürlich aus der Ich-Perspektive. Sonst wäre es nur halb so schön.

Das dritte Stück widmet sich dann erstmals den noch offiziell Lebenden. “Der Herr Hasslinger“ ist ein netter, etwas eigener alter Herr, der von allen Nachbarn geschätzt wird. Der Pflanzen und Tiere pflegt, den Kindern gern beim Spielen zuschaut:

„…da sind die Mäderln mit den süßen blonden Lockerln, mit weißen Schuhen, mit kurzen schwarzen Rockerln…und auch die Kinder irgendwie gern, diesen netten, etwas schrulligen, alten Herrn.“

Nachdem er seine Charakterbeschreibung abgeschlossen hat, weist Hirsch noch auf zwei kleine, weiße Schuhe hin, die unten im Fluss treiben. Die Interpretation eines etwaigen Zusammenhangs bleibt dem Hörer überlassen.

Kinder, genauer “Der blade Bua“ sind auch Inhalt des vierten Stückes. Eine kaputte Arbeiterfamilie wird hier innerhalb von wenigen Zeilen mit einer chirurgischen Präzision seziert, wie es sonst nur Randy Newman beherrscht. Der große Leidende hierbei ist der Sohn, über den Hirsch weiß,

„Es gibt Kinder, die kommen ohne Schutzengel auf d’Welt und der Sandmann haut ihnen Reißnägel in d’Augen. Unterm Christbaum liegt jedes Jahr ein Packerl Tränen als Geschenk und ein Märchenbuch, wo der Teufel immer gewinnt.“

“Die Spur im Schnee“ als fünftes Stück ist dann nicht mehr Psychogramm einzelner Personen sondern beschreibt, wie über Mundpropaganda ein wütender Mob mobilisiert wird, der eben jener mysteriösen Spur im Schnee nachgeht um am Ende eine große Überraschung zu erleben,

Die A-Seite endet mit dem schwächsten der ersten sechs Stücke. “Liebeslied“ handelt von einer wohl psychisch kranken Frau und ihren Eskapaden, bleibt im Vergleich zu den fünf Vorgängern aber unauffällig blass.

Dieses kleine Manko wird aber gleich mit dem ersten Stück der B-Seite ausgemerzt. Wie Aberglaube und Sündenbockmentalität ein Dorf beherrschen kann, darum geht es in “Der Dorftrottel“, dieser muss dafür herhalten, dass eine Bauersfrau eine Totgeburt hatte. Sein Mentor, der Pfarrer, hat sich schon wohlweißlich aus dem Staub gemacht als der wütende Mob kommt und

„Sie schleppen ihn auße in Schnee, er weint wia a kleines Kind. Sie haun ihn so lang, bis ihm’s Hirn aus der Nasen rinnt!

Und weich fallt der Schnee…Dem Bauern sei Kind kann endlich den Himmel betreten.“

Besonders bei diesem Stück fällt die Instrumentierung der Lieder auf, immer passend zur jeweiligen Stimmung, die Hirsch in seinen Texten vermittelt: Teilweise kommt sie samtweich oder zuckersüß daher und stellt so den doppelten Boden für Hirschs hintergründigen Erzählerblick dar.

In “Der Wolf“ zeigt Hirsch, dass nicht nur Menschen leiden müssen in seinen Liedern. Ein Zoobesuch beim „armen, alten Wolf“, dem die Zähne herausgerissen wurden, als er einmal seinen Wärter gebissen hat, der ihn vor feixenden Zuschauern Männchen machen ließ.

Dürfte es beim Wolf noch weitgehende Empathie geben, so können die Meinungen über “Geh, spuck den Schnuller aus“ wohl sehr geteilt sein, wie in einem anderen Forum mal zu lesen war. Die Kritik an der steten Sexualisierung weiter Gesellschaftsbereiche erschließt sich wohl nicht denen, die nur durch Wortkonstruktionen wie „Windelstriptease“ und „Disneyland-Puff“ hoch geschreckt wurden oder neue Erkenntnisse über klassische Volksmärchen vermittelt bekommen:

„Wer hat das Höschen vom Dornröschen? Und Schneewittchen hätt’s gern triebn mit allen siebn! Aber hintern siebtn Berg wohnen nur schwule Zwerg.“

In “Der Zwerg“ geht es erneut um einen Zukurzgekommenen (no pun intended) in der Gesellschaft. Musikalisch versucht sich Hirsch hier am Blues, was auf einer Single wohl besser funktioniert hätte. Im Kontext der bisher gehörten Lieder wirkt es – nur musikalisch betrachtet – ein wenig wie ein Fremdkörper.

Aber das Leben, das hat Hirsch uns ja in der vergangenen Dreiviertelstunde vermittelt, ist halt kein Ponyhof sondern oft mehr der Anhänger des Abdeckers. Da muss man sich begnügen mit dem was man hat, so wie er im letzten Stück feststellt:

„Madl, wann wirst ma’s endlich glauben, du kannst doch jeden anderen haben, mein Gott, wie oft hab ich dich gewarnt vor mir, und trotztdem liegst jetzt da neben mir.“

Ende gut, alles gut also im dunkelgrauen Kosmos des Ludwig Hirsch. Passend heißt das elfte und letzte Lied dann auch “Happy End“.

Herausragendes Lied: „Der Dorftrottel“
Gesamtwertung: *****

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If I'd lived my life by what others were thinkin', the heart inside me would've died.[/FONT] [/SIZE][/FONT][/COLOR]