Re: Erkundungen – Moontears Favoriten

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moontear

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JOHN MARTYN – Sapphire

Vor einiger Zeit hielt ich am Bahnhofskiosk eine Ausgabe der englischen „Uncut“ mit John Martyn auf dem Titel in Händen. Ich war in Versuchung, das Heft zu erwerben, habe es dann aber doch sein lassen. Ein paar Monate später war John Martyn tot.

Es wäre übertrieben, zu behaupten, John Martyn wäre einer meiner absoluten Lieblingskünstler gewesen. Gegen Dylan, Young, Cockburn oder Walker kommt er nicht an. Nichtsdestotrotz mag ich das, was ich von ihm kenne. Das ist zwar nur ein Teil seines großen Gesamtwerks – die vielen Livealben mitgerechnet über 50 Veröffentlichungen – aber immerhin. An dieser Stelle geht es um ein Album aus den 80ern, genauer November 1984, „Sapphire“.

Bemerkenswert an John Martyn, soweit ich das beurteilen darf, ist seine fehlende Scheu vor musikalischen Grenzen gewesen. Als Zeitgenosse Nick Drakes zuerst im Folk zuhause, eroberte er sich auch andere musikalische Elemente wie Jazz, Reggae und Blues. Auch seine musikalischen Partnerschaften machten davor nicht halt. War Phil Collins am Referenzwerk „Grace and Danger“ beteiligt, so griff ihm hier der leider ebenfalls früh verstorbene Robert Palmer unter die Arme.

Wenn man an die 80er und Synthesizer denkt, assoziiere zumindest ich damit meist zwei Dinge. Zum einen kühle Eleganz wie es die Pet Shop Boys vielfach und Ultravox oder Depeche Mode gelegentlich vollbracht haben. Zum anderen dann kaltes Plastik was man auf jedem Sampler dieser Zeit ‚bewundern’ kann. Martyn schafft aber das Kunststück, ein durch Synthesizer geprägtes Album zu machen, das Leichtigkeit, Wärme und Zuversicht ausstrahlt.

Zuversicht oder auch Hoffnung. Martyns Biographie ist ja auch geprägt durch seine Alkoholsucht, die das ihrige dazu tat, dass er schon mit nur 60 Jahren abberufen wurde. Eine gewisse Zerissenheit hört man dem Album im Gesamten durchaus an. Das einleitende Titelstück jedenfalls verspricht nicht unbedingt Heiterkeit: „I don’t know what to do, I got no place to go“, einfache und durchdringende Zeilen.

Die B-Seite beginnt ebenfalls dunkel. „Acid Rain“ mag dem Zeitgeist geschuldet sein, kann aber doch tiefer gehen. Auch wenn es nicht den Anschein hat, manches geht tiefer als man meint – nicht nur die Regentropfen. Aber ich schrieb ja grade noch von Zuversicht und Hoffnung.

Diese beiden Gemütszustände finden sich vor allem auf zwei ganz wunderbaren Stücken. Einmal „Somewhere over the Rainbow“, das Judy Garland-Cover gleich nach dem Titelstück. Sich hinfort sehnen an einen Ort ohne Sorgen, ein Wunsch so alt wie die Menschheit. Grade in diesem Stück, das Martyn nicht selbst geschrieben hat, kommt seine prägnante Stimme bestens zum Ausdruck. Heiser, hell, verletzlich und gleichzeitig welterfahren.

Der Höhepunkt des Albums ist dann aber, und damit wären wir bei Nummer Zwei, das letzte Stück der A-Seite, „Fisherman’s Dream“. Selbst als Instrumental würde es seinen Zweck erfüllen, den Hörer in seiner Stimmung zu erheben. Das ist durchaus auch wörtlich zu nehmen, jedenfalls habe ich immer das Bedürfnis, aufzustehen und im Raum herumzugehen wenn ich es höre.

„What happened to the fisherman’s dream?
When they drove him over the hill
What happened to the fisherman’s dream?
When they laid him in the ground

Tell me, did it fade away?
Did it fade on down to the ocean?
Did it fade away?
Did it fade on down to the sea?”

Vieles ist vergänglich aber manches bleibt bestehen. Letzteres ist auch dem Lebenswerk von John Martyn zu wünschen. Hoffentlich werden noch viele Menschen in den Genuss seiner Musik kommen. Er hat es verdient.

Herausragender Song: Fisherman’s Dream
Gesamtwertung: ****

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If I'd lived my life by what others were thinkin', the heart inside me would've died.[/FONT] [/SIZE][/FONT][/COLOR]