Re: Erkundungen – Moontears Favoriten

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moontear

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GEORGE JONES – Shine on

War Bruce Cockburn ein Sänger, der mich schon seit ein paar Jahren begleitet, so ist George Jones einer, den ich derzeit selbst noch so richtig am entdecken bin.

Über den Mann mit dem Allerweltsnamen bin ich erstmals vor etwa zehn Jahren im Rolling Stone gestolpert, wo Wolfgang Doebeling über „Blue and Lonesome“ schrieb. Aber damals war mir Country noch weit entfernt; ich war grade am Anfang meiner Entdeckungsreise durch die wunderbare Welt der jüngeren (Rock/Pop etc.-)Musikgeschichte und wusste wie ein Kind im Spielwarenladen manchmal gar nicht, wo ich überall hinschauen bzw. hinhören sollte. So wurde der Name George Jones erstmal für eine ganze Weile ohne größere Assoziationen außer eben ‚Country’ ad acta gelegt.

Vor etwa einem Jahr änderte sich dies dann aber. Johnny Cash, Willie Nelson, Kris Kristofferson und Emmylou Harris hatten mich dem Country näher gebracht und diese immer noch fortlaufende Erkundungstour führte dann halt irgendwann zu George Jones.

Ich weiß, dass „Shine on“ in seinem Gesamtkanon nicht unbedingt als Schlüsselwerk angesehen wird (oder werden kann) und auch ich höre von den Alben die ich bisher kenne „Blue and Lonesome“ als sein stärkstes. Aber warum bei einem Künstler immer die allbekannten Meisterwerke feiern und gegebenenfalls die Aussetzer verreißen? Hier geht es um ein gutes Album, nicht mehr aber auch nicht weniger.

Während ich diese ersten Zeilen tippe läuft das neue Springsteen-Album im Hintergrund und schräg vor mir liegt dieses grässliche Photoshopcover mit dem nach unten blickenden Bruce vorm Sichelmond. George hingegen hat den Vollmond über sich und schaut den Hörer wohlwollend wissend an. Fiel mir grade nur so auf, nun aber zum Album an sich:

Das Titelstück „Shine on“ sorgt für den Einstieg. Ein wunderbares kleines Liebeslied in dem Jones erstmal all das besingt, was seine Angebetete nicht ist oder macht oder wird. Aber trotzdem ist sie für ihn der hellste Stern auf dieser Welt – die strahlende Schönheit liegt im unscheinbaren. „She don’t shine for the rest of the World, she’s too busy shinin’ on me“.

Nach den Sternen geht es nun zum Mond. „She hung the Moon“. Von der Thematik her ein Bruder (oder eine Schwester) des ersten Stückes. Aber hier wird trotz der Verehrung für die den Mond verschiebende doch ein Funken Wehleid bar, denn „“And if your heart, it needs breaking, she’s the best I’ve ever found.“ Wo Licht ist, ist der Schatten nicht fern.

Zwei Lieder über die große Liebe. Und was kommt nach dieser? Eine Antwort gibt der nächste Song, „I’d rather have what we had“: Das Feuer ist nicht erloschen aber doch merklich geschrumpft, das böse Wörtchen Alltagstrott hat sich eingeschlichen in die Romanze: „Dying to be with me, watching TV with me, is this what we wanted so bad?“ Jones will jedenfalls lieber die alten Zeiten wiederhaben, aber die sind nun mal verschwunden.

Ja, die alten Zeiten. Ihnen widmet sich das nachfolgende „Tennessee Whiskey“. Eigentlich eine ganz einfache Geschichte: Ein einsamer Mann trinkt zuviel und krempelt durch die Liebe zu einer Frau sein Leben um. Zwei Strophen und ein Refrain a vier Zeilen. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind meist leicht zu beschreiben.

Das die A-Seite abschließende „Almost Persuaded“ mutet anfangs an wie ein neuerlicher Aufguss des grade konsumierten Whiskeys. Wieder trifft ein Mann in einer Bar auf eine Frau, wieder fliegen Funken aber letzten Endes ist es diesmal doch ganz anders, denn „Then I looked in her Eyes and I saw it, the reflection of my Wedding Band“. Und er hat grade noch die Kurve gekriegt.

Die zweite Seite startet mit „I always get lucky with You“ greift das Thema der vorangegangenen Songs noch einmal auf. „I’ve been turned on, and turned down when the bars close at two but I always get lucky with You”. Vieles auf dem Album klingt autobiographisch aber tatsächlich hat Jones keinen einzigen der Texte selbst verfasst. Er trägt die Stücke als gesammelte Weisen mit einer Selbstverständlichkeit vor dass dies überhaupt nicht auffällt.

So auch „Memr’yville“, das O wurde schon im Titel entfernt, hätte beim singen eh nur gestört. Auch hier wird in die Vergangenheit geschaut, die Zeit schien stillzustehen. Die Straßen, Häuser, Plätze und die damit verbundenen Gefühle werden noch einmal besucht. Ein jeder kennt dies, die kleinen Momente, in denen man sich vorkommt, als reise man in die Vergangenheit.

Reisen ist auch ein Schwerpunkt im nächsten Song, „I should’ve called“. Überhaupt fällt auf, wie gut es Jones und Produzent Billy Sherrill gelungen ist, die einzelnen Songs mit einem roten Faden zu verbunden. Hervorragende Zusammenstellung. Aber zurück zum Song. Nach der Melancholie zuvor nun ein reuiges Lied über einen Globetrotter (oder Sänger?) der durch seine Reisen die Liebste (oder schon die Lieben?) fast vergisst. Reuig muss man hier aber in Anführungszeichen setzen denn Jones trägt den Text mit einer augenzwinkernden Lässigkeit vor dass es mehr erbauend denn bedrückt wirkt.

Mit „The Show’s almost over“ funktioniert der darauf folgende Song vor allem als Brücke und Erhalter der Spannung. Sicher, ein etwas anderer Text hätte dieses versöhnlich wirkende Stück auch gut als Schlusswort dastehen lassen, so aber wissen wir, es geht noch ein bisschen weiter.

Und wie es weitergeht. Das Beste hat sich Jones nämlich für den Schluss aufgehoben; das ihm auf den Leib geschusterte „Ol’ George stopped drinkin’ today“. Mit ‚Today’ ist hierbei der Todestag in unbestimmter Zukunft gemeint: „Me and the bottle have always been friends. Oh, we’ve had a few ol’ nasty fights but the bottle would always win. And when I go to answer that final curtain call, I can hear these words being whispered by all: Ol’ George stopped drinkin’ today…”
Kurios hierbei, Jones schaffte es zu dieser Zeit – er hatte grade zum vierten Mal geheiratet – zumindest temporär vom Dämon Alkohol loszukommen. Die Selbstironie und seine Gesangsleistung machen den Song zum Besten der Platte – You can bet the possum is gonna show!

GESAMTFAZIT
Was mir an „Shine on“ besonders gefällt ist der oben schon erwähnte rote Faden. Es ist kein Konzeptalbum aber die Themen Liebe, Alkohol und der Umgang mit der eigenen Vergangenheit – universelle Themen, klar – sind bestimmende Elemente. Die Songanordnung wirkt absolut logisch und bewusst gewählt. Hinzu kommt die Lebensweisheit, die uns schon vom Cover anschaut gepaart mit schlitzohriger Selbstironie. Mit knapp 30 Minuten ist es wie alle Alben von George Jones die ich bisher kenne aus heutiger Sicht extrem kurz. Aber diese Kürze erzeugt auch eine belebende Intensität, man ist stets aufmerksam. Die Lyrics sind knapp und bieten der eigenen Vorstellungskraft genug Raum ohne aber Gefahr zu laufen, schwammig zu werden. Ein kleines, feines Album, das ich durch die Arbeit an diesem Text noch ein bisschen mehr hab schätzen lernen.

Herausragender Song: Ol’ George stopped drinkin’ today
Gesamtwertung: ****

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If I'd lived my life by what others were thinkin', the heart inside me would've died.[/FONT] [/SIZE][/FONT][/COLOR]