Startseite › Foren › Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat › Aktuelle Platten › John Frusciante – The Empyrean › Re: John Frusciante – The Empyrean
Ich denke das Album hat es verdient, nach mehreren Monaten doch noch einmal Beachtung zu finden. Bisher eines der besten Alben des Jahres 2009!
Als Empyreum wurde im Mittelalter, im damals vorherrschenden ptolemäischen Weltbild, die zehnte und äusserste Himmelssphäre um das Zentrum Erde bezeichnet. Dieser unbewegliche Teil des Himmels wurde vor allem mit dem Göttlichen identifiziert. Sitz der verstorbenen Seligen und der Engel sollte es sein, ein Ort der spirituellen Erleuchtung. Als Raum des Lichts und Sitz Gottes zeichnete es der spätmittelalterliche florentinische Dichter Dante Alighieri in seiner „Divina Comedia“ – eine Beschreibung die sich in den folgenden Jahrhunderten als sehr einflussreich erweisen sollte. Soviel zur Geschichte und grauen Theorie.
Wer John Frusciantes Musik kennt, weiss, dass er kaum nur aus Spass an der Sache einen derart vielsagenden Titel für eines seiner Alben wählen würde. Alighieri hat auch ihn nicht kalt gelassen. In der Tat hat sich der Gitarrist der Red Hot Chili Peppers für sein zehntes Studioalbum – verständlich nach der exzellenten Veröffentlichungsorgie des Jahres 2004 (sechs Alben und eine EP in knapp neun Monaten!) – mehr Zeit genommen. Nach vier Jahren des stillen Schaffens hat sich Frusciante bereits seit November des letzten Jahres auf dem eigens dafür geschaffenen Blog um die Vermittlung des tiefgründigen Albumkonzeptes bemüht. Ein höchst persönliches Album sollte es werden. Die tiefsten Tiefen seiner Persönlichkeit würde er darin ausloten, sodass er gewisse Songtexte gar nicht erläutern könne und wolle, um nicht zu viel von sich selbst preiszugeben.
An dieser Stelle kommen wir zum Albumtitel zurück. Denn Frusciantes Albumkonzept entführt den Hörer in entrückte, wahrhaft empyreische Höhen – oder eben Tiefen seiner Persönlichkeit. Und das nicht nur textlich, sondern auch musikalisch.
Bereits der Opener „Before the Beginning“ überrascht mit seiner Eigenwilligkeit. Das Album eröffnen über neun Minuten experimentellster Instrumentalisierung – im Endeffekt nichts anderes als ein elegisches Gitarrensolo im altbewährten Stil Frusciantes, dem allerdings mehr als ein Verzerrer übel mitgespielt haben. Bereits mit dem ersten Track des Albums wird klar, in welche Richtung Frusciante mit „The Empyrean“ steuert. Entstellt, teilweise bis zu ihrer Unkenntlichkeit, kommen die Klänge daher. Echos und sonstige Nebengeräusche finden häufigen und prominenten Einsatz. Vergessen ist die intime Akustik des Vorgängeralbums „Curtains“, ja überhaupt die rudimentäre Instrumentierung und akustische Orientierung der 2004er Alben. Und wenn man dann doch den altbekannten Frusciante zu Ohren bekommt, wie etwa in „Song to the Siren“ oder dem unglaublichen „Unreachable“ – einem der bis anhin besten Frusciante Songs – dann fallen sofort die elektronischen Elemente und Spielereien auf, die vielen kleinen und grösseren Soundeffekte, die das Dargebotene in eine ganz andere Sphäre heben, ja wortwörtlich zerren, als wollte Frusciante sie tatsächlich ins Empyreum entrücken.
Je länger das Album dauert, desto experimenteller wird die Umsetzung der in ihrem Kern doch für Frusciante typischen Songs. Wer das Album über Kopfhörer geniesst, glaubt ob all der vielen Echos und Geräusche Stimmen zu hören, ohne zu merken, dass sie nicht aus der eigenen Umgebung, sondern aus Frusciantes musikalischen Visionen stammen. „Dark Light“ schert schliesslich vollständig aus den Konventionen der Vorgängeralben aus. Ein ätherischer, entrückter erster Teil wird von einem elektronischen Metronombeat abgelöst, ein groovender Basslauf und ein scheinbar aus einer Erweckungskirche geraubter, durch einen Computer gejagter Gospelchor kommen dazu. Und als ob das noch nicht genug wäre trällert Frusciante mit schönster Fistelstimme sinngebend zu dem Ganzen. Ein Song der einen ebenso verstört wie angetan zurücklässt.
Frusciante scheint fasziniert, ja geradezu besessen von der Verfremdung und Verzerrung seiner eigenen Stimme. Kaum ein Song kommt in der Folge mehr ohne Stimmmanipulationen aus, seien diese elektronisch oder natürlich. Der Höhepunkt ist zum Schluss des Albums erreicht. In „One more of me“ mimt Frusciante den kehligen Soulsänger um kurz darauf, hart an der Grenze des Lächerlichen, in überzogenes Rockgehabe auszubrechen, begleitet lediglich von einsamen Streichern. Der letzte Song des Albums „After the ending“ ist das elektronische Pendant dazu. Frusciante gibt hier seine eigene Stimme beinahe für ihr elektronisches Double auf. Die Darstellung der unterschiedlichen Aspekte der Persönlichkeit Frusciantes scheint in den verschiedenartigen akustischen Ausprägungen seiner eigenen Stimme Ausdruck zu finden; akustische Selbstfindung auf der Suche nach der persönlichen Erleuchtung im entrückten Himmel.
Diese stimmliche und geräuschvolle Reise ins Empyreum Frusciantes ist schlicht faszinierend. Der formidable Frusciante der vorhergehenden Alben hüllt sich dabei in ein neues, elektronisches Kleid. (Rückwirkend wird man wohl „Shadows Collide with People“ als Vorgänger und Vorläufer ansehen dürfen). Es versteht sich von selbst, dass Frusciante die Homogenität etwa seines bis dato besten Albums „The Will to Death“ mit dem experimentellen Ansatz seines neuesten Streichs nicht erreichen kann. „The Empyrean“ kommt allerdings keineswegs als Stückwerk daher. Wie die Facetten einer Persönlichkeit finden die einzelnen Songs schliesslich doch zu einem grossen Ganzen zusammen – zusammengehalten von der elektronischen und musikalischen Experimentierfreude ihres Schöpfers. Es ist als hätte man Frusciante durch einen riesigen Verzerrer gezwängt.
****1/2
pebet
--
Now my work is done, I feel I'm owed some joy! - Josh Ritter, Bright Smile