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WAXAHATCHEE American weekend
1. Catfish
2. Grass stain
3. Rose, 1956
4. American weekend
5. Michel
6. Be good
7. Luminary Blake
8. Magic city wholesale
9. Bathtub
10. I think I love you
11. Noccalula
„And pretty soon I’ll have nothing left to cut loose/
Being clumsy’s an explanation, not an excuse.“
Ein Rezensent hat “American weekend” mit einem einzigen Satz gut umschrieben: “Happiness meets sadness and they’re both beautifully human.” Es gibt immer wieder solcherlei Alben, die aus dem Nichts kommen und einen unerwartet und heimtückisch treffen, mit viel Fingerspitzengefühl das Stöckchen nehmen und beginnen unverfroren in Wunden zu stochern. „American weekend“, Katie Crutchfields Debüt, das unter Don Giovanni Records 2012 erschienen ist (unter durchaus erwähnenswerten äußerlichen Umständen in ihrem Schlafzimmer), ist ein spitziger Nagel. Waxahatchee Creek – die Heimat von Crutchfield, irgendwo im Norden von Alabama – ist der Angelpunkt von elf kleinen, extrem persönlichen Geschichten, in denen aber das Wunder und die ganze Schwere der menschlichen Natur anzutreffen ist. Crutchfields Besonderheit dabei: Sie ist ehrlich. Es gibt auf dem gesamten Album kaum Metaphern oder hochgreifende Stilfinessen – ihre Musik zieht die Blumen aus anderen Wurzeln. Entgegen vielen Singer/Songwritern hört man hier nicht die Stimmen von Sandy Denny oder Joni Mitchell zwischen dem Streichmuster erklingen, Crutchfields Background ist spürbar gedämpfter und urbaner, ohne Mythen und Fabeltraditionen – „American weekend“ ist mehr „Either/or“, als „Five leaves left“.
Die Songs von Waxahatchee sind alles andere als komplex – meist besteht das Fundament aus einfach angeschlagenen, wenigen Akkorden (C, G, F, A, D, Em, Fm, Am), das Ergebnis ist aber dennoch vor allem eines: Etwas ganz Besonderes. Mir fröstelt es, wenn das dunkle, zutiefst traurige Schlagmuster von „Catfish“ am Anfang erklingt und Crutchfield von der Zeit erzählt, in der sie und er noch gemeinsam vor dem Fernseher saßen (dort taucht auch der ominöse Seewolf auf) und wie die Zeit in einem Nebel aus Sam Cooke Songs und Whiskey verschwimmt, ehe sich der helle Abgrund auftut – „And though now it is hovering darkly over me/It’ll look just like heaven when I get up and leave/You’re a ghost and I can’t breathe“.
In Crutchfields Stimme gibt es ein Element, das ich ganz besonders gerne mag: Sie hat etwas feinfühliges, verwundetes, klingt aber auch ein wenig zerknirscht, raunend, abgeklärt und auf forsche Weise bestimmt. Eine Stimme, die wie gemacht ist, um über die Kämpfe und Klagen und Unzulänglichkeiten mit sich und anderen zu singen. Im Grunde lässt sich „American weekend“ auf ein Wort brechen: Zweifel. Ich lasse ihn herein und ich bereue es im nächsten Moment wieder; ich beachte Dich mit jedem Schritt, aber werde keinen Laut geben („Grass stain“); Ich liebe Dich, aber Du wirst es nie erfahren („I think I love you“); Ich spiele mit dem Feuer – und ich habe mich verbrannt („Luminary Blake“). Sex und Verlangen und Anziehung – und Schmerz und Bereuen und Whiskey und der bittere Morgen danach. Man könnte nun sagen, dass Katie Crutchfield der Generation angehört, die erst den großen Gänseschnabel erhebt, um sich danach geschröpft im Zimmer unter der Decke zu verstecken, weit weg von den Pillen, dem Schnaps, den lautlosen Nächten hoch oben über der Stadt, weg von Männern und zerknitterten Bettlaken und fahlen Erinnerungen – hier wurde aber das Wesen von Einsamkeit intensiver und konkreter gebannt, wie auf fast jedem Album, das sich dem garstigen Beziehungsknatsch annimmt. Tonight’s a blur.
Obwohl das Album im besten und wirklichen Sinne Lo-fi ist (empfindliche Ohren mögen zum Nachfolger greifen), gibt es Unmengen kleiner Schattierungen zu entdecken: Die belebende Rhythmik von „Grass stain“, die beklemmende, fast albtraumhaft hypnotische Wucht von „American weekend“, die getragenen Akkorde, die in „Magic city wholesale“ wie tapsende Bewegungen klingen, der schmerzvolle, unheimlich kraftvolle Gesang in „Michel“, die Harmonie im flott gespielten „Be good“ mit Tamburinbegleitung (eine Art Lobgesang auf die unkomplizierte Freundschaft, die eben nicht „messy“ ist) und die ergreifend stürmische und lebendige Klavierinstrumentierung im Abschlusstrack, einem Song, den Crutchtfield nach den Noccalula Wasserfällen in Alabama benannt hat. „Noccalula“ ist eine Art Bestandsaufnahme, in der alles zusammenfließt: Die Träume und Vermutungen (er wird Ehemann, ihr bleibt ihre Heimat) vermischen sich mit klaren Vorsätzen von Trennung und erhoffter Selbstständigkeit („You’re in the Carolinas and I’m going to New York/And I’ll be much better there/Or that’s what I’m hoping for/And we will never speak again“) und den vielen Kanten und Schrulligkeiten, die Liebe ausmacht. Zweifel und Hoffnung und Zweifel.
„American weekend“ ist ein Sinnen über „was wäre wenn, wie könnte es gewesen sein und wie es ist wirklich“. Ein sehr interessanter Moment findet in „Rose, 1956“ statt. Der Song beginnt mit einem trockenen Schlag und klingt besinnlich – thematisch beginnt die Reise an Heiligabend. Der Gesang wird dringlicher, die Akkorde hastiger – und man reist einige Zeit zurück, als Rose (ich nehme an ihre Großmutter) mit fünfzehn heiratet und ihr Körper zunehmend von Krankheit und Zigarettenrauch schmächtig wird (hier gibt es eine andere Interpretation, „Rose“ könnte so auch als Gleichnis zu verstehen sein). In diesem amerikanischen Portrait spiegelt sich eben auch das Leben anderer Menschen, das von Dom, von Allison, die sich nur meldet, wenn ihre Welt mal wieder zusammenbricht – Allison Crutchfield ist Katies Zwillingsschwester, mit der sie einstmals die Band P.S. Elliot unterhielt – und den ungezählten, ungenannten Männern, die nur am Morgen, in der Badewanne, wieder schmerzlich ins Gedächtnis geraten.
„Bathtub“ ist mir von allen Waxahatchee Songs vielleicht der liebste, ein traurig offenherziges Klimpern unter Wasser. Ich liebe alles daran: Ihren intensiven Gesang, der zart und rührend schwach erklingt, dann aber auch innerlich aufgebracht und klagend die eigenen Laster besingt.
„I confuse you/And I tell you not to love me
But I still kiss you when I want to
And I lament, you’re innocent
But somehow the object of my discontent
And it’s fucked up, I let you in
Even though I’ve seen what can happen”
Herzzereißend, wie Otis Hart treffend schreibt.
Ihr superbes Songwriting hat Katie Crutchfield bis heute nicht verloren, “Cerulean salt”, das ein Jahr später erschien, war jedoch ein großer Sprung in kaltes Wasser – aus dem muffigen Kaffeehaus in Waxahatchee Creek wurde Philadelphia, aus Lo-fi Gebrechlichkeit ein kraftvoller Punkrock Sound samt ordentlicher Stromverkablung. Und aus zudringlichen Empfindungen in stiller Abgeschiedenheit ein Stück Erinnerung – ihr Partner Keith Spencer spielt auf ihrem zweiten Album gar Schlagzeug. Ein weiterer Beweis, dass glückliche Liebe ein mieser Bremsstein für markerschütternde Kunst ist.
„Take my word for it / I’m not worth it“
(*****)
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Hold on Magnolia to that great highway moon