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Da ich in den nächsten Tagen nicht mehr ganz so viel Zeit zum Schreiben finden werde, gibt es heute direkt noch einen zweiten, deutlich kürzeren Text, zu einem ganz aktuellen Album. Nadine Shahs Debut. Danke an dieser Stelle nochmal an atom für die freundliche Empfehlung, dieses schöne Werk wäre mir sonst wahrscheinlich entgangen.
Nadine Shah Love your dum and mad
Apollo Records: 2013
1. Aching bones
2. To be a young man
3. Runaway
4. The devil
5. Floating
6. All I want
7. Used it all
8. Dreary town
9. Remember
10. Filthy games
11. Winter reigns
‘You have to write some bloody songs‘
„Love your dum and mad“ ist ein wirklich gutes, herausstechendes Album – aber auch eines, das man nicht überschätzten sollte, da es neben viel Licht auch einiges an Schatten enthält. Das zunächst Markanteste an dieser Aufnahme, ist ihr Klang: Störrisch, innbrünstig, aufgebracht – Musik, die die Erde beben lässt. Und die gleichsam so wehmütig, fast klagend klingt, dass es die Brust zerreißt. Es ist unwesentlich, ob Nadine Shah ihre Stimme immer optimal einsetzt – ich finde ihren Vortrag teilweise zu verhalten und unvariabel und behaupte, sie bleibt stellenweise sehr unter ihren Möglichkeiten -, aber dieser Gesang ist markdurchdringend. Wenn Shah ihre Stimme, etwa in „Dreary town“ am Ende zu einem emphatischen „I’m not gonna follow you to the ground“ antreibt, ist das so erschütternd intensiv, dass danach andere Musik vorerst keine Berechtigung haben kann.
In früher Jugend zog Shah, die von den meernahen Klippen Whitburns in Schottland stammt, nach London. Wie viele junge Frauen träumte sie zu dieser Zeit von einer Ausbildung als Jazzsängerin – was man manchen Arrangements des Albums auch deutlich anhört; dass Shah dabei dem Traum von einer ruhmreichen Karriere nachheilte („I had dreams of stardom, almost being a Whitney Houston-type artist“, hihi), gibt der Angelegenheit nun einen bis dahin markanten Dreh, wenn man bedenkt, was auf „Love your dum and mad“ letztendlich zu hören ist. Denn dieses Album ist alles andere als das Vorzeigebeispiel eines Album, das sich in den Charts wiederfinden könnte.
Es ist eine seltsame Anwandlung, dass Shah bereits mit diesem Album mit Künstlern wie PJ Harvey verglichen wird – denn bei genauerem Hinsehen gibt es kaum bis keinerlei Überschneidungen. Und faktischerweise macht Shah auch selbst keinen Hehl daraus, dass Künstler wie Harvey oder Cave nie ein Rolle für sie spielten – die Einflüsse ihrer Musik wurzeln im Jazz, in der Kunst der sechziger und siebziger Jahre; Shah nennt etwa Walkers „Scott“ als Album, das sie am meisten liebe und dessen Eindruck auf sie mit „Aching bones“ , dem ersten Track des Albums, gewürdigt wird.
„Love your dum and mad“ ist ein dunkles, teilweise fast trostloses Album – und es hat den Hang dazu mit Galle um sich zu spucken. Dieses Album versammelt elf Tracks, an denen Blut klebt, nach eigener Aussage sollte das Album industrial klingen, weit fern von einem wie auch immer gearteten Image des süßen Mädchens vom Land. Und so ist bereits „Aching bones“ eine bebende, dunkle Naturgewalt, die auf verstörende Weise ein Klavier, drängende Elektroniksounds und ein mechanisches, monotones Hämmern verbindet – mich erinnert diese Ästhetik etwas an die frühen Einstürzenden Neubauten, etwa einen Song wie „Armenia“. Diese Aufnahme verbreitet eine derartige Manie und Beklommenheit, dass es die Kehle zuzieht. Wenn man Shahs Sprechgesang dazu hört, die Art und Weise, wie sie Gnadenlosigkeit besingt („She watched you wilting/She watched you cry/She showed no remorse/For your pursuit“), hat man eine Frau vor Augen, die sich genüsslich mit der Zunge das Blut des Anderen von den Zähnen streicht und dabei stoisch und wütend auf ihrem Klavier die Töne auf und nieder fallen lässt.
Ich halte es für nebensächlich, dass die Texte Shahs in Wahrheit nur semibiografisch sind – manche davon schildern ihre Verarbeitung von Büchern und Filmen. Ein nicht unerheblicher Teil befasst sich aber mit Themen, die so erschütternd sind, wie ihre Interpretation selbst. Es geht zwar einerseits auch um Verlust, Einsamkeit, um traurige Erinnerungen an Vergangenes, aber auch um ungreifbarere Thematiken wie Geisteskrankheiten, die Shah bei sehr engen Freunden miterlebte – und auch am eigenen Leib erfuhr („I have chronic anxiety and so many young people I know suffer from panic attacks.“). Einige der Songs schließen diese Lücke, ein Thema, das tatsächlich zu selten beachtet wird – und dem man in dieser Gesellschaft kaum Wort gibt. Ihre abschließende Einlassung und Intention ist daher wichtig und richtig. „Some of the content on the songs is about the taboo of talking about mental health.“
Um aber zu „Love your dum and mad“ zurückzukommen: Während mich etwa zwei Drittel des Albums sehr begeistern, empfinde ich leider manches als redundant, teilweise fast langweilig. Das Album wagt eine Reihe an Experimenten – und ich muss gestehen, dass für mich einige davon leider ziemlich daneben gehen. So ist etwa „Floating“ ein Track, der – Nomen est omen – das Dahinfließen einer anderen Persönlichkeit behandelt; Shah beschreibt dabei jemanden, der entweder beständig auf der Flucht vor sich selbst ist, oder sich einfach gerne in Verdrängung übt – aber das Musikgewand dazu könnte nicht unaufregender und monotoner sein. Der Song treibt über fünf Minuten gleichbleibend dahin, wird von leichter Elektronik durchzogen, die mich an ein paar Konstrukte eines psychedelischen Entwurfs erinnern, aber mir fehlt der clevere Kniff, der in diesem Song Spannung aufbaut. „All I want“ mit seinem glucksenden, verfremdeten Piano hat einen schönen Klang, bleibt aber ähnlich konturlos. Und mit Floskeln wie „The devil is in the details, he’s hiding in the cracks/he came to shake me hand, and then he stabbed me in the back“ lockt man mich leider auch nicht mehr so ganz vor dem Kamin hervor. Auch der musikalische Anteil darin ist seltsam fahrig – und die di-di-di-di-di-di-diiiihhh Gitarreneinlage, die immer wieder eingewoben wird, fruchtet nach dem dritten Hören auch nicht mehr wirklich. Kurz: Für mich ist fast der gesamte Mittelteil relativ farblos.
Ich finde Nadine Shahs Kunst gerade dann ergreifend, wenn sie sich lediglich von einem Klavier tragen lässt und die ausbrechenden Momente alleinig mit ihrer Stimme erzeugt. Es gibt Ausnahmen, wie etwa „Runaway“, wo mich bereits die Zeile „You wanna runaway to your whore“ begeistert (die Protagonistin ist hier eine verlassene Frau, die die Kinder hütet, während der treulose Mann längst das Haus für irgendein anderes Bett verlassen hat), aber letzten Endes bleiben es die Tracks, die durch ihre Lautmalerei bestechen, durch ihre zurückhaltende Intimität und intensive Darstellung von Bildern. Shah entsammt einem gemischten Elternhaus: Während die Mutter aus Norwegen kommt, ist ihr Vater aus Pakistan und deren Sprache, Urdu, wiederhallt teilweise in manchen Betonungen, wie ich finde, auch wenn die Ghazels, die Lieder, die ihr als Kind vorgesungen wurden, leider keinen Platz auf ihrem Debut finden. Was ich sehr spannend gefunden hätte.
Ich kann jedem empfehlen, diesem Werk eine Chance zu geben. Mit schnellen Eindrücken entgeht einem hier leider ziemlich vieles. Und im Ernst: Man sollte dieses Jahr nicht verstreichen lassen, ohne das bezaubernde „Winter reigns“ gehört zu haben, Shahs Ode an all die Menschen, die in dieser Welt frieren und der Dunkelheit nie ganz entkommen. Das ist einer der schönsten Songs, die dieses Jahr bisher zu bieten hatte, ein fröstelndwarmes Klavierstück, das in etwa die Bilder und Gefühle widerspiegelt, die man sich macht, im Januar, wenn der erste Schnee fällt. „Well mother says I was a winter child, but how that woman she was wrong/for you won’t see me when its cold outside/I’m at the bar keeping warm/How winter reigns again“. Absolut wundervoll.
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Hold on Magnolia to that great highway moon