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Savages // Silence yourself
Matador Records // 2013.
1. Shut up
2. I am here
3. City’s full
4. Strife
5. Waiting for a sign
6. Dead nature
7. She will
8. No face
9. Hit me
10. Husbands
11. Marshal Dear
„I didn’t want to write love songs; I wanted to write songs that were more violent.“
Dass die goldene Ära des Gothic Rock unlängst im belanglosesten Sumpf tranig armer Kummertröpfe und Kirmesdeppen untergegangen ist, sollte jedem bewusst sein, der einmal eine x-beliebige Zillo Ausgabe aufgeschlagen hat und sich völlig zurecht wunderte, was einem da hinter verschmiertem Eyeliner und Tüll böse entgegenglotzt. Danach mag man fast mit aller Wut sämtliche Joy Division, The Cure und The Sisters of Mercy Platten aus dem Haus jagen, denn sie haben uns zwar einerseits mit Seele und Herz bereichert, über viele Jahre – aber verdammt: Sie haben dafür auch Grausamkeiten wie Subway to Sally, Samsas Traum, Goethes Erben und Ooomph! auf den Plan gerufen, mit deren Gral völlig ohne Hirn und Seele weiterzurennen. Man kann sich seine Fans aber leider bekanntermaßen nicht aussuchen.
Es tut daher gut eine Band wie die Savages zu hören. Kritiker werden offensichtlich nicht müde, die Nähe zu den Koryphäen des Genres zu betonen, im Guten wie im Schlechten. Zu erwähnen, dass die Sängerin doch auch so drastisch und ängstlich ins Publikum stiert, wie einst Ian Curtis. Das ist mir egal. Man kommt zwar nicht umhin, diverse Anklänge zu finden, sei es der schwebende Bass, der schon „Unknown pleausures“ unheimlich und eindringlich machte, die klirrenden, ins Fleisch reißenden Gitarren und all die Schattenspiele und Klangexperimente, die in ähnlicher Form auch auf „In the flat field“ zu hören sein könnten. Und natürlich Jehnny Beths Gesang selbst, ein wahrer banshee wail. Doch all das macht noch keine drittklasige Coverband, zumal die Savages auf „Silence yourself“ vielfach gänzlich anders arbeiten. Daher: Hat sich einer dieser Kritiker überhaupt die Alben angehört, über die er spricht?
Die Musik der Savages ist dunkel, schwefelgiftig und wirkt auch tatsächlich ein wenig wie die mörderische Welt aus Goldings „Lord of the flies“, auf dessen Vorlage die Bennenung der Band beruht. Was aber entscheidend ist, ist die Tatsache, dass die Band keinen Soundtrack zum Sterben und Vegetieren liefert, kein lethargisches Stell-Dich-Ein mit dem Tod oder dem Typ neben Dir auf der nächsten Grufti-Party in Deiner Nähe, sondern eine rasante, keifende Platte, die weitaus dynamischer und zupackender ist, als es es für eine blasse Remineszenz üblich ist. Man mag es kaum laut sagen, aber ja: Die Band rockt. Und beißt. Und wütet. Und hasst. Und spritzt Galle auf Deine Boxen.
Die Untersuchung von Geschlechterrollen ist eines der zentralen Themen von „Silence yourself“. „Hit me“ etwa ist eine bestialische Homage an die amerikanische Pornodarstellerin Belladonna; ein gurgelnder Track, der ganz entgegen der ersten Vermutung mehr darstellt, als eine Aufforderung zum Hau mich, baby, sondern vielmehr den Gedanken dahinter befasst, dass Weiblichkeit vielleicht noch mehr ist, als Puder, Lächeln und Zärtlichkeit. Und das Animalismus, Triebhaftigkeit oder Brutalität Verlangen sind, die weit abseits dessen stehen, was in einer Welt aus Glamour, Glitter, Fashion Week und Germanys Next Top Model am Donnerstag Abend noch an die Oberfläche gelangen darf. Im lesenswerten Pitchfork Interview sagt Beth dazu u.a.: „It’s not about domestic violence at all. It came from a documentary about a porn star. In it, she was crying, not because she had been raped, but because the scene she had just done was so emotionally intense, she was feeling full. And the documentary turned it into something very evil, like she had been a victim. And I hate when women are turned into victims like that. I was thinking, „She’s not a victim, she knows exactly what she’s doing.“ She’s actually, I thought, really impressive.[…]It was interesting to think that desire was coming from awkward places and not necessarily from the twee, obvious things that we think are feminine, but aren’t. I like twisted, original desires. To twist that thing is very important, because it’s the existence of life.“
[Anm: So sehr ich diesen Standpunkt einerseits teile (ja, auch Frauen brauchen oft Sex, und ja, so manche davon mag sicher auch ganz besondere Vorlieben haben), so unbehaglich ist mir dennoch der Aufhänger dieser Ansage. Gewalt ist ein eigentümliches Verlangen, gerade auch wenn es mit Liebe verbunden ist, auch wenn Beth das im ersten Satz wohlweislich ausschließt. Dennoch ist es kurios in einem Sektor wie der nahezu vollständig von Männern konzeptionierten und domestizierten Pornobranche von einem auch nur in irgendeiner Weise ausgelebten femininen, ach was, menschlich glücklich machenden Bedürfnis zu sprechen. Ich glaube an keine Revolution, wie es etwa Sasha Grey in einem Interview mal beteuerte, sofern man dem Typ, mit dem durch Viagra fixierten dritten Bein, auch mal kräftig entgegenhaut. Und ich glaube auch nicht, dass Feminismus und Aufklärung beim Unterleib reiben am Bahnhofsklorand beginnt, wie es Charlotte Roche in „Feuchtgebiete“ passagenweise anschneidet. Wenn doch: Sollte das dann etwa erbaulich sein? Ich bin mir da nicht so sicher.]
Aber zurück zu „Silence yourself“: Es ist natürlich ein massgebender Punkt, dass hier eine Frau schreibt. Und sich von Frauen umgibt. Und auch ausschließlich aus der Sicht einer Frau verfasst. Die Thematik Sex, Gewalt und unterdrückte Weiblichkeit wird neben „Hit me“ u.a. auch in „City’s full“ angeschnitten („So many skinny pretty girls around /Honestly, I just wanna go down /Try to pretend there’s nothing wild/Why do you treat yourself so bad“), wie auch in „She will“ („Get hooked on loving hard/Forcing the slut out“), wobei die Frage erlaubt sein muss, was Beth damit bezeugt, wenn sie sich auf lyrischer Ebene als Frau stilisiert, die küsst, wie ein Mann und im vollen Rausch, man mag fast gierig schreiben, die Nutte aus sich heraus presst? Ich möchte die Tracks ungern als sadomasochistische Lobreden verstehen, aber etwas stimmt mich an diesen Gedankengängen unwohl.
Das zweite große Thema von „Silence yourself“ ist die Entfremdung. Bereits auf dem Cover des Albums ist von einer düsteren Welt zu lesen, die immer schneller und unpersönlicher wird, von Menschen, die zu schnell – aus Angst, aus Inkonsequenz, aus fehlender eigener Vision – dabei landen, available zu sein, ganz zu verschmelzen mit einer sich selbst verschlingenden Gesellschaft, bei der es keine leisen, individuellen Zwischentöne mehr geben darf. Das ist natürlich richtig. Es braucht keine großen Bemühungen, um zu bemerken dass – zwischen dauerhaftem Beschallen irgendwelcher Sender, dauerhaftem Stress (du bist schließlich die Elite der Zukunft, Süßer!), dauerhaftem Zurückstellen von eigenen Bedürfnissen, bis sämtliche Mittelstufler bereits mit unterlaufenen Augenringen beim Psychiater vorgeladen werden und der Tatsache, dass ganz öffentlich zum Mord aufgerufen wird, sofern etwas außer Plan verläuft – etwas ganz gravierend verkehrt läuft in dieser Welt. „Your head is spinning fast at the end of your spine/Until you have no face at all“. Es mag sein, dass diese Gedankengänge alt sind, uns nichts Neues mehr verraten können, von ihrer Dringlichkeit und Aktualität haben diese Themen leider nichts verloren. Mir ist ein Künstler lieber, der etwas ganz Substantielles erneut anprangert, als erneut darüber zu singen, dass es ihm halt mal wieder schlecht geht. Beth verarbeitet dieses beängstigende Konstrukt in einigen Tracks, etwa in „Waiting for a sign“ , „No face“ und „Husbands“, wie auch passagenweise in ein paar anderen. Ja: Eine Gesellschaft braucht Platz für Individualität und Eigensinn, sonst hat sie den Bezug zu sich selbst verloren, ist kopflos geworden. Und ja, manchmal braucht es dafür Stille, aus der Klarheit erst erwächst.
Nachdem ich versucht habe zu verdeutlichen, inwieweit Beths Lyric sich massiv von ihren maßgeblichen Vorreitern unterscheidet, will ich mich der Musik selbst zuwenden, die ebenfalls oftmals ganz andersartig ist. Das Brodeln, das mich etwa bei „Closer“ bis heute berührt, gibt es zwar auch hier, allerdings ist „Silence yourself“ eine dementgegen weitaus offensivere, aggresivere Platte. Schon der Opener, „Shut up“ besticht durch kraftvolle, extrem dynamische Riffs – er wirkt getrieben, hat aber dabei eine angenehme Natürlichkeit. Mich fasziniert enorm, wie der Gesang sich hier mit den immer weiter auftürmenden Instrumenten verbindet (die grelle Gitarre ist generell absolut fantastisch!), um zum Ende in einem Strudel aus Geräuschen unterzugehen. Das ist einerseits stürmischer Rock, aber auch das richtige Maß an Düsternis, Dekonstruktion und garstiger Noisegewalt. Ernsthaft: Liebe Leute, das ist keine Musik, zu der man benommen auf den Boden stiert, die Arme originalgetreu hinter dem Rücken, sondern ein Track, an dem man sich die Zigarette anzünden und mit dessen Riffs man Diamant schneiden kann. Kurz: Alles an diesem Track ist ungezügelt, explosiv, rau und kämpferisch – dass sich die Band frei übersetzt „die Wilden“ (Savages) nennt, geht hier voll auf.
Ähnlich markant ist auch „She will“ mit einer sofort zupackenden Melodie oder „Waiting for a sign“, das aus krächzendem Stahl dröhnend immer mehr an Kontur gewinnt. Der Track hat eine angenehm verstörende Ästhetik und geht im Refrain über in ein betäubendes Gewitter, bei dem mich vor allem die Tatsache beeindruckt, dass Musik und Gesang sehr kontrastreich zueinander funktionieren. Noch toller ist allerdings, was am Ende geschieht: Das Schlagzeug verlangsamt sich zum Trab, während die Saiten immer mehr heulen und sich zu einer arabisch angehauchten Note die Sägezähne wetzen. Howling! Besonders angetan hat es mir allerdings, dass Savages sich den düsteren Todesgesang von „Marshal Dear“ für den Schluss aufgehoben haben. Der Track enthält alles, was ich an Gothic Rock oder meinetwegen Post-Punk liebe: Dieses hereinkullernde, zunächst repetitive Klavier, der Bass, der hier stellenweise anleitend ist, die ausbrechende Dynamik, der stellenweise fast nüchterne Vortrag, mit dem Beth sich dem anbahnenden Tod annimmt – und die Kraft mit der die Titelzeile „Silence yourself“ heraustritt. Und wie das Gerüst, ganz bleich geworden zum Schluss, mit einer intensiven Bass-Klarinette ins Nichts abgleitet. Wow.
Ich will es kurz fassen: Für mich sind die Savages bei allen Anklängen mehr als eigenständig.
Und auch wenn ich manche Abschnitte der Lyrics zwar noch etwas unkonkret oder auch schablonenhaft finde, so sehr beeindruckt es mich, wie lebendig und kraftvoll Musik dieser Art auch heute noch wirkt. „Silence yourself“ ist kein makelloses Album (ich finde etwa „No face“ und „Hit me“ als Songs selbst weniger gelungen, als die Gedanken dahinter – und der stellenweise geradezu metalllastige Klang der Gitarren von „Strife“ lässt mich auch nicht unbedingt schwärmen), aber ein wunderbares Zeitdokument, das man völlig schamlos neben die großartigen Bauhaus und Cocteau Twins Aufnahmen ins Regal stellen kann. Mit dem nötigen Sicherheitsabstand.
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Hold on Magnolia to that great highway moon